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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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haltenden Schlußkapiteln des ganzen Werkes, Es ist zuerst die Frage nach der
Entstehung der Organismen, deren vom Standpunkte des Darwinismus ge¬
gebene Beantwortung einer sorgfältigen Beurtheilung unterzogen wird. Vier
Erklärungsversuche liegen vor: 'die Theorie der Urzeugung, die im Laufe der
Zeit immer mehr Boden verliert in Folge fortgesetzter exakter Experimente,
die sie widerlegen; sodann die Hypothese eines Herübergekommenseins der
frühesten Lebenskeime aus anderen Weltkörpern mittelst auf die Erde gefallener
Asteroidentrümmer, eine Annahme, über die sich Liebig und Helmholtz nicht
ungünstig ausgesprochen haben, die aber doch wenig Eingang gefunden hat;
drittens die Allbeseelungslehre, die Annahme eines ursprünglich organisch-belebten
Zustandes unseres Planeten, als des fruchtbaren Mutterschooßes, aus dem alles
jetzt auf seiner Oberfläche existirende Leben unmittelbar hervorgeboren sei;
endlich die Behauptung einer immerwährenden Existenz thierischen und pflanz¬
lichen Lebens neben anorganischen auf der Erde, eine evolutionistische Kreis¬
laufstheorie. Unter diesen vier Theorieen erscheint Zöckler die der einstigen
ersten Urzeugung am wenigsten bedenklich, natürlich immer unter der Voraus¬
setzung, daß dieselbe nicht ans blinde Naturkräfte, sondern auf den Machtwilleu
des persönlichen göttlichen Schöpfers zurückgeführt werde.

Eine zweite Frage betrifft die Entwickelung des organischen Lebens bis
zur oberen Thierwelt aus wenigen Grundtypen. Hier hat das religiöse Be¬
wußtsein keinen Einspruch zu erheben, wenn nur jene Grundtypen auf göttliche
Kausalität zurückgeführt werden. Die Wissenschaft freilich hat diese Hypothese
noch keineswegs für giltig erklärt, viele Forscher haben ihr Schranken gezogen,
deren Berechtigung Darwin selbst anerkennen mußte, andere haben sie völlig
abgelehnt und halten an der Cuvier-Agcissiz'schen Theorie von der UnVeränder¬
lichkeit der Arten fest.

Die dritte wichtigste Frage bezieht sich auf den Ursprung des Menschen.
Mit Recht wird hier von Zöckler hervorgehoben, daß keine Instanzen vorliegen,
die zu der 'Annahme thierischer Abstammung nöthigen. Die Mikrokephalen
erscheinen immer allgemeiner nicht als Beweise für den Atavismus, für ein
Zurücksinken auf ein früheres thierisches Niveau, sondern als krankhafte Mi߬
bildungen; genaue Schädelmessungen haben gezeigt, daß die höchst stehenden
Affen von den niedrigsten Menschen durch eine viel weitere Distanz getrennt
sind als von allen vorausgehenden niederen Thierarten. Die geschwänzten, die
am ganzen Körper behaarten Menschen, die Zwergvölker, die Waldmenschen
haben sich theils als vereinzelte pathologische Erscheinungen, theils als sagen¬
hafte Existenzen erwiesen. Das fossile Mittelwesen zwischen Thier und Mensch
ist bis jetzt vergeblich gesucht worden. Die Theorie von dem rohen Urzustande
der Menschen hat von Linguisten wie Wilhelm v. Humboldt, Whitney, Max


Grenzboten II- 1879. I!)

haltenden Schlußkapiteln des ganzen Werkes, Es ist zuerst die Frage nach der
Entstehung der Organismen, deren vom Standpunkte des Darwinismus ge¬
gebene Beantwortung einer sorgfältigen Beurtheilung unterzogen wird. Vier
Erklärungsversuche liegen vor: 'die Theorie der Urzeugung, die im Laufe der
Zeit immer mehr Boden verliert in Folge fortgesetzter exakter Experimente,
die sie widerlegen; sodann die Hypothese eines Herübergekommenseins der
frühesten Lebenskeime aus anderen Weltkörpern mittelst auf die Erde gefallener
Asteroidentrümmer, eine Annahme, über die sich Liebig und Helmholtz nicht
ungünstig ausgesprochen haben, die aber doch wenig Eingang gefunden hat;
drittens die Allbeseelungslehre, die Annahme eines ursprünglich organisch-belebten
Zustandes unseres Planeten, als des fruchtbaren Mutterschooßes, aus dem alles
jetzt auf seiner Oberfläche existirende Leben unmittelbar hervorgeboren sei;
endlich die Behauptung einer immerwährenden Existenz thierischen und pflanz¬
lichen Lebens neben anorganischen auf der Erde, eine evolutionistische Kreis¬
laufstheorie. Unter diesen vier Theorieen erscheint Zöckler die der einstigen
ersten Urzeugung am wenigsten bedenklich, natürlich immer unter der Voraus¬
setzung, daß dieselbe nicht ans blinde Naturkräfte, sondern auf den Machtwilleu
des persönlichen göttlichen Schöpfers zurückgeführt werde.

Eine zweite Frage betrifft die Entwickelung des organischen Lebens bis
zur oberen Thierwelt aus wenigen Grundtypen. Hier hat das religiöse Be¬
wußtsein keinen Einspruch zu erheben, wenn nur jene Grundtypen auf göttliche
Kausalität zurückgeführt werden. Die Wissenschaft freilich hat diese Hypothese
noch keineswegs für giltig erklärt, viele Forscher haben ihr Schranken gezogen,
deren Berechtigung Darwin selbst anerkennen mußte, andere haben sie völlig
abgelehnt und halten an der Cuvier-Agcissiz'schen Theorie von der UnVeränder¬
lichkeit der Arten fest.

Die dritte wichtigste Frage bezieht sich auf den Ursprung des Menschen.
Mit Recht wird hier von Zöckler hervorgehoben, daß keine Instanzen vorliegen,
die zu der 'Annahme thierischer Abstammung nöthigen. Die Mikrokephalen
erscheinen immer allgemeiner nicht als Beweise für den Atavismus, für ein
Zurücksinken auf ein früheres thierisches Niveau, sondern als krankhafte Mi߬
bildungen; genaue Schädelmessungen haben gezeigt, daß die höchst stehenden
Affen von den niedrigsten Menschen durch eine viel weitere Distanz getrennt
sind als von allen vorausgehenden niederen Thierarten. Die geschwänzten, die
am ganzen Körper behaarten Menschen, die Zwergvölker, die Waldmenschen
haben sich theils als vereinzelte pathologische Erscheinungen, theils als sagen¬
hafte Existenzen erwiesen. Das fossile Mittelwesen zwischen Thier und Mensch
ist bis jetzt vergeblich gesucht worden. Die Theorie von dem rohen Urzustande
der Menschen hat von Linguisten wie Wilhelm v. Humboldt, Whitney, Max


Grenzboten II- 1879. I!)
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[0149] haltenden Schlußkapiteln des ganzen Werkes, Es ist zuerst die Frage nach der Entstehung der Organismen, deren vom Standpunkte des Darwinismus ge¬ gebene Beantwortung einer sorgfältigen Beurtheilung unterzogen wird. Vier Erklärungsversuche liegen vor: 'die Theorie der Urzeugung, die im Laufe der Zeit immer mehr Boden verliert in Folge fortgesetzter exakter Experimente, die sie widerlegen; sodann die Hypothese eines Herübergekommenseins der frühesten Lebenskeime aus anderen Weltkörpern mittelst auf die Erde gefallener Asteroidentrümmer, eine Annahme, über die sich Liebig und Helmholtz nicht ungünstig ausgesprochen haben, die aber doch wenig Eingang gefunden hat; drittens die Allbeseelungslehre, die Annahme eines ursprünglich organisch-belebten Zustandes unseres Planeten, als des fruchtbaren Mutterschooßes, aus dem alles jetzt auf seiner Oberfläche existirende Leben unmittelbar hervorgeboren sei; endlich die Behauptung einer immerwährenden Existenz thierischen und pflanz¬ lichen Lebens neben anorganischen auf der Erde, eine evolutionistische Kreis¬ laufstheorie. Unter diesen vier Theorieen erscheint Zöckler die der einstigen ersten Urzeugung am wenigsten bedenklich, natürlich immer unter der Voraus¬ setzung, daß dieselbe nicht ans blinde Naturkräfte, sondern auf den Machtwilleu des persönlichen göttlichen Schöpfers zurückgeführt werde. Eine zweite Frage betrifft die Entwickelung des organischen Lebens bis zur oberen Thierwelt aus wenigen Grundtypen. Hier hat das religiöse Be¬ wußtsein keinen Einspruch zu erheben, wenn nur jene Grundtypen auf göttliche Kausalität zurückgeführt werden. Die Wissenschaft freilich hat diese Hypothese noch keineswegs für giltig erklärt, viele Forscher haben ihr Schranken gezogen, deren Berechtigung Darwin selbst anerkennen mußte, andere haben sie völlig abgelehnt und halten an der Cuvier-Agcissiz'schen Theorie von der UnVeränder¬ lichkeit der Arten fest. Die dritte wichtigste Frage bezieht sich auf den Ursprung des Menschen. Mit Recht wird hier von Zöckler hervorgehoben, daß keine Instanzen vorliegen, die zu der 'Annahme thierischer Abstammung nöthigen. Die Mikrokephalen erscheinen immer allgemeiner nicht als Beweise für den Atavismus, für ein Zurücksinken auf ein früheres thierisches Niveau, sondern als krankhafte Mi߬ bildungen; genaue Schädelmessungen haben gezeigt, daß die höchst stehenden Affen von den niedrigsten Menschen durch eine viel weitere Distanz getrennt sind als von allen vorausgehenden niederen Thierarten. Die geschwänzten, die am ganzen Körper behaarten Menschen, die Zwergvölker, die Waldmenschen haben sich theils als vereinzelte pathologische Erscheinungen, theils als sagen¬ hafte Existenzen erwiesen. Das fossile Mittelwesen zwischen Thier und Mensch ist bis jetzt vergeblich gesucht worden. Die Theorie von dem rohen Urzustande der Menschen hat von Linguisten wie Wilhelm v. Humboldt, Whitney, Max Grenzboten II- 1879. I!)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/149>, abgerufen am 27.09.2024.