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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Werthvvlleres auf dem Gebiete der physiko-theologischen Dichtung leistete der
Engländer Thomson in den "Jahreszeiten", Albrecht v. Haller in den "Alpen"
und Ewald Christian v. Kleist im "Frühling".

Am Schlüsse dieser Periode tritt aber eine Aenderung ein; die kritische
Strömung der Zeit richtet sich gegen den biblischen Schöpsungsbericht und
sucht den Gegensatz desselben gegen die naturwissenschaftlichen Ergebnisse bald
durch allegorisirende oder mythisirende Auslegung zu beseitigen, bald, wie Herder,
der ihn als "morgenfrisches Gedicht der ältesten Menschheit" auffaßte, vom
aesthetischen Gesichtspunkt aus zu würdigen.

Auch Anklänge an den Darwinismus zeigen sich jetzt, in beschränktem
Maße bei dem Benediktiner Calmet und den großen Naturforschern Buffon
und Linnäus, sehr entwickelt bei de Maillet, Maupertuis, Robinet. Kant hat
nur hypothetisch die Erzeugung aller Organismen von einer gemeinsamen
Urmutter ausgesprochen, dieser Hypothese aber eine streng wissenschaftliche Form
zu geben als ein gewagtes Abenteuer der Vernunft bezeichnet. Herder dagegen
ist an der Schwelle einer evolutionistischen Betrachtungsweise zögernd stehen
geblieben.

Die folgenden beiden Bücher zeichnen die Entwickelung der Naturwissen¬
schaften und ihrer Beziehungen zur Theologie bis auf die Gegenwart und in
derselben. Es ist die Zeit der großen Entdeckungen, die Hochfluth der Be¬
wegungen auf naturwissenschaftlichem Gebiete. Zöckler entwirft ein farbenreiches
Gemälde der Mannichfaltigkeit von Arbeiten und Bestrebungen, durch welche
diese hohen Triumphe errungen wurden. Auf einzelne Partieen hinzuweisen,
versagen wir uns nur ungern, aber die Ueberfülle des Stoffes und der Reiz,
der fast gleichmüßig allen Theilen eigen ist, nöthigen uns dazu. Dagegen
glauben wir auf den Dank unserer Leser rechnen zu dürfen, wenn wir der
Darstellung des Verfassers im letzten, dem Darwinismus gewidmeten Buche
etwas näher folgen.

"Charles Lyell. -- Die moderne Chronologie der Geologen in ihrer
grundlegenden Bedeutung für die Darwinischen Lehren" ist das Thema des
ersten Kapitels. Auf induktiven Wege, durch analogische Erschließung der Zeit¬
dauer der urweltlichen Bildungsprozesse, namentlich der auf niederschlugen
sowie auf Vulkanwirkungen beruhenden, gemäß der noch jetzt an der Oberfläche
der Erde vor sich gehenden Veränderungen, suchte die Evolutionstheorie festen
Boden zu gewinnen. Mit Milliarden von Jahren zu operiren, trägt sie kein
Bedenken. Allmählich ist freilich eine größere Besonnenheit eingetreten, und
man fängt an, sich mit kleineren Zahlen zu begnügen. Und in der That
unterliegt die ganze nach dem Maßstab der Gegenwart die Urzeit und ihre
Entwickelungen beurtheilende Theorie gewichtigen Bedenken. Hat doch Göppert


Werthvvlleres auf dem Gebiete der physiko-theologischen Dichtung leistete der
Engländer Thomson in den „Jahreszeiten", Albrecht v. Haller in den „Alpen"
und Ewald Christian v. Kleist im „Frühling".

Am Schlüsse dieser Periode tritt aber eine Aenderung ein; die kritische
Strömung der Zeit richtet sich gegen den biblischen Schöpsungsbericht und
sucht den Gegensatz desselben gegen die naturwissenschaftlichen Ergebnisse bald
durch allegorisirende oder mythisirende Auslegung zu beseitigen, bald, wie Herder,
der ihn als „morgenfrisches Gedicht der ältesten Menschheit" auffaßte, vom
aesthetischen Gesichtspunkt aus zu würdigen.

Auch Anklänge an den Darwinismus zeigen sich jetzt, in beschränktem
Maße bei dem Benediktiner Calmet und den großen Naturforschern Buffon
und Linnäus, sehr entwickelt bei de Maillet, Maupertuis, Robinet. Kant hat
nur hypothetisch die Erzeugung aller Organismen von einer gemeinsamen
Urmutter ausgesprochen, dieser Hypothese aber eine streng wissenschaftliche Form
zu geben als ein gewagtes Abenteuer der Vernunft bezeichnet. Herder dagegen
ist an der Schwelle einer evolutionistischen Betrachtungsweise zögernd stehen
geblieben.

Die folgenden beiden Bücher zeichnen die Entwickelung der Naturwissen¬
schaften und ihrer Beziehungen zur Theologie bis auf die Gegenwart und in
derselben. Es ist die Zeit der großen Entdeckungen, die Hochfluth der Be¬
wegungen auf naturwissenschaftlichem Gebiete. Zöckler entwirft ein farbenreiches
Gemälde der Mannichfaltigkeit von Arbeiten und Bestrebungen, durch welche
diese hohen Triumphe errungen wurden. Auf einzelne Partieen hinzuweisen,
versagen wir uns nur ungern, aber die Ueberfülle des Stoffes und der Reiz,
der fast gleichmüßig allen Theilen eigen ist, nöthigen uns dazu. Dagegen
glauben wir auf den Dank unserer Leser rechnen zu dürfen, wenn wir der
Darstellung des Verfassers im letzten, dem Darwinismus gewidmeten Buche
etwas näher folgen.

„Charles Lyell. — Die moderne Chronologie der Geologen in ihrer
grundlegenden Bedeutung für die Darwinischen Lehren" ist das Thema des
ersten Kapitels. Auf induktiven Wege, durch analogische Erschließung der Zeit¬
dauer der urweltlichen Bildungsprozesse, namentlich der auf niederschlugen
sowie auf Vulkanwirkungen beruhenden, gemäß der noch jetzt an der Oberfläche
der Erde vor sich gehenden Veränderungen, suchte die Evolutionstheorie festen
Boden zu gewinnen. Mit Milliarden von Jahren zu operiren, trägt sie kein
Bedenken. Allmählich ist freilich eine größere Besonnenheit eingetreten, und
man fängt an, sich mit kleineren Zahlen zu begnügen. Und in der That
unterliegt die ganze nach dem Maßstab der Gegenwart die Urzeit und ihre
Entwickelungen beurtheilende Theorie gewichtigen Bedenken. Hat doch Göppert


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[0144] Werthvvlleres auf dem Gebiete der physiko-theologischen Dichtung leistete der Engländer Thomson in den „Jahreszeiten", Albrecht v. Haller in den „Alpen" und Ewald Christian v. Kleist im „Frühling". Am Schlüsse dieser Periode tritt aber eine Aenderung ein; die kritische Strömung der Zeit richtet sich gegen den biblischen Schöpsungsbericht und sucht den Gegensatz desselben gegen die naturwissenschaftlichen Ergebnisse bald durch allegorisirende oder mythisirende Auslegung zu beseitigen, bald, wie Herder, der ihn als „morgenfrisches Gedicht der ältesten Menschheit" auffaßte, vom aesthetischen Gesichtspunkt aus zu würdigen. Auch Anklänge an den Darwinismus zeigen sich jetzt, in beschränktem Maße bei dem Benediktiner Calmet und den großen Naturforschern Buffon und Linnäus, sehr entwickelt bei de Maillet, Maupertuis, Robinet. Kant hat nur hypothetisch die Erzeugung aller Organismen von einer gemeinsamen Urmutter ausgesprochen, dieser Hypothese aber eine streng wissenschaftliche Form zu geben als ein gewagtes Abenteuer der Vernunft bezeichnet. Herder dagegen ist an der Schwelle einer evolutionistischen Betrachtungsweise zögernd stehen geblieben. Die folgenden beiden Bücher zeichnen die Entwickelung der Naturwissen¬ schaften und ihrer Beziehungen zur Theologie bis auf die Gegenwart und in derselben. Es ist die Zeit der großen Entdeckungen, die Hochfluth der Be¬ wegungen auf naturwissenschaftlichem Gebiete. Zöckler entwirft ein farbenreiches Gemälde der Mannichfaltigkeit von Arbeiten und Bestrebungen, durch welche diese hohen Triumphe errungen wurden. Auf einzelne Partieen hinzuweisen, versagen wir uns nur ungern, aber die Ueberfülle des Stoffes und der Reiz, der fast gleichmüßig allen Theilen eigen ist, nöthigen uns dazu. Dagegen glauben wir auf den Dank unserer Leser rechnen zu dürfen, wenn wir der Darstellung des Verfassers im letzten, dem Darwinismus gewidmeten Buche etwas näher folgen. „Charles Lyell. — Die moderne Chronologie der Geologen in ihrer grundlegenden Bedeutung für die Darwinischen Lehren" ist das Thema des ersten Kapitels. Auf induktiven Wege, durch analogische Erschließung der Zeit¬ dauer der urweltlichen Bildungsprozesse, namentlich der auf niederschlugen sowie auf Vulkanwirkungen beruhenden, gemäß der noch jetzt an der Oberfläche der Erde vor sich gehenden Veränderungen, suchte die Evolutionstheorie festen Boden zu gewinnen. Mit Milliarden von Jahren zu operiren, trägt sie kein Bedenken. Allmählich ist freilich eine größere Besonnenheit eingetreten, und man fängt an, sich mit kleineren Zahlen zu begnügen. Und in der That unterliegt die ganze nach dem Maßstab der Gegenwart die Urzeit und ihre Entwickelungen beurtheilende Theorie gewichtigen Bedenken. Hat doch Göppert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/144>, abgerufen am 27.09.2024.