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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Das erste Buch bezieht sich allerdings auf eine Zeit, in der die Probleme
die uns gegenwärtig beschäftigen, noch nicht in's Bewußtsein getreten sind oder
doch eben erst für dasselbe auftauchen. Zöckler charakterisirt sie als die Zeit
des Stillstandes der experimentirenden Forschung und des naturtheologischen
Dogmatismus. Die Werthschätzung der Naturwissenschaften, und zwar der aus
der Quelle selbst schöpfenden, wird immer allgemeiner. So erklärt Spener in
den "Theologischen Bedenken": "Aller Fleiß und Arbeit, so hieran (nämlich
an der Erkenntniß des Schöpfers aus seinen Werken) gethan wird, wird wohl
und tausendmal besser angelegt sein als alle in ?IiMois unnützliche Aristote¬
lische Metaphysische Grillen, damit unsere xKMc lang gantz verdorben geblieben;
und ob sie vor einiger Zeit durch mehrere Beobachtung der Experimenten anstatt
voriger sxoerüation in einen besseren Stand ist gesetzt worden, annoch diesen,
Mangel an sich haben muß." Ebenso äußert sich der große Württemberger
Theologe Bengel. Naturwissenschaft und Naturphilosophie halten die Ueber¬
einstimmung mit dem kirchlichen Bewußtsein fest. Und auch da, wo dieser Zu¬
sammenhang gelöst ist, wird doch das allgemein religiöse Element in der
Naturanschauung bewahrt. In den beiden Koryphäen des Jahrhunderts, in
Newton und Leibniz, stellt sich diese sympathische Beziehung beider Gebiete
vorbildlich dar; sie sind maßgebend für ihr Zeitalter. Doch tragen die Arbeiten
der Männer, die in ihre Fußtapfen treten, weniger ein schöpferisches, neue
Bahnen der Forschung eröffnendes oder ungeahnte Gebiete erschließendes, als
ein reproduktives und der Fortbildung und Durcharbeitung des früher ent¬
deckten im Detail gewidmetes Gepräge.

Besonders eigenthümlich diesem Zeitalter und bezeichnend für seine Stim¬
mung sind die zahlreichen physiko-theologischen Systeme, die es hervorgebracht
hat; in's Kleinliche fallende Verzerrungen des richtigen Gedankens, daß in der
zweckmäßigen Organisation der Natur die göttliche Intelligenz sich bezeuge.
Da verfaßte man Astro-, Bronto-, Chiono-, Hydro-, Jchthyo-theologieen u. s. w.,
Darlegungen der göttlichen Weisheit, wie sie sich in der Beschaffenheit der
Gestirne, des Donners, des Schnees, des Wassers, der Fische offenbart. Ja
auch eine Akrido(Heuschrecken)-Theologie erblickte das Licht der Welt. Nicht
selten bestieg die Physiko - Theologie auch den Pegasus, und oft im Sinne der
eben genannten Bestrebungen, wofür des Hamburger Rathsherrn Heinrich
Brockes "Irdisches Vergnügen in Gott" einen typischen Beleg gibt. Den Geist
dieses Reimwerkes charakterisirt es, daß es sogar über den Nutzen der Nase
reflMrt und denselben darin findet, daß alle Wohlgerüche der Welt


könnte kein Geschöpf gebrauchen,
müßten ungenützt verrauchen,
wär die Nase nicht geschickt,
daß sie sich dadurch erquickt.

Das erste Buch bezieht sich allerdings auf eine Zeit, in der die Probleme
die uns gegenwärtig beschäftigen, noch nicht in's Bewußtsein getreten sind oder
doch eben erst für dasselbe auftauchen. Zöckler charakterisirt sie als die Zeit
des Stillstandes der experimentirenden Forschung und des naturtheologischen
Dogmatismus. Die Werthschätzung der Naturwissenschaften, und zwar der aus
der Quelle selbst schöpfenden, wird immer allgemeiner. So erklärt Spener in
den „Theologischen Bedenken": „Aller Fleiß und Arbeit, so hieran (nämlich
an der Erkenntniß des Schöpfers aus seinen Werken) gethan wird, wird wohl
und tausendmal besser angelegt sein als alle in ?IiMois unnützliche Aristote¬
lische Metaphysische Grillen, damit unsere xKMc lang gantz verdorben geblieben;
und ob sie vor einiger Zeit durch mehrere Beobachtung der Experimenten anstatt
voriger sxoerüation in einen besseren Stand ist gesetzt worden, annoch diesen,
Mangel an sich haben muß." Ebenso äußert sich der große Württemberger
Theologe Bengel. Naturwissenschaft und Naturphilosophie halten die Ueber¬
einstimmung mit dem kirchlichen Bewußtsein fest. Und auch da, wo dieser Zu¬
sammenhang gelöst ist, wird doch das allgemein religiöse Element in der
Naturanschauung bewahrt. In den beiden Koryphäen des Jahrhunderts, in
Newton und Leibniz, stellt sich diese sympathische Beziehung beider Gebiete
vorbildlich dar; sie sind maßgebend für ihr Zeitalter. Doch tragen die Arbeiten
der Männer, die in ihre Fußtapfen treten, weniger ein schöpferisches, neue
Bahnen der Forschung eröffnendes oder ungeahnte Gebiete erschließendes, als
ein reproduktives und der Fortbildung und Durcharbeitung des früher ent¬
deckten im Detail gewidmetes Gepräge.

Besonders eigenthümlich diesem Zeitalter und bezeichnend für seine Stim¬
mung sind die zahlreichen physiko-theologischen Systeme, die es hervorgebracht
hat; in's Kleinliche fallende Verzerrungen des richtigen Gedankens, daß in der
zweckmäßigen Organisation der Natur die göttliche Intelligenz sich bezeuge.
Da verfaßte man Astro-, Bronto-, Chiono-, Hydro-, Jchthyo-theologieen u. s. w.,
Darlegungen der göttlichen Weisheit, wie sie sich in der Beschaffenheit der
Gestirne, des Donners, des Schnees, des Wassers, der Fische offenbart. Ja
auch eine Akrido(Heuschrecken)-Theologie erblickte das Licht der Welt. Nicht
selten bestieg die Physiko - Theologie auch den Pegasus, und oft im Sinne der
eben genannten Bestrebungen, wofür des Hamburger Rathsherrn Heinrich
Brockes „Irdisches Vergnügen in Gott" einen typischen Beleg gibt. Den Geist
dieses Reimwerkes charakterisirt es, daß es sogar über den Nutzen der Nase
reflMrt und denselben darin findet, daß alle Wohlgerüche der Welt


könnte kein Geschöpf gebrauchen,
müßten ungenützt verrauchen,
wär die Nase nicht geschickt,
daß sie sich dadurch erquickt.

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[0143] Das erste Buch bezieht sich allerdings auf eine Zeit, in der die Probleme die uns gegenwärtig beschäftigen, noch nicht in's Bewußtsein getreten sind oder doch eben erst für dasselbe auftauchen. Zöckler charakterisirt sie als die Zeit des Stillstandes der experimentirenden Forschung und des naturtheologischen Dogmatismus. Die Werthschätzung der Naturwissenschaften, und zwar der aus der Quelle selbst schöpfenden, wird immer allgemeiner. So erklärt Spener in den „Theologischen Bedenken": „Aller Fleiß und Arbeit, so hieran (nämlich an der Erkenntniß des Schöpfers aus seinen Werken) gethan wird, wird wohl und tausendmal besser angelegt sein als alle in ?IiMois unnützliche Aristote¬ lische Metaphysische Grillen, damit unsere xKMc lang gantz verdorben geblieben; und ob sie vor einiger Zeit durch mehrere Beobachtung der Experimenten anstatt voriger sxoerüation in einen besseren Stand ist gesetzt worden, annoch diesen, Mangel an sich haben muß." Ebenso äußert sich der große Württemberger Theologe Bengel. Naturwissenschaft und Naturphilosophie halten die Ueber¬ einstimmung mit dem kirchlichen Bewußtsein fest. Und auch da, wo dieser Zu¬ sammenhang gelöst ist, wird doch das allgemein religiöse Element in der Naturanschauung bewahrt. In den beiden Koryphäen des Jahrhunderts, in Newton und Leibniz, stellt sich diese sympathische Beziehung beider Gebiete vorbildlich dar; sie sind maßgebend für ihr Zeitalter. Doch tragen die Arbeiten der Männer, die in ihre Fußtapfen treten, weniger ein schöpferisches, neue Bahnen der Forschung eröffnendes oder ungeahnte Gebiete erschließendes, als ein reproduktives und der Fortbildung und Durcharbeitung des früher ent¬ deckten im Detail gewidmetes Gepräge. Besonders eigenthümlich diesem Zeitalter und bezeichnend für seine Stim¬ mung sind die zahlreichen physiko-theologischen Systeme, die es hervorgebracht hat; in's Kleinliche fallende Verzerrungen des richtigen Gedankens, daß in der zweckmäßigen Organisation der Natur die göttliche Intelligenz sich bezeuge. Da verfaßte man Astro-, Bronto-, Chiono-, Hydro-, Jchthyo-theologieen u. s. w., Darlegungen der göttlichen Weisheit, wie sie sich in der Beschaffenheit der Gestirne, des Donners, des Schnees, des Wassers, der Fische offenbart. Ja auch eine Akrido(Heuschrecken)-Theologie erblickte das Licht der Welt. Nicht selten bestieg die Physiko - Theologie auch den Pegasus, und oft im Sinne der eben genannten Bestrebungen, wofür des Hamburger Rathsherrn Heinrich Brockes „Irdisches Vergnügen in Gott" einen typischen Beleg gibt. Den Geist dieses Reimwerkes charakterisirt es, daß es sogar über den Nutzen der Nase reflMrt und denselben darin findet, daß alle Wohlgerüche der Welt könnte kein Geschöpf gebrauchen, müßten ungenützt verrauchen, wär die Nase nicht geschickt, daß sie sich dadurch erquickt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/143>, abgerufen am 27.09.2024.