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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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gelassen hat, jene "erbarmungslos gransame deutsche Wahrhaftigkeit", die mehr
als alles Andere ihm auch aus Friedrich's des Großen Wesen so sympathisch
entgegenklingt, und auf der wiederum die stolze Unabhängigkeit von herge¬
brachten und scheinbar anerkannten Meinungen beruht, wie sie auch das vor¬
liegende Buch charakterisirt. Wie manche fromme Denkungsart hat schon der
entsetzlich geringe Respekt, den Treitschke vor gewissen Dingen hat, mit einer
Gänsehaut überlaufen! Auch in seinem neuesten Werke findet sich dazu reich¬
liche Gelegenheit. Schonungslos, schneidig, derb, nennt er die Sache beim
rechten Namen, mag dieser auch häßlich klingen, sobald die Sache häßlich ist;
was Niedertracht ist, das heißt bei ihm auch Niedertracht, gleichviel, von wem
sie geübt wird; selbst da, wo er liebt, duldet er weder, noch versucht er Be¬
schönigung. Dafür aber besitzt er auf der anderen Seite die volle Empfäng¬
lichkeit für Alles, was kraftvoll, wahrhaft gut und schon ist, und mit freudiger
Bewunderung folgt er den Schritten der großen Männer, die unseres Volkes
Führer gewesen sind. So durchläuft er die ganze Tonleiter der Empfindungen.
Wenn er hier über Wrede, "den rohesten Prahler unter den Landsknechten des
Rheinbundes", oder über "die Verräther am Vaterlande, denen die im Dienste
des Landesfeiudes erworbene schimpfliche Bente erhalten ward", die Schale
seines Zornes ausgießt, so zeigt er doch mit lächelnder Ironie, wie im Schlosse
zu Anholt die zarten Hände der Prinzessinnen an der Fahne sticken, welche
der Kriegsmacht der Sayn-sayn'schen Nation zu Kampf und Sieg voranleuchten
sollte, oder wie wunderbar die Großmuth und die religiösen Grundsätze des
Czaren Alexander mit dem Vortheile des Hauses Gottorp übereinzustimmen
pflegten; während er hier die Kaiserin Marie Louise mit epigrammatischer
Schärfe abfertigt: "Sie kehrte nicht in die Tuilerieen zurück: - die Treue der
Oesterreicherin gehörte nur dem Glückskinde, nicht dem Gatten", so klingt dort
ein tiefer Brustton ans der Schilderung von Napoleon's Lebensende hervor:
"Dort auf der einsamen Felseninsel hat der Gefangene mit eigenen Händen
eine Strafe über sich verhängt, wie sie der bitterste Feind nicht grausamer er¬
sinnen konnte. Das titanische Leben nahm ein gaunerhaftes Ende. Mit wüstem
Gezänk und der gewerbmäßigen Verbreitung ungeheuerlicher Lügen füllte er
seine letzten Jahre aus; er selber riß den Schleier hinweg von der bodenlosen
Gemeinheit des Riesengeistes, der sich einst erdreistet hatte, der Welt den Fuß
auf den Nacken zu setzen." Und dann wieder die mächtige Erregung des
Herzens, welche die Darstellung des ganzen Befreiungskrieges mit feinen ge¬
waltigen Peripetieen durchzittert, die stolze Bewunderung, die zu den Helden
desselben emporschaut, die prächtige Charakteristik des alten Blücher, der weihe¬
volle Nachruf an Scharnhorst: "Tragischer hat keiner geendet von den schöp¬
ferischen Geistern unserer Geschichte!" Auch das gehört zu den Eigenthümlich-


gelassen hat, jene „erbarmungslos gransame deutsche Wahrhaftigkeit", die mehr
als alles Andere ihm auch aus Friedrich's des Großen Wesen so sympathisch
entgegenklingt, und auf der wiederum die stolze Unabhängigkeit von herge¬
brachten und scheinbar anerkannten Meinungen beruht, wie sie auch das vor¬
liegende Buch charakterisirt. Wie manche fromme Denkungsart hat schon der
entsetzlich geringe Respekt, den Treitschke vor gewissen Dingen hat, mit einer
Gänsehaut überlaufen! Auch in seinem neuesten Werke findet sich dazu reich¬
liche Gelegenheit. Schonungslos, schneidig, derb, nennt er die Sache beim
rechten Namen, mag dieser auch häßlich klingen, sobald die Sache häßlich ist;
was Niedertracht ist, das heißt bei ihm auch Niedertracht, gleichviel, von wem
sie geübt wird; selbst da, wo er liebt, duldet er weder, noch versucht er Be¬
schönigung. Dafür aber besitzt er auf der anderen Seite die volle Empfäng¬
lichkeit für Alles, was kraftvoll, wahrhaft gut und schon ist, und mit freudiger
Bewunderung folgt er den Schritten der großen Männer, die unseres Volkes
Führer gewesen sind. So durchläuft er die ganze Tonleiter der Empfindungen.
Wenn er hier über Wrede, „den rohesten Prahler unter den Landsknechten des
Rheinbundes", oder über „die Verräther am Vaterlande, denen die im Dienste
des Landesfeiudes erworbene schimpfliche Bente erhalten ward", die Schale
seines Zornes ausgießt, so zeigt er doch mit lächelnder Ironie, wie im Schlosse
zu Anholt die zarten Hände der Prinzessinnen an der Fahne sticken, welche
der Kriegsmacht der Sayn-sayn'schen Nation zu Kampf und Sieg voranleuchten
sollte, oder wie wunderbar die Großmuth und die religiösen Grundsätze des
Czaren Alexander mit dem Vortheile des Hauses Gottorp übereinzustimmen
pflegten; während er hier die Kaiserin Marie Louise mit epigrammatischer
Schärfe abfertigt: „Sie kehrte nicht in die Tuilerieen zurück: - die Treue der
Oesterreicherin gehörte nur dem Glückskinde, nicht dem Gatten", so klingt dort
ein tiefer Brustton ans der Schilderung von Napoleon's Lebensende hervor:
„Dort auf der einsamen Felseninsel hat der Gefangene mit eigenen Händen
eine Strafe über sich verhängt, wie sie der bitterste Feind nicht grausamer er¬
sinnen konnte. Das titanische Leben nahm ein gaunerhaftes Ende. Mit wüstem
Gezänk und der gewerbmäßigen Verbreitung ungeheuerlicher Lügen füllte er
seine letzten Jahre aus; er selber riß den Schleier hinweg von der bodenlosen
Gemeinheit des Riesengeistes, der sich einst erdreistet hatte, der Welt den Fuß
auf den Nacken zu setzen." Und dann wieder die mächtige Erregung des
Herzens, welche die Darstellung des ganzen Befreiungskrieges mit feinen ge¬
waltigen Peripetieen durchzittert, die stolze Bewunderung, die zu den Helden
desselben emporschaut, die prächtige Charakteristik des alten Blücher, der weihe¬
volle Nachruf an Scharnhorst: „Tragischer hat keiner geendet von den schöp¬
ferischen Geistern unserer Geschichte!" Auch das gehört zu den Eigenthümlich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/14>, abgerufen am 28.12.2024.