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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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einhält", und was etwa seine Darstellung an schulgerechter Methode vermissen
läßt, das ersetzt sie reichlich durch Lebendigkeit und Anschaulichkeit. Wir stehen
durchaus nicht an, schon jetzt Treitschke als Geschichtschreiber den gefeiertsten
Namen dieses Gebietes ebenbürtig zur Seite zu stellen.

Von Treitschke's Stil zu reden ist kaum möglich, ohne zugleich die ihm
eigenthümliche BeHandlungsweise des Stoffes mit in Betracht zu ziehen. Der
sprachliche Ausdruck ist bei ihm nicht ein Gewand, das sich kunstreich gefaltet
um den körperlichen Stoff legt, das sich diesem nach Belieben bald umgeben, bald
abnehmen läßt, nein, er ist die dem Körper angewachsene Haut, die demselben
Rundung und Anmuth verleiht, sich aber nicht ablösen läßt, ohne ihn selbst
zu zerstören; so untrennbar gehören hier Inhalt und Form zusammen. Die
zündende Kraft des Vortrages, die Treitschke zu einem der wirkungsvollsten
Redner auf dem Katheder gemacht hat und die auch seinem schriftlichen Aus¬
drucke innewohnt, die große Kunst, die er besitzt, nie langweilig zu werden, sie
stammt nicht aus einer besonders sorgfältigen Behandlung der Form; die
rhetorischen Mittel, deren er sich bedient, sind ungemein einfach, ja, man möchte
sagen, er verschmäht sie gänzlich; sein Stil ist so schlicht wie nur denkbar und
dabei dennoch höchst effektvoll und pathetisch. Aber dieses Pathos ist nicht ein
rhetorisches, sondern ein sittliches; was seinen Worten ihre Energie verleiht,
sie so tiefeindringend macht, ist nicht die sprachliche Kunst, sondern der Charakter.
Treitschke theilt nie blos dem Leser ein gewisses Quantum von Kenntnissen
mit, sondern er setzt jedesmal seine ganze Persönlichkeit ein für das, was er
vertheidigt, oder gegen das, was er bekämpft; die wissenschaftliche Ueberzeugung
fließt ihm zusammen mit der menschlichen Empfindung. Daher das ganz indi¬
viduelle Gepräge seiner Darstellung, sodaß es unmöglich ist, ihn in einer
historischen Schule unterzubringen, daß er aber auch selbst gewiß nie eine
historische Schule wird bilden können.

Treitschke versteht das taciteische hos ira. se 8tuäio nie in dem Sinne,
daß er sich mit kühler Objektivität den Thatsachen und den Personen gegen¬
überstellt und von dem Standpunkte wissenschaftlicher Ueberlegenheit aus auf
das menschliche Gewühl zu seinen Füßen herabsieht. Wie der große Historiker
selbst, der jenes oft mißbrauchte Wort gesprochen, so liebt er und so haßt er,
nur nicht mit der blinden Leidenschaft der Partei, sondern aus ethischer Ueber¬
zeugung. Er hängt sein Herz an jede sittliche Größe, aber keine auch noch so
gewaltige Gestalt, keine noch so einflußreiche Macht vermag ihm zu imponiren,
sobald er ihre sittliche Berechtigung vermißt.

Diesem Grundzuge seiner Anschauung entspricht die Wahrhaftigkeit seines
ganzen Wesens, mit der er niemals, namentlich nicht in den politischen Kämpfen
der letzten fünfzehn Jahre, das Publikum über seine Gesinnung im Unklaren


Grenzboten II. 1879. 2

einhält", und was etwa seine Darstellung an schulgerechter Methode vermissen
läßt, das ersetzt sie reichlich durch Lebendigkeit und Anschaulichkeit. Wir stehen
durchaus nicht an, schon jetzt Treitschke als Geschichtschreiber den gefeiertsten
Namen dieses Gebietes ebenbürtig zur Seite zu stellen.

Von Treitschke's Stil zu reden ist kaum möglich, ohne zugleich die ihm
eigenthümliche BeHandlungsweise des Stoffes mit in Betracht zu ziehen. Der
sprachliche Ausdruck ist bei ihm nicht ein Gewand, das sich kunstreich gefaltet
um den körperlichen Stoff legt, das sich diesem nach Belieben bald umgeben, bald
abnehmen läßt, nein, er ist die dem Körper angewachsene Haut, die demselben
Rundung und Anmuth verleiht, sich aber nicht ablösen läßt, ohne ihn selbst
zu zerstören; so untrennbar gehören hier Inhalt und Form zusammen. Die
zündende Kraft des Vortrages, die Treitschke zu einem der wirkungsvollsten
Redner auf dem Katheder gemacht hat und die auch seinem schriftlichen Aus¬
drucke innewohnt, die große Kunst, die er besitzt, nie langweilig zu werden, sie
stammt nicht aus einer besonders sorgfältigen Behandlung der Form; die
rhetorischen Mittel, deren er sich bedient, sind ungemein einfach, ja, man möchte
sagen, er verschmäht sie gänzlich; sein Stil ist so schlicht wie nur denkbar und
dabei dennoch höchst effektvoll und pathetisch. Aber dieses Pathos ist nicht ein
rhetorisches, sondern ein sittliches; was seinen Worten ihre Energie verleiht,
sie so tiefeindringend macht, ist nicht die sprachliche Kunst, sondern der Charakter.
Treitschke theilt nie blos dem Leser ein gewisses Quantum von Kenntnissen
mit, sondern er setzt jedesmal seine ganze Persönlichkeit ein für das, was er
vertheidigt, oder gegen das, was er bekämpft; die wissenschaftliche Ueberzeugung
fließt ihm zusammen mit der menschlichen Empfindung. Daher das ganz indi¬
viduelle Gepräge seiner Darstellung, sodaß es unmöglich ist, ihn in einer
historischen Schule unterzubringen, daß er aber auch selbst gewiß nie eine
historische Schule wird bilden können.

Treitschke versteht das taciteische hos ira. se 8tuäio nie in dem Sinne,
daß er sich mit kühler Objektivität den Thatsachen und den Personen gegen¬
überstellt und von dem Standpunkte wissenschaftlicher Ueberlegenheit aus auf
das menschliche Gewühl zu seinen Füßen herabsieht. Wie der große Historiker
selbst, der jenes oft mißbrauchte Wort gesprochen, so liebt er und so haßt er,
nur nicht mit der blinden Leidenschaft der Partei, sondern aus ethischer Ueber¬
zeugung. Er hängt sein Herz an jede sittliche Größe, aber keine auch noch so
gewaltige Gestalt, keine noch so einflußreiche Macht vermag ihm zu imponiren,
sobald er ihre sittliche Berechtigung vermißt.

Diesem Grundzuge seiner Anschauung entspricht die Wahrhaftigkeit seines
ganzen Wesens, mit der er niemals, namentlich nicht in den politischen Kämpfen
der letzten fünfzehn Jahre, das Publikum über seine Gesinnung im Unklaren


Grenzboten II. 1879. 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/13>, abgerufen am 28.12.2024.