Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Wohnstätte der Pelasger, der Ureinwohner des Landes, ein gewisses Interesse
hat. Ihm gegenüber, diesseits des Stromes, nimmt die berühmte Kallirrhoö
ihren Ursprung.

Wie die wasserreiche jenseitige Kephissos - Ebene zur Bodenkultur, zu
Straßenanlagen das geeignete Terrain bildete, so luden die trockenen, höher
gelegenen Ufer des damals wasserreichen Ilissos zur Anlage von Wohnungen
ein. Vier Perioden kann man von den Anfängen der städtischen Entwickelung
an bis zum Verfall unterscheiden. Während dieser verschiedenen Zeitabschnitte
sehen wir das eigentliche Zentrum der Stadt nach und nach um die Burg
herum verschoben, von der Südseite her allmählich nach Nordwesten, von da
mehr und mehr nach Osten gerückt, bis schließlich der Zentralpunkt wiederum
der Südostseite der Burg sich zuwendet, also dahin zurückkehrt, von wo er
ausgegangen.

Die erste Periode gehört der Tradition an. Von der See her erfolgten
die ersten Ansiedelungen. Zahlreiche Ueberreste antiker Bauten an der Süd¬
seite des jetzigen Piräus, besonders auf der kleinen Halbinsel Akte sind Zeugen
jener Zeit, wo auf der Höhe von Munychia phönikische Ansiedler das erste
Herakles-Heiligthum auf attischem Boden gegründet. Kein Ort bot günstigere
Gelegenheit für weitere Ansiedelungen, als die Umgegend von Athen. Die
Südostabhänge der Pnyx-Berge mit ihrer gesunden Lage und freien Aussicht
auf die See schienen ganz besonders zweckentsprechend. In der That zeigen
sowohl die Abhänge der eigentlichen Pnyx wie die des Nymphenhügels aus¬
gedehnte Spuren ältester Niederlassungen. Gewöhnlich bezeichnet man sie als
Felsenstadt, nach Curtius bildeten sie vielleicht das phönikische Meine. Der
Charakter jener Häuser ist sehr primitiv; gewöhnlich bestehen sie nur aus einem
einzigen Raume mit einfach in den Felsen gehauenen Ruck- und Seitenwänden.
Vielfache Spuren von Straßen, öffentlichen Plätzen und Opferstätten geben
Zeugniß von dem städtischen Charakter dieser Niederlassungen, insbesondere die
große Altarterrasse am AbHange der Pnyx, wo man in jenen Zeiten erster
Entwickelung dem höchsten Zeus (^-v? v?rttros) unter freiem Himmel Stier¬
opfer brachte. Uebrigens waren schon zu jener Zeit auch andere Theile, wie
die Westabhänge der Akropolis, die Südseite des Lykabettos, die Ufer des
Ilissos mehr oder weniger bewohnt. Wie später, nach Einwanderung der
Kekropiden, aus diesen verstreuten Niederlassungen die Stadt als solche, mit
dem Herrschersitz der Akropolis hervorgegangen, wie der Sage nach Athene
und Poseidon sich um den Besitz des Landes gestritten, bis schließlich jene die
Siegerin blieb und als alleinige Herrin der Burg anerkannt wurde, wie so¬
dann Athen Landeshauptstadt und, nach Herodot, aus Athenäern Jonier wurden,
von alledem zeugt keine Spur, kein Monument deutet darauf hin. Jedenfalls


Wohnstätte der Pelasger, der Ureinwohner des Landes, ein gewisses Interesse
hat. Ihm gegenüber, diesseits des Stromes, nimmt die berühmte Kallirrhoö
ihren Ursprung.

Wie die wasserreiche jenseitige Kephissos - Ebene zur Bodenkultur, zu
Straßenanlagen das geeignete Terrain bildete, so luden die trockenen, höher
gelegenen Ufer des damals wasserreichen Ilissos zur Anlage von Wohnungen
ein. Vier Perioden kann man von den Anfängen der städtischen Entwickelung
an bis zum Verfall unterscheiden. Während dieser verschiedenen Zeitabschnitte
sehen wir das eigentliche Zentrum der Stadt nach und nach um die Burg
herum verschoben, von der Südseite her allmählich nach Nordwesten, von da
mehr und mehr nach Osten gerückt, bis schließlich der Zentralpunkt wiederum
der Südostseite der Burg sich zuwendet, also dahin zurückkehrt, von wo er
ausgegangen.

Die erste Periode gehört der Tradition an. Von der See her erfolgten
die ersten Ansiedelungen. Zahlreiche Ueberreste antiker Bauten an der Süd¬
seite des jetzigen Piräus, besonders auf der kleinen Halbinsel Akte sind Zeugen
jener Zeit, wo auf der Höhe von Munychia phönikische Ansiedler das erste
Herakles-Heiligthum auf attischem Boden gegründet. Kein Ort bot günstigere
Gelegenheit für weitere Ansiedelungen, als die Umgegend von Athen. Die
Südostabhänge der Pnyx-Berge mit ihrer gesunden Lage und freien Aussicht
auf die See schienen ganz besonders zweckentsprechend. In der That zeigen
sowohl die Abhänge der eigentlichen Pnyx wie die des Nymphenhügels aus¬
gedehnte Spuren ältester Niederlassungen. Gewöhnlich bezeichnet man sie als
Felsenstadt, nach Curtius bildeten sie vielleicht das phönikische Meine. Der
Charakter jener Häuser ist sehr primitiv; gewöhnlich bestehen sie nur aus einem
einzigen Raume mit einfach in den Felsen gehauenen Ruck- und Seitenwänden.
Vielfache Spuren von Straßen, öffentlichen Plätzen und Opferstätten geben
Zeugniß von dem städtischen Charakter dieser Niederlassungen, insbesondere die
große Altarterrasse am AbHange der Pnyx, wo man in jenen Zeiten erster
Entwickelung dem höchsten Zeus (^-v? v?rttros) unter freiem Himmel Stier¬
opfer brachte. Uebrigens waren schon zu jener Zeit auch andere Theile, wie
die Westabhänge der Akropolis, die Südseite des Lykabettos, die Ufer des
Ilissos mehr oder weniger bewohnt. Wie später, nach Einwanderung der
Kekropiden, aus diesen verstreuten Niederlassungen die Stadt als solche, mit
dem Herrschersitz der Akropolis hervorgegangen, wie der Sage nach Athene
und Poseidon sich um den Besitz des Landes gestritten, bis schließlich jene die
Siegerin blieb und als alleinige Herrin der Burg anerkannt wurde, wie so¬
dann Athen Landeshauptstadt und, nach Herodot, aus Athenäern Jonier wurden,
von alledem zeugt keine Spur, kein Monument deutet darauf hin. Jedenfalls


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142084"/>
          <p xml:id="ID_374" prev="#ID_373"> Wohnstätte der Pelasger, der Ureinwohner des Landes, ein gewisses Interesse<lb/>
hat. Ihm gegenüber, diesseits des Stromes, nimmt die berühmte Kallirrhoö<lb/>
ihren Ursprung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_375"> Wie die wasserreiche jenseitige Kephissos - Ebene zur Bodenkultur, zu<lb/>
Straßenanlagen das geeignete Terrain bildete, so luden die trockenen, höher<lb/>
gelegenen Ufer des damals wasserreichen Ilissos zur Anlage von Wohnungen<lb/>
ein. Vier Perioden kann man von den Anfängen der städtischen Entwickelung<lb/>
an bis zum Verfall unterscheiden. Während dieser verschiedenen Zeitabschnitte<lb/>
sehen wir das eigentliche Zentrum der Stadt nach und nach um die Burg<lb/>
herum verschoben, von der Südseite her allmählich nach Nordwesten, von da<lb/>
mehr und mehr nach Osten gerückt, bis schließlich der Zentralpunkt wiederum<lb/>
der Südostseite der Burg sich zuwendet, also dahin zurückkehrt, von wo er<lb/>
ausgegangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_376" next="#ID_377"> Die erste Periode gehört der Tradition an. Von der See her erfolgten<lb/>
die ersten Ansiedelungen. Zahlreiche Ueberreste antiker Bauten an der Süd¬<lb/>
seite des jetzigen Piräus, besonders auf der kleinen Halbinsel Akte sind Zeugen<lb/>
jener Zeit, wo auf der Höhe von Munychia phönikische Ansiedler das erste<lb/>
Herakles-Heiligthum auf attischem Boden gegründet. Kein Ort bot günstigere<lb/>
Gelegenheit für weitere Ansiedelungen, als die Umgegend von Athen. Die<lb/>
Südostabhänge der Pnyx-Berge mit ihrer gesunden Lage und freien Aussicht<lb/>
auf die See schienen ganz besonders zweckentsprechend. In der That zeigen<lb/>
sowohl die Abhänge der eigentlichen Pnyx wie die des Nymphenhügels aus¬<lb/>
gedehnte Spuren ältester Niederlassungen. Gewöhnlich bezeichnet man sie als<lb/>
Felsenstadt, nach Curtius bildeten sie vielleicht das phönikische Meine. Der<lb/>
Charakter jener Häuser ist sehr primitiv; gewöhnlich bestehen sie nur aus einem<lb/>
einzigen Raume mit einfach in den Felsen gehauenen Ruck- und Seitenwänden.<lb/>
Vielfache Spuren von Straßen, öffentlichen Plätzen und Opferstätten geben<lb/>
Zeugniß von dem städtischen Charakter dieser Niederlassungen, insbesondere die<lb/>
große Altarterrasse am AbHange der Pnyx, wo man in jenen Zeiten erster<lb/>
Entwickelung dem höchsten Zeus (^-v? v?rttros) unter freiem Himmel Stier¬<lb/>
opfer brachte. Uebrigens waren schon zu jener Zeit auch andere Theile, wie<lb/>
die Westabhänge der Akropolis, die Südseite des Lykabettos, die Ufer des<lb/>
Ilissos mehr oder weniger bewohnt. Wie später, nach Einwanderung der<lb/>
Kekropiden, aus diesen verstreuten Niederlassungen die Stadt als solche, mit<lb/>
dem Herrschersitz der Akropolis hervorgegangen, wie der Sage nach Athene<lb/>
und Poseidon sich um den Besitz des Landes gestritten, bis schließlich jene die<lb/>
Siegerin blieb und als alleinige Herrin der Burg anerkannt wurde, wie so¬<lb/>
dann Athen Landeshauptstadt und, nach Herodot, aus Athenäern Jonier wurden,<lb/>
von alledem zeugt keine Spur, kein Monument deutet darauf hin. Jedenfalls</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0129] Wohnstätte der Pelasger, der Ureinwohner des Landes, ein gewisses Interesse hat. Ihm gegenüber, diesseits des Stromes, nimmt die berühmte Kallirrhoö ihren Ursprung. Wie die wasserreiche jenseitige Kephissos - Ebene zur Bodenkultur, zu Straßenanlagen das geeignete Terrain bildete, so luden die trockenen, höher gelegenen Ufer des damals wasserreichen Ilissos zur Anlage von Wohnungen ein. Vier Perioden kann man von den Anfängen der städtischen Entwickelung an bis zum Verfall unterscheiden. Während dieser verschiedenen Zeitabschnitte sehen wir das eigentliche Zentrum der Stadt nach und nach um die Burg herum verschoben, von der Südseite her allmählich nach Nordwesten, von da mehr und mehr nach Osten gerückt, bis schließlich der Zentralpunkt wiederum der Südostseite der Burg sich zuwendet, also dahin zurückkehrt, von wo er ausgegangen. Die erste Periode gehört der Tradition an. Von der See her erfolgten die ersten Ansiedelungen. Zahlreiche Ueberreste antiker Bauten an der Süd¬ seite des jetzigen Piräus, besonders auf der kleinen Halbinsel Akte sind Zeugen jener Zeit, wo auf der Höhe von Munychia phönikische Ansiedler das erste Herakles-Heiligthum auf attischem Boden gegründet. Kein Ort bot günstigere Gelegenheit für weitere Ansiedelungen, als die Umgegend von Athen. Die Südostabhänge der Pnyx-Berge mit ihrer gesunden Lage und freien Aussicht auf die See schienen ganz besonders zweckentsprechend. In der That zeigen sowohl die Abhänge der eigentlichen Pnyx wie die des Nymphenhügels aus¬ gedehnte Spuren ältester Niederlassungen. Gewöhnlich bezeichnet man sie als Felsenstadt, nach Curtius bildeten sie vielleicht das phönikische Meine. Der Charakter jener Häuser ist sehr primitiv; gewöhnlich bestehen sie nur aus einem einzigen Raume mit einfach in den Felsen gehauenen Ruck- und Seitenwänden. Vielfache Spuren von Straßen, öffentlichen Plätzen und Opferstätten geben Zeugniß von dem städtischen Charakter dieser Niederlassungen, insbesondere die große Altarterrasse am AbHange der Pnyx, wo man in jenen Zeiten erster Entwickelung dem höchsten Zeus (^-v? v?rttros) unter freiem Himmel Stier¬ opfer brachte. Uebrigens waren schon zu jener Zeit auch andere Theile, wie die Westabhänge der Akropolis, die Südseite des Lykabettos, die Ufer des Ilissos mehr oder weniger bewohnt. Wie später, nach Einwanderung der Kekropiden, aus diesen verstreuten Niederlassungen die Stadt als solche, mit dem Herrschersitz der Akropolis hervorgegangen, wie der Sage nach Athene und Poseidon sich um den Besitz des Landes gestritten, bis schließlich jene die Siegerin blieb und als alleinige Herrin der Burg anerkannt wurde, wie so¬ dann Athen Landeshauptstadt und, nach Herodot, aus Athenäern Jonier wurden, von alledem zeugt keine Spur, kein Monument deutet darauf hin. Jedenfalls

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/129
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/129>, abgerufen am 10.01.2025.