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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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gegen die früheren Arbeiten manches wesentlich Neue. Das erste Mal hatte
man sich im Allgemeinen damit begnügt, die Stadt in ihrer jetzigen Ge¬
stalt möglichst genau darzustellen. Altes und Neues erschien dabei gemischt, so
daß es unmöglich war, ein Bild von der antiken Stadt als solcher zu
gewinnen. Die diesmalige Arbeit stellte sich dagegen die Aufgabe, auf Grund
historischer Daten und gestützt auf die vorhandenen Ueberreste, die ehemalige
Stadt mit ihren Straßen, öffentlichen Plätzen, Bauten und Kanälen zur voll¬
ständigen Darstellung zu bringen, so daß gleichzeitig ihre Lage zur jetzigen
Stadt ersichtlich wird.

Das Terrain Athen's ist im Wesentlichen durch drei Höhengruppen charak-
terisirt, die man als Ausläufer einer Bergkette betrachten kann, welche von
Norden nach Süden die Ebene durchschneidet, die sogenannten Turko-vuni
(Türkenberge). Sie bilden die Wasserscheide der beiden Hauptgewässer der atti¬
schen Ebene, des Ilissos im Osten und des Kephissos auf der Westseite. Die
nördlichste jener Gruppen bildet zwei Kuppen, deren höhere, der Lykcibettos
mit seinen Südwest-Abhängen, das Stadtgebiet im Norden begrenzt. Durch
eine muldenförmige Thalsenkung werden sie mit der mittleren verbunden, die
den eigentlichen Kern der Stadt bezeichnet: die Höhe der Akropolis. Felsiges,
zerklüftetes Gestein mit Höhlungen und Grotten charakterisirt ihre Nordabhänge,
in deren westlichem Theil die altberühmte Klepsydra entspringt. Im Westen
sieht man die wilde Felsmasse des Areopag vorgelagert, den Sitz der alten
Blutgerichte. Noch bezeichnen 16 Stufen die Stelle, wo die Richter zu
ihren Sitzungen emporstiegen. Durch eine ähnliche, wenn auch weniger breite
Senkung hängt wieder die mittlere Gruppe mit der südlichsten der Pnyx-Ge¬
birge zusammen, welche die natürliche Begrenzung der Stadt im Südwesten
bildet. Diese letzte Gruppe gliedert sich abermals in drei Abschnitte. Den öst¬
lichsten bildet der Philopappos-Hügel, nach einem noch jetzt dort befindlichen
alten Monumente benannt. Ihm schließt sich, halbkreisförmig nach Süden hin
vorspringend, die eigentliche Pnyx, der alte Volksversammlungsplatz der Athener
an. Ein etwas ausgedehnteres Plateau, der Nymphenhügel, bildet den Ab¬
schluß im Westen.

Die Sage erzählt, daß Athene, als sie die Burg gebaut, von Pallene
kommend, den Lykabettos, den sie zu ihrer Befestigung herangetragen, unter¬
wegs habe fallen lassen. In der That scheint die ganze Terrainformation auf
eine" früheren Zusammenhang jener drei Gebirgsgruppen hinzuweisen, die von
Nord- wie von Süd-West her die Stadt einschließen. Im Süd-Osten bildet
das Flußbett des Ilissos die natürliche Begrenzung. Was jenseits lag, war
schon in ältesten Zeiten Sitz der Landbevölkerung. Zwei Höhen erheben sich
hier, von denen besonders die südlichere, der alte Ardettos oder Helikon als


gegen die früheren Arbeiten manches wesentlich Neue. Das erste Mal hatte
man sich im Allgemeinen damit begnügt, die Stadt in ihrer jetzigen Ge¬
stalt möglichst genau darzustellen. Altes und Neues erschien dabei gemischt, so
daß es unmöglich war, ein Bild von der antiken Stadt als solcher zu
gewinnen. Die diesmalige Arbeit stellte sich dagegen die Aufgabe, auf Grund
historischer Daten und gestützt auf die vorhandenen Ueberreste, die ehemalige
Stadt mit ihren Straßen, öffentlichen Plätzen, Bauten und Kanälen zur voll¬
ständigen Darstellung zu bringen, so daß gleichzeitig ihre Lage zur jetzigen
Stadt ersichtlich wird.

Das Terrain Athen's ist im Wesentlichen durch drei Höhengruppen charak-
terisirt, die man als Ausläufer einer Bergkette betrachten kann, welche von
Norden nach Süden die Ebene durchschneidet, die sogenannten Turko-vuni
(Türkenberge). Sie bilden die Wasserscheide der beiden Hauptgewässer der atti¬
schen Ebene, des Ilissos im Osten und des Kephissos auf der Westseite. Die
nördlichste jener Gruppen bildet zwei Kuppen, deren höhere, der Lykcibettos
mit seinen Südwest-Abhängen, das Stadtgebiet im Norden begrenzt. Durch
eine muldenförmige Thalsenkung werden sie mit der mittleren verbunden, die
den eigentlichen Kern der Stadt bezeichnet: die Höhe der Akropolis. Felsiges,
zerklüftetes Gestein mit Höhlungen und Grotten charakterisirt ihre Nordabhänge,
in deren westlichem Theil die altberühmte Klepsydra entspringt. Im Westen
sieht man die wilde Felsmasse des Areopag vorgelagert, den Sitz der alten
Blutgerichte. Noch bezeichnen 16 Stufen die Stelle, wo die Richter zu
ihren Sitzungen emporstiegen. Durch eine ähnliche, wenn auch weniger breite
Senkung hängt wieder die mittlere Gruppe mit der südlichsten der Pnyx-Ge¬
birge zusammen, welche die natürliche Begrenzung der Stadt im Südwesten
bildet. Diese letzte Gruppe gliedert sich abermals in drei Abschnitte. Den öst¬
lichsten bildet der Philopappos-Hügel, nach einem noch jetzt dort befindlichen
alten Monumente benannt. Ihm schließt sich, halbkreisförmig nach Süden hin
vorspringend, die eigentliche Pnyx, der alte Volksversammlungsplatz der Athener
an. Ein etwas ausgedehnteres Plateau, der Nymphenhügel, bildet den Ab¬
schluß im Westen.

Die Sage erzählt, daß Athene, als sie die Burg gebaut, von Pallene
kommend, den Lykabettos, den sie zu ihrer Befestigung herangetragen, unter¬
wegs habe fallen lassen. In der That scheint die ganze Terrainformation auf
eine» früheren Zusammenhang jener drei Gebirgsgruppen hinzuweisen, die von
Nord- wie von Süd-West her die Stadt einschließen. Im Süd-Osten bildet
das Flußbett des Ilissos die natürliche Begrenzung. Was jenseits lag, war
schon in ältesten Zeiten Sitz der Landbevölkerung. Zwei Höhen erheben sich
hier, von denen besonders die südlichere, der alte Ardettos oder Helikon als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/128>, abgerufen am 20.10.2024.