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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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sentanten reinen Griechenthums, deren Echtheit die klassische Regelmäßigkeit der
Gesichtszüge, das rein griechische Profil, die stattliche Figur und die würdevolle
Haltung hinreichend zu erkennen gibt.

Bald tauchen Keffalonia und Zarte aus dem Meere auf, an denen vorbei
der Weg in das Herz von Hellas hineinführt. Die Gestade treten näher und
näher. Im Strahl der Morgensonne erglänzen die Gipfel des Parnaß. Nach
Süden hin zeichnen sich die blauen Linien der peloponnesischen Gebirgsland¬
schaft ab. Kahl, fast ohne jede Spur von Vegetation, sodaß in Folge des
starken Lichteffekts jede Schlucht, jede Terrainwelle, ja fast jeder Stein auf
meilenweite Entfernung deutlich erkennbar ist, bieten diese Berge in ihrem
mannichfachen Kolorit, das bald in duftiges Blau sie einhüllt, bald sie mit
rosigem Schleier überzieht, umrahmt von edeln, fast künstlerisch schönen Kon¬
turen, die sich mit wunderbarer Klarheit vom Himmel abheben, ein Bild, un¬
vergleichlich in seiner Art. Aber freilich keine Spur antiken Lebens, dort wo
zuerst der Fuß den klassischen Boden betritt. Das jetzige Korinth, ein paar
elende Baracken, befindet sich nicht einmal mehr an der Stelle der ehemaligen
Stadt. Einsam und verödet liegt das Land.

Vom jenseitigen Isthmus-Ufer bringt uns gegen Abend ein neuer Dampfer
an's Ziel der Reise. Die felsigen Klippen von Salamis und Aegina tauchen
auf. Noch eine kurze Strecke, und die ganze attische Landschaft, vom Hoch¬
gebirge rings umrahmt, im Vordergrunde der Piräus, liegt vor uns. Wiederum
buntes, orientalisches Gewühl beim Betreten des Strandes. Fremde Sprach¬
laute berühren das Ohr. Ist doch das moderne vom Altgriechischen so wesentlich
in der Aussprache verschieden, daß man im Anfang kaum einzelne Worte zu
verstehen vermag. Doch bei der Leichtigkeit der Auffassung, die auch heute
noch dem Griechen eigen, gelingt es ohne Schwierigkeit, sich über das Noth¬
wendigste zu verständigen. Vom Piräus aus führt die Eisenbahn, die einzige,
welche in Griechenland existirt, in wenigen Minuten nach Athen. Schon taucht
in der Ferne der uralte Oelwald aus, dessen knorrige, verwitterte Stämme wohl
Jahrtausenden getrotzt haben. Plötzlich, über dem dunkeln Grün hinweg, phan¬
tastisch beleuchtet vom Schimmer der Abenddämmerung, erheben sich die Säulen
der Mropolis. Wir glauben zu träumen, und doch ist es Wahrheit: da liegt
sie vor uns, die Stadt des Perikles!

Was den Zweck unserer Reise betrifft, so war die topographische Auf¬
nahme der Stadt selbst und ihrer nächsten Umgebung schon früher im Wesent¬
lichen vollendet worden und bedürfte nur einer nochmaligen Revision. Dennoch
bietet das Ergebniß, wie es vor Kurzem durch Curtius veröffentlicht worden ist,*)



*) E. Curtius und I. A. Kaupert, Atlas von Athen. Im Auftrage d. kaiserl.
deutschen archäolog. Instituts hrsg. Berlin, D. Reimer, 137S.

sentanten reinen Griechenthums, deren Echtheit die klassische Regelmäßigkeit der
Gesichtszüge, das rein griechische Profil, die stattliche Figur und die würdevolle
Haltung hinreichend zu erkennen gibt.

Bald tauchen Keffalonia und Zarte aus dem Meere auf, an denen vorbei
der Weg in das Herz von Hellas hineinführt. Die Gestade treten näher und
näher. Im Strahl der Morgensonne erglänzen die Gipfel des Parnaß. Nach
Süden hin zeichnen sich die blauen Linien der peloponnesischen Gebirgsland¬
schaft ab. Kahl, fast ohne jede Spur von Vegetation, sodaß in Folge des
starken Lichteffekts jede Schlucht, jede Terrainwelle, ja fast jeder Stein auf
meilenweite Entfernung deutlich erkennbar ist, bieten diese Berge in ihrem
mannichfachen Kolorit, das bald in duftiges Blau sie einhüllt, bald sie mit
rosigem Schleier überzieht, umrahmt von edeln, fast künstlerisch schönen Kon¬
turen, die sich mit wunderbarer Klarheit vom Himmel abheben, ein Bild, un¬
vergleichlich in seiner Art. Aber freilich keine Spur antiken Lebens, dort wo
zuerst der Fuß den klassischen Boden betritt. Das jetzige Korinth, ein paar
elende Baracken, befindet sich nicht einmal mehr an der Stelle der ehemaligen
Stadt. Einsam und verödet liegt das Land.

Vom jenseitigen Isthmus-Ufer bringt uns gegen Abend ein neuer Dampfer
an's Ziel der Reise. Die felsigen Klippen von Salamis und Aegina tauchen
auf. Noch eine kurze Strecke, und die ganze attische Landschaft, vom Hoch¬
gebirge rings umrahmt, im Vordergrunde der Piräus, liegt vor uns. Wiederum
buntes, orientalisches Gewühl beim Betreten des Strandes. Fremde Sprach¬
laute berühren das Ohr. Ist doch das moderne vom Altgriechischen so wesentlich
in der Aussprache verschieden, daß man im Anfang kaum einzelne Worte zu
verstehen vermag. Doch bei der Leichtigkeit der Auffassung, die auch heute
noch dem Griechen eigen, gelingt es ohne Schwierigkeit, sich über das Noth¬
wendigste zu verständigen. Vom Piräus aus führt die Eisenbahn, die einzige,
welche in Griechenland existirt, in wenigen Minuten nach Athen. Schon taucht
in der Ferne der uralte Oelwald aus, dessen knorrige, verwitterte Stämme wohl
Jahrtausenden getrotzt haben. Plötzlich, über dem dunkeln Grün hinweg, phan¬
tastisch beleuchtet vom Schimmer der Abenddämmerung, erheben sich die Säulen
der Mropolis. Wir glauben zu träumen, und doch ist es Wahrheit: da liegt
sie vor uns, die Stadt des Perikles!

Was den Zweck unserer Reise betrifft, so war die topographische Auf¬
nahme der Stadt selbst und ihrer nächsten Umgebung schon früher im Wesent¬
lichen vollendet worden und bedürfte nur einer nochmaligen Revision. Dennoch
bietet das Ergebniß, wie es vor Kurzem durch Curtius veröffentlicht worden ist,*)



*) E. Curtius und I. A. Kaupert, Atlas von Athen. Im Auftrage d. kaiserl.
deutschen archäolog. Instituts hrsg. Berlin, D. Reimer, 137S.
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[0127] sentanten reinen Griechenthums, deren Echtheit die klassische Regelmäßigkeit der Gesichtszüge, das rein griechische Profil, die stattliche Figur und die würdevolle Haltung hinreichend zu erkennen gibt. Bald tauchen Keffalonia und Zarte aus dem Meere auf, an denen vorbei der Weg in das Herz von Hellas hineinführt. Die Gestade treten näher und näher. Im Strahl der Morgensonne erglänzen die Gipfel des Parnaß. Nach Süden hin zeichnen sich die blauen Linien der peloponnesischen Gebirgsland¬ schaft ab. Kahl, fast ohne jede Spur von Vegetation, sodaß in Folge des starken Lichteffekts jede Schlucht, jede Terrainwelle, ja fast jeder Stein auf meilenweite Entfernung deutlich erkennbar ist, bieten diese Berge in ihrem mannichfachen Kolorit, das bald in duftiges Blau sie einhüllt, bald sie mit rosigem Schleier überzieht, umrahmt von edeln, fast künstlerisch schönen Kon¬ turen, die sich mit wunderbarer Klarheit vom Himmel abheben, ein Bild, un¬ vergleichlich in seiner Art. Aber freilich keine Spur antiken Lebens, dort wo zuerst der Fuß den klassischen Boden betritt. Das jetzige Korinth, ein paar elende Baracken, befindet sich nicht einmal mehr an der Stelle der ehemaligen Stadt. Einsam und verödet liegt das Land. Vom jenseitigen Isthmus-Ufer bringt uns gegen Abend ein neuer Dampfer an's Ziel der Reise. Die felsigen Klippen von Salamis und Aegina tauchen auf. Noch eine kurze Strecke, und die ganze attische Landschaft, vom Hoch¬ gebirge rings umrahmt, im Vordergrunde der Piräus, liegt vor uns. Wiederum buntes, orientalisches Gewühl beim Betreten des Strandes. Fremde Sprach¬ laute berühren das Ohr. Ist doch das moderne vom Altgriechischen so wesentlich in der Aussprache verschieden, daß man im Anfang kaum einzelne Worte zu verstehen vermag. Doch bei der Leichtigkeit der Auffassung, die auch heute noch dem Griechen eigen, gelingt es ohne Schwierigkeit, sich über das Noth¬ wendigste zu verständigen. Vom Piräus aus führt die Eisenbahn, die einzige, welche in Griechenland existirt, in wenigen Minuten nach Athen. Schon taucht in der Ferne der uralte Oelwald aus, dessen knorrige, verwitterte Stämme wohl Jahrtausenden getrotzt haben. Plötzlich, über dem dunkeln Grün hinweg, phan¬ tastisch beleuchtet vom Schimmer der Abenddämmerung, erheben sich die Säulen der Mropolis. Wir glauben zu träumen, und doch ist es Wahrheit: da liegt sie vor uns, die Stadt des Perikles! Was den Zweck unserer Reise betrifft, so war die topographische Auf¬ nahme der Stadt selbst und ihrer nächsten Umgebung schon früher im Wesent¬ lichen vollendet worden und bedürfte nur einer nochmaligen Revision. Dennoch bietet das Ergebniß, wie es vor Kurzem durch Curtius veröffentlicht worden ist,*) *) E. Curtius und I. A. Kaupert, Atlas von Athen. Im Auftrage d. kaiserl. deutschen archäolog. Instituts hrsg. Berlin, D. Reimer, 137S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/127>, abgerufen am 10.01.2025.