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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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bestimmtes Buch weiter ausholen muß. Die Schicksale des Deutschen Bundes
bilden nur den Abschluß des zweihundertjährigen Kampfes zwischen dem Hause
Oesterreich und dem nen aufsteigenden deutschen Staate; sie bleiben dem Leser
unverständlich, wenn er nicht über die Anfänge der preußischen Monarchie und
den Untergang des heiligen Reiches unterrichtet ist. Eine allen Gebildeten ge¬
meinsame nationale Geschichtsüberlieferung hat sich in unserm kaum erst wieder¬
vereinigten Volke noch nicht entwickeln können. Jenes einmüthige Gefühl froher
Dankbarkeit, das ältere Nationen ihren politischen Helden entgegenbringen,
hegen wir Deutschen nur für die großen Namen unserer Kunst und Wissen¬
schaft; selbst über die Frage, welche Thatsachen in dem weiten Wirrsal unserer
neuen Geschichte die wahrhaft entscheidenden waren, gehen die Meinungen noch
weit auseinander."

Es liegt leider viel Wahres in diesem letzten Worte, und doch bezeichnet
gerade die einleitende Skizze auch die Grenze seiner Berechtigung. Indem sie
nicht darauf ausgeht, neue Thatsachen mitzutheilen, vielmehr sich nicht scheut,
zuweilen Allbekanntes zu wiederholen, sobald es zur Herstellung des Gesammt-
bildes nicht entbehrt werden kann, indem sie aus dem Gewirr der Ereignisse
die wesentlichen Gesichtspunkte heraushebt, die Männer und die Institutionen,
die Ideen und den Schicksalswechsel, welche unser neues Volksthum geschaffen
haben, hervortretend läßt, um "durch diese Uebersicht einen Begriff zu geben
von den großen Gegensätzen, welche den Staatsbäu unseres Mittelalters zer¬
störten und den Boden für die weltlichen Staatsgebilde des neuen Jahrhun¬
derts ebneten", stellt sie sich gewissermaßen als der Niederschlag der gesammten
bisherigen wissenschaftlichen Arbeit auf diesem Gebiete dar, der sich nunmehr,
zu einem festen Kern krystallisirt, zum unverlierbaren Eigenthum desjenigen
Theiles unseres Volkes gebildet hat, welcher überhaupt einer geschichtlichen Auf¬
fassung fähig ist. Denkt heutzutage noch irgend ein urtheilsfähiger Deutscher
daran, die windigen Ideen von Ouro Klopp und Konsorten aufrecht zu halten?
Gegründet auf die strengste wissenschaftliche Forschung, hat die nationale Ge¬
schichtschreibung siegreich das Feld behauptet.

Es ist nicht immer der feierliche Griffel der Klio, welchen der Historiker
Treitschke führt, sondern oft auch die ihm gewohnte leichtere Feder des
Essayisten; ja man ist versucht, ganze Partieen seines Buches eher für eine
Aneinanderreihung von Essays als für eine Geschichtschreibung strengeren
Stiles zu halten. Aber sollen wir ihm einen Vorwurf daraus machen, daß
er auch in dem weitergespannten Rahmen der vorliegenden Aufgabe seinem
eigentlichen Wesen treu geblieben ist? Treitschke gehört zu den Naturen, die
sich nicht verleugnen können. "Es gibt," sagt er selbst, "viele Arten, Geschichte
zu schreiben, und jede ist berechtigt, wenn sie nur ihren Stil rein und streng


bestimmtes Buch weiter ausholen muß. Die Schicksale des Deutschen Bundes
bilden nur den Abschluß des zweihundertjährigen Kampfes zwischen dem Hause
Oesterreich und dem nen aufsteigenden deutschen Staate; sie bleiben dem Leser
unverständlich, wenn er nicht über die Anfänge der preußischen Monarchie und
den Untergang des heiligen Reiches unterrichtet ist. Eine allen Gebildeten ge¬
meinsame nationale Geschichtsüberlieferung hat sich in unserm kaum erst wieder¬
vereinigten Volke noch nicht entwickeln können. Jenes einmüthige Gefühl froher
Dankbarkeit, das ältere Nationen ihren politischen Helden entgegenbringen,
hegen wir Deutschen nur für die großen Namen unserer Kunst und Wissen¬
schaft; selbst über die Frage, welche Thatsachen in dem weiten Wirrsal unserer
neuen Geschichte die wahrhaft entscheidenden waren, gehen die Meinungen noch
weit auseinander."

Es liegt leider viel Wahres in diesem letzten Worte, und doch bezeichnet
gerade die einleitende Skizze auch die Grenze seiner Berechtigung. Indem sie
nicht darauf ausgeht, neue Thatsachen mitzutheilen, vielmehr sich nicht scheut,
zuweilen Allbekanntes zu wiederholen, sobald es zur Herstellung des Gesammt-
bildes nicht entbehrt werden kann, indem sie aus dem Gewirr der Ereignisse
die wesentlichen Gesichtspunkte heraushebt, die Männer und die Institutionen,
die Ideen und den Schicksalswechsel, welche unser neues Volksthum geschaffen
haben, hervortretend läßt, um „durch diese Uebersicht einen Begriff zu geben
von den großen Gegensätzen, welche den Staatsbäu unseres Mittelalters zer¬
störten und den Boden für die weltlichen Staatsgebilde des neuen Jahrhun¬
derts ebneten", stellt sie sich gewissermaßen als der Niederschlag der gesammten
bisherigen wissenschaftlichen Arbeit auf diesem Gebiete dar, der sich nunmehr,
zu einem festen Kern krystallisirt, zum unverlierbaren Eigenthum desjenigen
Theiles unseres Volkes gebildet hat, welcher überhaupt einer geschichtlichen Auf¬
fassung fähig ist. Denkt heutzutage noch irgend ein urtheilsfähiger Deutscher
daran, die windigen Ideen von Ouro Klopp und Konsorten aufrecht zu halten?
Gegründet auf die strengste wissenschaftliche Forschung, hat die nationale Ge¬
schichtschreibung siegreich das Feld behauptet.

Es ist nicht immer der feierliche Griffel der Klio, welchen der Historiker
Treitschke führt, sondern oft auch die ihm gewohnte leichtere Feder des
Essayisten; ja man ist versucht, ganze Partieen seines Buches eher für eine
Aneinanderreihung von Essays als für eine Geschichtschreibung strengeren
Stiles zu halten. Aber sollen wir ihm einen Vorwurf daraus machen, daß
er auch in dem weitergespannten Rahmen der vorliegenden Aufgabe seinem
eigentlichen Wesen treu geblieben ist? Treitschke gehört zu den Naturen, die
sich nicht verleugnen können. „Es gibt," sagt er selbst, „viele Arten, Geschichte
zu schreiben, und jede ist berechtigt, wenn sie nur ihren Stil rein und streng


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/12>, abgerufen am 28.12.2024.