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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Theilen, die sich feindlich gegenüberstehen, einem vernunftlosen, unlogischen, und
einem logischen, vernünftigen Theil. Und auch der Gegensatz von Freiheit und
Nothwendigkeit ist in schroffster Trennung auf diese beiden Seiten der Gottheit
vertheilt. Der vernunftlose Theil ist frei, er will und handelt ohne jeden
Grund, ohne Ursache, ohne Motiv, seine Entscheidung steht außerhalb des Ge¬
setzes der Kausalität, sie ist ein "absolut zufälliger Akt". Der Vernunfttheil
dagegen trägt in sich Nothwendigkeit: er kann zwar eben deshalb, weil er
nicht frei, nichts aus sich selbst anfangen, aber er enthält in sich mit unaus¬
weichlicher Gesetzmäßigkeit, fatalistisch, alles vorgezeichnet, was allein eintreten
und existiren kann, wenn es überhaupt zu einem Weltdasein kommt. Daß es
zu solchem Dasein kam, dies war keineswegs logisch gefordert, keineswegs
nothwendig, vielmehr war eben dies ausschließlich das Werk des unlogischen
Faktors, jenes blinden, grünt- und ursachlosen, thörichten Znfallwillens. Aber
das, was nun durch solchen überflüssigen und beklagenswerthen Akt zum Dasein
gekommen und fernerhin kommt, ist in allen seinen Einzelheiten, in Dingen
und Ereignissen, das einzig Mögliche, unbedingt Nothwendige, logisch Geforderte.
"Das Eine steht uns frei, im Andern sind wir Knechte" -- so müßten hier
die Elohim sprechen. Daß aber eine That, der aller logische Gehalt fehlte,
schon darum allein mit logischer Nothwendigkeit zu Unheil führen mußte, liegt
Nahe. Ein Wollen, ein Zwecksetzen, das der Vernunft entspränge, würde
Glückseligkeit zum Inhalte haben: das Wohl, die höchstmögliche Förderung der
..Eudämonie", der Seligkeit, ist der allein logisch denkbare Zweck (S. 846).
Die That des unlogischen Willens wird demnach eine unheilvolle, eine Schmerz
und Leiden erzeugende sein. Ihr nächster Erfolg ist die Unseligkeit Gottes
selbst, der Schmerz seiner Vernunft über seine Unvernunft. "Dieser Annahme
kann man gewiß nicht den Vorwurf der willkürlichen Jdealdichtung machen;
ihre Zulässigkeit ist unbestreitbar, wenn dem Absoluten nicht die elementarste
psychische Funktion -- die Unlustempfindung der Nichtbefriedigung des Willens --
entzogen werden soll." (S. 866, Anm.) Nun folgt alles Weitere von selbst:
die Vernunft kann nichts Anderes wollen, als das Geschehene thunlichst rück¬
gängig machen. Hierin liegt die in ihr ruhende und nunmehr wirksam
werdende Nothwendigkeit von der ethischen Seite. Die Vernunft der Gottheit
konnte sich jetzt nur "darauf richten, den Zustand der Unseligkeit zu beseitigen,
und zu dem Zustande des Friedens und der unlustfreien Stille zu gelangen;
dann wird es begreiflich, daß das Absolute sich in die unsäglichen Leiden des
Weltprozesses stürzt, wofern dieser Prozeß als das Mittel zur Beendigung
jenes Zustandes der Unseligkeit gelten darf; ... die endlose Unseligkeit würde
auf jeden Fall schlimmer zu ertragen sein, als eine noch so intensive endliche
Qual. Das Elend des Daseins in der Welt wäre also gewissermaßen wie


Theilen, die sich feindlich gegenüberstehen, einem vernunftlosen, unlogischen, und
einem logischen, vernünftigen Theil. Und auch der Gegensatz von Freiheit und
Nothwendigkeit ist in schroffster Trennung auf diese beiden Seiten der Gottheit
vertheilt. Der vernunftlose Theil ist frei, er will und handelt ohne jeden
Grund, ohne Ursache, ohne Motiv, seine Entscheidung steht außerhalb des Ge¬
setzes der Kausalität, sie ist ein „absolut zufälliger Akt". Der Vernunfttheil
dagegen trägt in sich Nothwendigkeit: er kann zwar eben deshalb, weil er
nicht frei, nichts aus sich selbst anfangen, aber er enthält in sich mit unaus¬
weichlicher Gesetzmäßigkeit, fatalistisch, alles vorgezeichnet, was allein eintreten
und existiren kann, wenn es überhaupt zu einem Weltdasein kommt. Daß es
zu solchem Dasein kam, dies war keineswegs logisch gefordert, keineswegs
nothwendig, vielmehr war eben dies ausschließlich das Werk des unlogischen
Faktors, jenes blinden, grünt- und ursachlosen, thörichten Znfallwillens. Aber
das, was nun durch solchen überflüssigen und beklagenswerthen Akt zum Dasein
gekommen und fernerhin kommt, ist in allen seinen Einzelheiten, in Dingen
und Ereignissen, das einzig Mögliche, unbedingt Nothwendige, logisch Geforderte.
„Das Eine steht uns frei, im Andern sind wir Knechte" — so müßten hier
die Elohim sprechen. Daß aber eine That, der aller logische Gehalt fehlte,
schon darum allein mit logischer Nothwendigkeit zu Unheil führen mußte, liegt
Nahe. Ein Wollen, ein Zwecksetzen, das der Vernunft entspränge, würde
Glückseligkeit zum Inhalte haben: das Wohl, die höchstmögliche Förderung der
..Eudämonie", der Seligkeit, ist der allein logisch denkbare Zweck (S. 846).
Die That des unlogischen Willens wird demnach eine unheilvolle, eine Schmerz
und Leiden erzeugende sein. Ihr nächster Erfolg ist die Unseligkeit Gottes
selbst, der Schmerz seiner Vernunft über seine Unvernunft. „Dieser Annahme
kann man gewiß nicht den Vorwurf der willkürlichen Jdealdichtung machen;
ihre Zulässigkeit ist unbestreitbar, wenn dem Absoluten nicht die elementarste
psychische Funktion — die Unlustempfindung der Nichtbefriedigung des Willens —
entzogen werden soll." (S. 866, Anm.) Nun folgt alles Weitere von selbst:
die Vernunft kann nichts Anderes wollen, als das Geschehene thunlichst rück¬
gängig machen. Hierin liegt die in ihr ruhende und nunmehr wirksam
werdende Nothwendigkeit von der ethischen Seite. Die Vernunft der Gottheit
konnte sich jetzt nur „darauf richten, den Zustand der Unseligkeit zu beseitigen,
und zu dem Zustande des Friedens und der unlustfreien Stille zu gelangen;
dann wird es begreiflich, daß das Absolute sich in die unsäglichen Leiden des
Weltprozesses stürzt, wofern dieser Prozeß als das Mittel zur Beendigung
jenes Zustandes der Unseligkeit gelten darf; ... die endlose Unseligkeit würde
auf jeden Fall schlimmer zu ertragen sein, als eine noch so intensive endliche
Qual. Das Elend des Daseins in der Welt wäre also gewissermaßen wie


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[0105] Theilen, die sich feindlich gegenüberstehen, einem vernunftlosen, unlogischen, und einem logischen, vernünftigen Theil. Und auch der Gegensatz von Freiheit und Nothwendigkeit ist in schroffster Trennung auf diese beiden Seiten der Gottheit vertheilt. Der vernunftlose Theil ist frei, er will und handelt ohne jeden Grund, ohne Ursache, ohne Motiv, seine Entscheidung steht außerhalb des Ge¬ setzes der Kausalität, sie ist ein „absolut zufälliger Akt". Der Vernunfttheil dagegen trägt in sich Nothwendigkeit: er kann zwar eben deshalb, weil er nicht frei, nichts aus sich selbst anfangen, aber er enthält in sich mit unaus¬ weichlicher Gesetzmäßigkeit, fatalistisch, alles vorgezeichnet, was allein eintreten und existiren kann, wenn es überhaupt zu einem Weltdasein kommt. Daß es zu solchem Dasein kam, dies war keineswegs logisch gefordert, keineswegs nothwendig, vielmehr war eben dies ausschließlich das Werk des unlogischen Faktors, jenes blinden, grünt- und ursachlosen, thörichten Znfallwillens. Aber das, was nun durch solchen überflüssigen und beklagenswerthen Akt zum Dasein gekommen und fernerhin kommt, ist in allen seinen Einzelheiten, in Dingen und Ereignissen, das einzig Mögliche, unbedingt Nothwendige, logisch Geforderte. „Das Eine steht uns frei, im Andern sind wir Knechte" — so müßten hier die Elohim sprechen. Daß aber eine That, der aller logische Gehalt fehlte, schon darum allein mit logischer Nothwendigkeit zu Unheil führen mußte, liegt Nahe. Ein Wollen, ein Zwecksetzen, das der Vernunft entspränge, würde Glückseligkeit zum Inhalte haben: das Wohl, die höchstmögliche Förderung der ..Eudämonie", der Seligkeit, ist der allein logisch denkbare Zweck (S. 846). Die That des unlogischen Willens wird demnach eine unheilvolle, eine Schmerz und Leiden erzeugende sein. Ihr nächster Erfolg ist die Unseligkeit Gottes selbst, der Schmerz seiner Vernunft über seine Unvernunft. „Dieser Annahme kann man gewiß nicht den Vorwurf der willkürlichen Jdealdichtung machen; ihre Zulässigkeit ist unbestreitbar, wenn dem Absoluten nicht die elementarste psychische Funktion — die Unlustempfindung der Nichtbefriedigung des Willens — entzogen werden soll." (S. 866, Anm.) Nun folgt alles Weitere von selbst: die Vernunft kann nichts Anderes wollen, als das Geschehene thunlichst rück¬ gängig machen. Hierin liegt die in ihr ruhende und nunmehr wirksam werdende Nothwendigkeit von der ethischen Seite. Die Vernunft der Gottheit konnte sich jetzt nur „darauf richten, den Zustand der Unseligkeit zu beseitigen, und zu dem Zustande des Friedens und der unlustfreien Stille zu gelangen; dann wird es begreiflich, daß das Absolute sich in die unsäglichen Leiden des Weltprozesses stürzt, wofern dieser Prozeß als das Mittel zur Beendigung jenes Zustandes der Unseligkeit gelten darf; ... die endlose Unseligkeit würde auf jeden Fall schlimmer zu ertragen sein, als eine noch so intensive endliche Qual. Das Elend des Daseins in der Welt wäre also gewissermaßen wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/105>, abgerufen am 27.09.2024.