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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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halt, wie Form. So gelangen wir denn in diesem Theile zunächst zu dem
"monistischen" Prinzip, welches in einer Wesenseinheit der Individuen, ja aller
Geschöpfe, den höchsten Grund der Moralität finden will, sodann zu dem reli¬
giösen Prinzip, durch welches diese Wesenseinheit näher bestimmt wird zu einer
Wesenseinheit der Geschöpfe mit dem Absoluten, mit Gott; es folgt in dritter
Stelle das "absolute" Prinzip oder das "der absoluten Teleologie als der des
eigenen Wesens", welches zu den vorigen die nöthige Spezifikation hinzufügt,
daß unser Einssein mit Gott sich des Näheren herausstelle als ein Einwohner
der göttlichen Zweckthätigkeit, des göttlichen Zielstrebens, in der innersten
Wesenstiefe der menschlichen Persönlichkeit. Der Abschluß wird hier erreicht
in dem "Moralprinzip der Erlösung", in welchem nach Hartmann alle die vor¬
her, auch in den früheren Theilen, einzeln auf ihre Leuchtkraft geprüften
Strahlen sich in die eine Sonne der erkannten sittlichen Wahrheit zusammen¬
fassen sollen. Hier wird deshalb auf die Zielfrage zurückgegriffen und die
Problemstellung nicht unwesentlich verschoben.

Selbstverständlich kommt hiernach Alles auf Beantwortung der Frage an,
was die Vernunft für den Zweck unseres Handelns, für das zu Setzende Ziel
unseres Wollens erkenne. Jener zweite Haupttheil, der die denkbaren Ant¬
worten in diesem Betracht zu prüfen hatte, endigte mit etwas Ungesagtem.
Denn der Begriff "sittliche Weltordnung" verräth uns nicht, was denn das
Sittliche sei, und die Anweisung auf den "Kulturfortschritt" verschweigt, um
welcher Ziele willen wir "Kultur" und "Fortschritt" zu loben haben und nicht
vielmehr zu verabscheuen. Wir hören dort nur, daß das Kulturprinzip über¬
zuordnen sei dem Prinzip des Gemeinwohles, daß die Steigerung der Kultur
keineswegs das Wohl steigere und verbreite, sondern die Uebel vermehre, und
daß man deshalb wohlthue, das Kulturprinzip aus Barmherzigkeit mit dem
immerhin niederen, minder berechtigten Prinzip des Gemeinwohles zu kombi-
niren, wie das schwache Weib gefühlvoll und lind dem starken Manne zu
Diensten steht, die harte Arbeit versüßend, die Wunden pflegend, wo möglich
heilend. Wir erfahren dort ferner, daß es eine Rangordnung der Zwecke gebe
in der sittlichen Schätzung und in der Verbindlichkeit für den vernünftigen
Willen: das Interesse der weiteren, umfassenderen Gemeinschaft -- gleichsam
eines höheren Gesammt-Jndividuums -- steht über dem Interesse der engeren,
das Interesse auch der engsten Gemeinschaft über dem des Einzelwesens;
Allem schlechthin überzuordnen ist der Zweck des Universums, der Gotteszweck.
Auf ihn hinaus geht die Kulturentwickelung, der wir dienen sollen, und um
deren willen wir Leiden schaffen und Leiden erdulden sollen. Wohl! Wir
sind dazu entschlossen; denn wir können nicht meinen, unsere Idee des Guten
sei sittlicher als Gott selbst; nennen wir Gott doch nur eben das Beste, das


halt, wie Form. So gelangen wir denn in diesem Theile zunächst zu dem
„monistischen" Prinzip, welches in einer Wesenseinheit der Individuen, ja aller
Geschöpfe, den höchsten Grund der Moralität finden will, sodann zu dem reli¬
giösen Prinzip, durch welches diese Wesenseinheit näher bestimmt wird zu einer
Wesenseinheit der Geschöpfe mit dem Absoluten, mit Gott; es folgt in dritter
Stelle das „absolute" Prinzip oder das „der absoluten Teleologie als der des
eigenen Wesens", welches zu den vorigen die nöthige Spezifikation hinzufügt,
daß unser Einssein mit Gott sich des Näheren herausstelle als ein Einwohner
der göttlichen Zweckthätigkeit, des göttlichen Zielstrebens, in der innersten
Wesenstiefe der menschlichen Persönlichkeit. Der Abschluß wird hier erreicht
in dem „Moralprinzip der Erlösung", in welchem nach Hartmann alle die vor¬
her, auch in den früheren Theilen, einzeln auf ihre Leuchtkraft geprüften
Strahlen sich in die eine Sonne der erkannten sittlichen Wahrheit zusammen¬
fassen sollen. Hier wird deshalb auf die Zielfrage zurückgegriffen und die
Problemstellung nicht unwesentlich verschoben.

Selbstverständlich kommt hiernach Alles auf Beantwortung der Frage an,
was die Vernunft für den Zweck unseres Handelns, für das zu Setzende Ziel
unseres Wollens erkenne. Jener zweite Haupttheil, der die denkbaren Ant¬
worten in diesem Betracht zu prüfen hatte, endigte mit etwas Ungesagtem.
Denn der Begriff „sittliche Weltordnung" verräth uns nicht, was denn das
Sittliche sei, und die Anweisung auf den „Kulturfortschritt" verschweigt, um
welcher Ziele willen wir „Kultur" und „Fortschritt" zu loben haben und nicht
vielmehr zu verabscheuen. Wir hören dort nur, daß das Kulturprinzip über¬
zuordnen sei dem Prinzip des Gemeinwohles, daß die Steigerung der Kultur
keineswegs das Wohl steigere und verbreite, sondern die Uebel vermehre, und
daß man deshalb wohlthue, das Kulturprinzip aus Barmherzigkeit mit dem
immerhin niederen, minder berechtigten Prinzip des Gemeinwohles zu kombi-
niren, wie das schwache Weib gefühlvoll und lind dem starken Manne zu
Diensten steht, die harte Arbeit versüßend, die Wunden pflegend, wo möglich
heilend. Wir erfahren dort ferner, daß es eine Rangordnung der Zwecke gebe
in der sittlichen Schätzung und in der Verbindlichkeit für den vernünftigen
Willen: das Interesse der weiteren, umfassenderen Gemeinschaft — gleichsam
eines höheren Gesammt-Jndividuums — steht über dem Interesse der engeren,
das Interesse auch der engsten Gemeinschaft über dem des Einzelwesens;
Allem schlechthin überzuordnen ist der Zweck des Universums, der Gotteszweck.
Auf ihn hinaus geht die Kulturentwickelung, der wir dienen sollen, und um
deren willen wir Leiden schaffen und Leiden erdulden sollen. Wohl! Wir
sind dazu entschlossen; denn wir können nicht meinen, unsere Idee des Guten
sei sittlicher als Gott selbst; nennen wir Gott doch nur eben das Beste, das


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[0103] halt, wie Form. So gelangen wir denn in diesem Theile zunächst zu dem „monistischen" Prinzip, welches in einer Wesenseinheit der Individuen, ja aller Geschöpfe, den höchsten Grund der Moralität finden will, sodann zu dem reli¬ giösen Prinzip, durch welches diese Wesenseinheit näher bestimmt wird zu einer Wesenseinheit der Geschöpfe mit dem Absoluten, mit Gott; es folgt in dritter Stelle das „absolute" Prinzip oder das „der absoluten Teleologie als der des eigenen Wesens", welches zu den vorigen die nöthige Spezifikation hinzufügt, daß unser Einssein mit Gott sich des Näheren herausstelle als ein Einwohner der göttlichen Zweckthätigkeit, des göttlichen Zielstrebens, in der innersten Wesenstiefe der menschlichen Persönlichkeit. Der Abschluß wird hier erreicht in dem „Moralprinzip der Erlösung", in welchem nach Hartmann alle die vor¬ her, auch in den früheren Theilen, einzeln auf ihre Leuchtkraft geprüften Strahlen sich in die eine Sonne der erkannten sittlichen Wahrheit zusammen¬ fassen sollen. Hier wird deshalb auf die Zielfrage zurückgegriffen und die Problemstellung nicht unwesentlich verschoben. Selbstverständlich kommt hiernach Alles auf Beantwortung der Frage an, was die Vernunft für den Zweck unseres Handelns, für das zu Setzende Ziel unseres Wollens erkenne. Jener zweite Haupttheil, der die denkbaren Ant¬ worten in diesem Betracht zu prüfen hatte, endigte mit etwas Ungesagtem. Denn der Begriff „sittliche Weltordnung" verräth uns nicht, was denn das Sittliche sei, und die Anweisung auf den „Kulturfortschritt" verschweigt, um welcher Ziele willen wir „Kultur" und „Fortschritt" zu loben haben und nicht vielmehr zu verabscheuen. Wir hören dort nur, daß das Kulturprinzip über¬ zuordnen sei dem Prinzip des Gemeinwohles, daß die Steigerung der Kultur keineswegs das Wohl steigere und verbreite, sondern die Uebel vermehre, und daß man deshalb wohlthue, das Kulturprinzip aus Barmherzigkeit mit dem immerhin niederen, minder berechtigten Prinzip des Gemeinwohles zu kombi- niren, wie das schwache Weib gefühlvoll und lind dem starken Manne zu Diensten steht, die harte Arbeit versüßend, die Wunden pflegend, wo möglich heilend. Wir erfahren dort ferner, daß es eine Rangordnung der Zwecke gebe in der sittlichen Schätzung und in der Verbindlichkeit für den vernünftigen Willen: das Interesse der weiteren, umfassenderen Gemeinschaft — gleichsam eines höheren Gesammt-Jndividuums — steht über dem Interesse der engeren, das Interesse auch der engsten Gemeinschaft über dem des Einzelwesens; Allem schlechthin überzuordnen ist der Zweck des Universums, der Gotteszweck. Auf ihn hinaus geht die Kulturentwickelung, der wir dienen sollen, und um deren willen wir Leiden schaffen und Leiden erdulden sollen. Wohl! Wir sind dazu entschlossen; denn wir können nicht meinen, unsere Idee des Guten sei sittlicher als Gott selbst; nennen wir Gott doch nur eben das Beste, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/103>, abgerufen am 28.09.2024.