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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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sei, sei es zum Heirathen noch nicht Zeit, wenn man älter geworden, nicht
mehr Zeit. Seine Abneigung gegen die Weiber wird am besten durch das
wenig rücksichtsvolle Betragen des barocken Philosophen gegen die schöne Lais,
die ihn gern reden hörte, charcikterisirt. Hochbetagt starb er, seinen alten Spruch
bestätigend, daß es die höchste That menschlicher Freiheit sei, bereitwillig zu
sterben. Man fand den neunzigjährigen Greis eines Morgens an seinem Fasse
im Krcmeion liegen, tief in seinen alten verschlissenen Mantel gehüllt, als ob
er schliefe oder meditire; als man ihn anfaßte, war er eine Leiche.

Wir tragen schließlich noch einige Aussprüche und Charakterzüge nach,
von denen auch Shakespeare's Zeitgenosse John Lilly in seinem Drama
"Alexander und Kcnnpaspe" (d. i. Pcmkaspe, Alexander's Geliebte) mehrere
verwerthet hat, um das Bild des originellen Philosophen noch etwas zu be¬
leben. Zu seinen Aussprüchen gehören die folgenden:

Ich fürchte die Götter, aber ich fürchte mich nicht vor ihnen. -- Für das
Leben muß man entweder Vernunft oder einen Stock in Bereitschaft haben. --
Man soll seineu Freunden niemals die Hand mit geschlossenen Fingern
reichen. -- Von den wilden Thieren ist der Verleumder, von den zahmen der
Schmeichler das gefährlichste. -- Der Unterricht verschafft den Jungen Einge-
zogenheit, den Alten Trost, den Armen Reichthum, den Reichen Zierde. --
Wenn du krank bist, setze nicht deinen Arzt zum Erben ein. -- Bei einer
Rede des Rhetors Anaximenes vertheilte Diogenes gepökeltes Fleisch unter die
Zuhörer, welche hierdurch mit ihrer Aufmerksamkeit natürlich von dem Redner
abgelenkt wurden. Da rief er spöttisch: "Wie? die ganze Gelehrsamkeit des
Anaximenes vernichtet ein Stückchen Pökelfleisch?" -- Als Alexander der Große
ihm sagte: "Mir liegt die ganze Welt zu Füßen," antwortete er: "Mir anch;
du beherrschest sie, ich aber verachte sie." -- Alexander fragte ihn: "Wie
denkst du über die Zeit?" Seine Antwort war: "Daß wir wenig haben
und viel verlieren." -- "Wie denkst dn von der Liebe?" wurde er ein ander¬
mal gefragt. "Etwas schlechter als vom Hasse," erwiederte der Philosoph,
"weil es besser ist, die Dinge zu hassen, welche Liebe erzengen, als die Dinge
zu lieben, welche Gelegenheit zum Hasse geben." -- Aristoteles, der ihm einst
vorwarf: "Trotz deiner Enthaltsamkeitswerke ist es von dir bekannt, daß du
Geld gefälscht hast," wurde mit der Replik abgetrumpft: "Und von dir, daß
du die Sitten gefälscht hast."

Vor dem Thore, welches nach dem Jsthmos hinausführte, ließen die
Korinther dem alten Dulder ein Denkmal von parischem Marmor setzen, aus
welchem ein Hund abgebildet war. Die griechische Anthologie hat uns ver¬
schiedene, zum Theil sehr schöne Epigramme aus dieses Grabmal hinterlassen,


sei, sei es zum Heirathen noch nicht Zeit, wenn man älter geworden, nicht
mehr Zeit. Seine Abneigung gegen die Weiber wird am besten durch das
wenig rücksichtsvolle Betragen des barocken Philosophen gegen die schöne Lais,
die ihn gern reden hörte, charcikterisirt. Hochbetagt starb er, seinen alten Spruch
bestätigend, daß es die höchste That menschlicher Freiheit sei, bereitwillig zu
sterben. Man fand den neunzigjährigen Greis eines Morgens an seinem Fasse
im Krcmeion liegen, tief in seinen alten verschlissenen Mantel gehüllt, als ob
er schliefe oder meditire; als man ihn anfaßte, war er eine Leiche.

Wir tragen schließlich noch einige Aussprüche und Charakterzüge nach,
von denen auch Shakespeare's Zeitgenosse John Lilly in seinem Drama
„Alexander und Kcnnpaspe" (d. i. Pcmkaspe, Alexander's Geliebte) mehrere
verwerthet hat, um das Bild des originellen Philosophen noch etwas zu be¬
leben. Zu seinen Aussprüchen gehören die folgenden:

Ich fürchte die Götter, aber ich fürchte mich nicht vor ihnen. — Für das
Leben muß man entweder Vernunft oder einen Stock in Bereitschaft haben. —
Man soll seineu Freunden niemals die Hand mit geschlossenen Fingern
reichen. — Von den wilden Thieren ist der Verleumder, von den zahmen der
Schmeichler das gefährlichste. — Der Unterricht verschafft den Jungen Einge-
zogenheit, den Alten Trost, den Armen Reichthum, den Reichen Zierde. —
Wenn du krank bist, setze nicht deinen Arzt zum Erben ein. — Bei einer
Rede des Rhetors Anaximenes vertheilte Diogenes gepökeltes Fleisch unter die
Zuhörer, welche hierdurch mit ihrer Aufmerksamkeit natürlich von dem Redner
abgelenkt wurden. Da rief er spöttisch: „Wie? die ganze Gelehrsamkeit des
Anaximenes vernichtet ein Stückchen Pökelfleisch?" — Als Alexander der Große
ihm sagte: „Mir liegt die ganze Welt zu Füßen," antwortete er: „Mir anch;
du beherrschest sie, ich aber verachte sie." — Alexander fragte ihn: „Wie
denkst du über die Zeit?" Seine Antwort war: „Daß wir wenig haben
und viel verlieren." — „Wie denkst dn von der Liebe?" wurde er ein ander¬
mal gefragt. „Etwas schlechter als vom Hasse," erwiederte der Philosoph,
„weil es besser ist, die Dinge zu hassen, welche Liebe erzengen, als die Dinge
zu lieben, welche Gelegenheit zum Hasse geben." — Aristoteles, der ihm einst
vorwarf: „Trotz deiner Enthaltsamkeitswerke ist es von dir bekannt, daß du
Geld gefälscht hast," wurde mit der Replik abgetrumpft: „Und von dir, daß
du die Sitten gefälscht hast."

Vor dem Thore, welches nach dem Jsthmos hinausführte, ließen die
Korinther dem alten Dulder ein Denkmal von parischem Marmor setzen, aus
welchem ein Hund abgebildet war. Die griechische Anthologie hat uns ver¬
schiedene, zum Theil sehr schöne Epigramme aus dieses Grabmal hinterlassen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/98>, abgerufen am 24.07.2024.