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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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ich nicht auf offenem Markte essen," fragte er, "da ich auf offenem Markte
hungerte? Der Reiche soll speisen, wenn er will, der Arme, wenn er kann."
Als Aristipp einst zu ihm trat und ihn mit den Worten höhnte: "Wüßtest
du dich Königen angenehm zu machen, so brauchtest du deinen Kohl nicht
selbst zu waschen," erwiederte er ihm: "Und du, wenn du deinen Kohl selbst
wüschest, brauchtest du dich nicht zu bemühen, dich den Königen angenehm
zu machen."

Der Satz, den Göttern eigne es, nichts zu bedürfen, den Menschen aber,
die ihnen ähnlich werden sollen, gezieme es, wenig zu bedürfen, bildete die
Grundnorm seines Lebens, aus welchem er einen beständigen Kampf gegen die
Reichen und Besitzenden machte. In seiner verloren gegangenen Schrift "Dia-
triben" nennt er vornehme Leute nur die, welche, erhaben über Armuth, Ver¬
achtung, Mühsal und Tod, den Reichthum, das Ansehen, die Lust und das
Leben verachten. Aus dem Aushungern seiner Begierden und Triebe hatte er sich
ein förmliches System gebildet. Keiner Demüthigung ging er aus dem Wege,
ja er suchte dieselbe geradezu aus und hatte in dieser Absicht, nur um sich der
öffentlichen Verspottung Preis zu geben, bei den Athenern den Antrag gestellt,
man solle ihm noch bei Lebzeiten eine Bildsäule errichten.

Bei aller dieser körperlichen und moralischen Askese vernachlässigte Dio¬
genes keineswegs die Pflege seines Körpers. Athenodoros berichtet, daß er
viel gebadet und stets seine Haut gesalbt habe. Bekannt ist die Frage, die
er in einer nicht sehr sauberen Badestube an den Wärter richtete: "Wo werden
nun aber diejenigen gewaschen, welche sich hier gebadet haben?" Seine mora¬
lische Kasteiung übte er stets mit listigen, keckem Humor, der auch seine Chrieen
kennzeichnet, jene meist humoristischen, oft aber auch sehr ernsten Kraftsprüche,
welche später aus dem Kynosarges in die Stoa verpflanzt wurden. Und gerade
dieser Humor ist es, welcher die mitunter widrige Gestalt des Kynikers mit
einer gewissen Liebenswürdigkeit umgibt, die ihn von indischen Büßern, Styliten,
Trappisten und andern Selbstpeinigern anmuthig unterscheidet. Die christliche
Resignation, die man in der Kreuzigung des Fleisches bei den Kynikern finden
will, ist nicht zu verwechseln mit der indischen Negation des Sinnlichen.
Letztere hob nicht allein das Sinnliche, sondern das mit demselben verbundene
Geistige auf, während der resignirende Christ (und auch der Kyniker) mit um
so größerer Energie die höhere Welt der Ideale anstrebte.

Der von Visconti in seiner griechischen Ikonographie abgebildete Kopf des
Diogenes läßt den geborenen Humoristen und Ironiker nicht verkennen. Der
Umgang mit der oben erwähnten lustigen Gesellschaft, die im Kynosarges ver¬
kehrte, und zu der er sich schon dnrch seine humoristische Naturanlage ganz be¬
sonders hingezogen fühlte, förderte die letztere wesentlich. Daß bei einem so


ich nicht auf offenem Markte essen," fragte er, „da ich auf offenem Markte
hungerte? Der Reiche soll speisen, wenn er will, der Arme, wenn er kann."
Als Aristipp einst zu ihm trat und ihn mit den Worten höhnte: „Wüßtest
du dich Königen angenehm zu machen, so brauchtest du deinen Kohl nicht
selbst zu waschen," erwiederte er ihm: „Und du, wenn du deinen Kohl selbst
wüschest, brauchtest du dich nicht zu bemühen, dich den Königen angenehm
zu machen."

Der Satz, den Göttern eigne es, nichts zu bedürfen, den Menschen aber,
die ihnen ähnlich werden sollen, gezieme es, wenig zu bedürfen, bildete die
Grundnorm seines Lebens, aus welchem er einen beständigen Kampf gegen die
Reichen und Besitzenden machte. In seiner verloren gegangenen Schrift „Dia-
triben" nennt er vornehme Leute nur die, welche, erhaben über Armuth, Ver¬
achtung, Mühsal und Tod, den Reichthum, das Ansehen, die Lust und das
Leben verachten. Aus dem Aushungern seiner Begierden und Triebe hatte er sich
ein förmliches System gebildet. Keiner Demüthigung ging er aus dem Wege,
ja er suchte dieselbe geradezu aus und hatte in dieser Absicht, nur um sich der
öffentlichen Verspottung Preis zu geben, bei den Athenern den Antrag gestellt,
man solle ihm noch bei Lebzeiten eine Bildsäule errichten.

Bei aller dieser körperlichen und moralischen Askese vernachlässigte Dio¬
genes keineswegs die Pflege seines Körpers. Athenodoros berichtet, daß er
viel gebadet und stets seine Haut gesalbt habe. Bekannt ist die Frage, die
er in einer nicht sehr sauberen Badestube an den Wärter richtete: „Wo werden
nun aber diejenigen gewaschen, welche sich hier gebadet haben?" Seine mora¬
lische Kasteiung übte er stets mit listigen, keckem Humor, der auch seine Chrieen
kennzeichnet, jene meist humoristischen, oft aber auch sehr ernsten Kraftsprüche,
welche später aus dem Kynosarges in die Stoa verpflanzt wurden. Und gerade
dieser Humor ist es, welcher die mitunter widrige Gestalt des Kynikers mit
einer gewissen Liebenswürdigkeit umgibt, die ihn von indischen Büßern, Styliten,
Trappisten und andern Selbstpeinigern anmuthig unterscheidet. Die christliche
Resignation, die man in der Kreuzigung des Fleisches bei den Kynikern finden
will, ist nicht zu verwechseln mit der indischen Negation des Sinnlichen.
Letztere hob nicht allein das Sinnliche, sondern das mit demselben verbundene
Geistige auf, während der resignirende Christ (und auch der Kyniker) mit um
so größerer Energie die höhere Welt der Ideale anstrebte.

Der von Visconti in seiner griechischen Ikonographie abgebildete Kopf des
Diogenes läßt den geborenen Humoristen und Ironiker nicht verkennen. Der
Umgang mit der oben erwähnten lustigen Gesellschaft, die im Kynosarges ver¬
kehrte, und zu der er sich schon dnrch seine humoristische Naturanlage ganz be¬
sonders hingezogen fühlte, förderte die letztere wesentlich. Daß bei einem so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/95>, abgerufen am 25.07.2024.