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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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welcher dem biederen Vater bei der Hausmünze wacker an die Hand ging,
brachte es in der strafwürdiger, aber reichen Gewinn abwerfenden Kunst bald
dahin, daß er ausreichende Mittel besaß, eine langersehnte Reise nach Griechen--
land zu machen. Hier fand er am Tempel des. Apollon in Delphi den be¬
deutungsvollen Spruch: "Auf die Münze präge den eigenen Stempel". Die in
diesem mantischen Parangelma enthaltene Mahnung: der Mensch solle seiner
natürlichen Artung den Stempel eines freien, selbständigen Charakters auf¬
prägen, faßte Diogenes in humoristischer Perfidie wörtlich auf als Aufforde¬
rung zur Falschmünzerei und beschwichtigte so sein Gewissen mit leichtbeholfener
jesuitischer Moral. Als er nach seiner Vaterstadt heimgekehrt war, fand er seinen
Vater, den das Gesetz inzwischen ereilt hatte, im Kerker, wo er bald darauf
starb. Ohne sich aufzuhalten, floh der in die Acht erklärte Diogenes bei dieser
Lage der Dinge schleunig nach Athen mit Zurücklassung der väterlichen Hab¬
seligkeiten und tröstete sich damit, daß ihn die Sinopeer verurtheilt hätten,
aus dem Lande zu gehen, er sie aber verurtheilt habe, darin zu bleiben.

Wie Musonios berichtet, machte diese Flucht "aus dem Idioten einen
Philosophen". Bußfertig wandte sich der Flüchtling an Antisthenes und ließ
sich von dessen wiederholter Zurückweisung nicht abschrecken, wieder und wieder
um die Vergünstigung zu betteln, sein Schüler werden zu dürfen. Als ihn der
Sittenstrenge Meister einst mit dem Knittel forttrieb, hielt Diogenes in hart¬
näckiger Zudringlichkeit seinen Kopf mit den Worten hin: "Schlag nur immer
zu! Du wirst kein so hartes Holz finden, mich eher wegzutreiben, als bis ich
deiner Lehre überdrüssig bin." Die Antwort gefiel dem Antisthenes, er nahm
den neuen Schüler an, der nnn allen Ernstes beflissen war, den Meister in
Enthaltsamkeit und Bedürfnißlosigkeit zu überbieten. Diese mit aller Energie
bethätigte Sühne seines früheren Wohllebens bewog seinen Sklaven Manes,
den Dienst des "verpöbelten" Herrn zu verlassen. Dieser aber tröstete sich
über den Verlust mit den Worten: "Es wäre doch lächerlich, wenn Diogenes
den Manes nicht entbehren könnte, da Manes des Diogenes nicht bedarf."

Seine Wohnung nahm der Neophyt in einem, im sogenannten Metroon,
einem Heiligthume der Demeter, liegenden (jedenfalls nicht hölzernen, sondern
irdenen) großen Fasse. In diesem, welches er sein Parthenon nannte, lag er
Winter und Sommer ohne Kopfbedeckung und ohne Schuhe, mit einem
Doppeltribon bekleidet. Um sich körperlich abzuhärten, wälzte er sich im
Sommer in dem glühenden Sande, im Winter umarmte er marmorne Bild¬
säulen, die er sogar anbettelte, um sich, wie er sagte, im Abgewieseuwerden zu
üben. Seine einzige Nahrung bestand in rohem Fleisch, rohem Gemüse und
in ungekochten Seefischen; der öffentliche Markt war sein Speisezimmer. "Soll


welcher dem biederen Vater bei der Hausmünze wacker an die Hand ging,
brachte es in der strafwürdiger, aber reichen Gewinn abwerfenden Kunst bald
dahin, daß er ausreichende Mittel besaß, eine langersehnte Reise nach Griechen--
land zu machen. Hier fand er am Tempel des. Apollon in Delphi den be¬
deutungsvollen Spruch: „Auf die Münze präge den eigenen Stempel". Die in
diesem mantischen Parangelma enthaltene Mahnung: der Mensch solle seiner
natürlichen Artung den Stempel eines freien, selbständigen Charakters auf¬
prägen, faßte Diogenes in humoristischer Perfidie wörtlich auf als Aufforde¬
rung zur Falschmünzerei und beschwichtigte so sein Gewissen mit leichtbeholfener
jesuitischer Moral. Als er nach seiner Vaterstadt heimgekehrt war, fand er seinen
Vater, den das Gesetz inzwischen ereilt hatte, im Kerker, wo er bald darauf
starb. Ohne sich aufzuhalten, floh der in die Acht erklärte Diogenes bei dieser
Lage der Dinge schleunig nach Athen mit Zurücklassung der väterlichen Hab¬
seligkeiten und tröstete sich damit, daß ihn die Sinopeer verurtheilt hätten,
aus dem Lande zu gehen, er sie aber verurtheilt habe, darin zu bleiben.

Wie Musonios berichtet, machte diese Flucht „aus dem Idioten einen
Philosophen". Bußfertig wandte sich der Flüchtling an Antisthenes und ließ
sich von dessen wiederholter Zurückweisung nicht abschrecken, wieder und wieder
um die Vergünstigung zu betteln, sein Schüler werden zu dürfen. Als ihn der
Sittenstrenge Meister einst mit dem Knittel forttrieb, hielt Diogenes in hart¬
näckiger Zudringlichkeit seinen Kopf mit den Worten hin: „Schlag nur immer
zu! Du wirst kein so hartes Holz finden, mich eher wegzutreiben, als bis ich
deiner Lehre überdrüssig bin." Die Antwort gefiel dem Antisthenes, er nahm
den neuen Schüler an, der nnn allen Ernstes beflissen war, den Meister in
Enthaltsamkeit und Bedürfnißlosigkeit zu überbieten. Diese mit aller Energie
bethätigte Sühne seines früheren Wohllebens bewog seinen Sklaven Manes,
den Dienst des „verpöbelten" Herrn zu verlassen. Dieser aber tröstete sich
über den Verlust mit den Worten: „Es wäre doch lächerlich, wenn Diogenes
den Manes nicht entbehren könnte, da Manes des Diogenes nicht bedarf."

Seine Wohnung nahm der Neophyt in einem, im sogenannten Metroon,
einem Heiligthume der Demeter, liegenden (jedenfalls nicht hölzernen, sondern
irdenen) großen Fasse. In diesem, welches er sein Parthenon nannte, lag er
Winter und Sommer ohne Kopfbedeckung und ohne Schuhe, mit einem
Doppeltribon bekleidet. Um sich körperlich abzuhärten, wälzte er sich im
Sommer in dem glühenden Sande, im Winter umarmte er marmorne Bild¬
säulen, die er sogar anbettelte, um sich, wie er sagte, im Abgewieseuwerden zu
üben. Seine einzige Nahrung bestand in rohem Fleisch, rohem Gemüse und
in ungekochten Seefischen; der öffentliche Markt war sein Speisezimmer. „Soll


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/94>, abgerufen am 25.07.2024.