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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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eigen Baumgänge des Kynosarges, dem Schauplatz seines Lehrens und Wirkens,
bereitet.

Von den Ansprüchen des Antisthenes, die wir bei den Alten aufgezeichnet
finden, mögen einige hier zur Belebung des flüchtig hingeworfenen Bildes eine
Stelle finden. Mag einer oder der andere derselben gemeinplätzig erscheinen,
so wird er doch nicht vornehm spöttisch belächelt werden, wenn man erwägt,
wie viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende oft dazu gehören, um eine Wahrheit
zum Gemeinplatz zu machen. Und wie wahr ist Bacon's von Verulam Aus¬
spruch: "Sage etwas, das sich von selbst versteht, zum ersten Male, und du
wirst unsterblich sein." Wir führen also von Antisthenes' Aussprüchen die
folgenden an:

Es ist königlich, edel zu handeln und getadelt zu werden. -- Das beste
Reisegeld ist das, was aus dem Schiffbruche mit uns herausschwimmt. -- Es
ist besser, mit wenigen Guten gegen alle Bösen zu kämpfen, als mit vielen
Bösen gegen wenige Gute. -- Feinde sind uns nützlicher als Freunde, denn
sie machen uns mit unseren Fehlern bekannt. -- Das Nöthigste ist: das Böse
zu verlernen. -- Wenn man verlernt hat, die Guten von den Bösen zu unter¬
scheiden, dann gehen die Staaten zu Grunde. -- Durch den Kampf wird der
Muth gestärkt. -- Wer Vielen furchtbar ist, der muß auch Viele fürchten. --
Was du nicht behaupten kannst, das begehre auch nicht von den Göttern. --
Alle Dinge glänzen nur im Vergleich mit anderen Dingen.

Fast gleichzeitig mit der Bildung der Schule des Antisthenes hatte sich
im Kynosarges eine Anzahl Männer zu einer Gesellschaft - zusammengethan,
welche sich, wie heutzutage die sogenannten "Gelehrten" politischer Witzblätter,
mit Humor über die namentlich über Athen hereingebrochene drangsalvolle
Zeit hinwegzusetzen suchten. Die von diesem Kreise, welcher sich die "Gesell¬
schaft der Sechzig" nannte, ausgehenden Epigramme und Witzworte fanden
als sogenannte "Sechziger-Witze" so große Verbreitung, daß selbst Philipp von
Makedonien davon Kenntniß bekam. Da er ein großer Freund des Witzes
und der heiteren Laune war, übersandte er den Sechzigern ein Talent mit
dem Wunsche, sie möchten ihm ihre Verhandlungen schriftlich und vollständig
mittheilen.

Bedeutsamer als Antisthenes wurde für den philosophischen Verkehr im
Kynosarges sein Schüler Diogenes, der schon wegen der Originalität seines
kaustischer Humors eine nähere Betrachtung verdient.

Diogenes wurde zu Sinope, einer milesischen Kolonie am schwarzen Meere,
um das Jahr 414 v. Ch. geboren. Sein Vater Hikesias betrieb dort das
Geschäft eines Geldwechslers, welches er durch die einträgliche Nebenbeschäfti¬
gung mit Falschmünzerei zu einigem Flor gebracht hatte. Der anstellige Sohn


eigen Baumgänge des Kynosarges, dem Schauplatz seines Lehrens und Wirkens,
bereitet.

Von den Ansprüchen des Antisthenes, die wir bei den Alten aufgezeichnet
finden, mögen einige hier zur Belebung des flüchtig hingeworfenen Bildes eine
Stelle finden. Mag einer oder der andere derselben gemeinplätzig erscheinen,
so wird er doch nicht vornehm spöttisch belächelt werden, wenn man erwägt,
wie viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende oft dazu gehören, um eine Wahrheit
zum Gemeinplatz zu machen. Und wie wahr ist Bacon's von Verulam Aus¬
spruch: „Sage etwas, das sich von selbst versteht, zum ersten Male, und du
wirst unsterblich sein." Wir führen also von Antisthenes' Aussprüchen die
folgenden an:

Es ist königlich, edel zu handeln und getadelt zu werden. — Das beste
Reisegeld ist das, was aus dem Schiffbruche mit uns herausschwimmt. — Es
ist besser, mit wenigen Guten gegen alle Bösen zu kämpfen, als mit vielen
Bösen gegen wenige Gute. — Feinde sind uns nützlicher als Freunde, denn
sie machen uns mit unseren Fehlern bekannt. — Das Nöthigste ist: das Böse
zu verlernen. — Wenn man verlernt hat, die Guten von den Bösen zu unter¬
scheiden, dann gehen die Staaten zu Grunde. — Durch den Kampf wird der
Muth gestärkt. — Wer Vielen furchtbar ist, der muß auch Viele fürchten. —
Was du nicht behaupten kannst, das begehre auch nicht von den Göttern. —
Alle Dinge glänzen nur im Vergleich mit anderen Dingen.

Fast gleichzeitig mit der Bildung der Schule des Antisthenes hatte sich
im Kynosarges eine Anzahl Männer zu einer Gesellschaft - zusammengethan,
welche sich, wie heutzutage die sogenannten „Gelehrten" politischer Witzblätter,
mit Humor über die namentlich über Athen hereingebrochene drangsalvolle
Zeit hinwegzusetzen suchten. Die von diesem Kreise, welcher sich die „Gesell¬
schaft der Sechzig" nannte, ausgehenden Epigramme und Witzworte fanden
als sogenannte „Sechziger-Witze" so große Verbreitung, daß selbst Philipp von
Makedonien davon Kenntniß bekam. Da er ein großer Freund des Witzes
und der heiteren Laune war, übersandte er den Sechzigern ein Talent mit
dem Wunsche, sie möchten ihm ihre Verhandlungen schriftlich und vollständig
mittheilen.

Bedeutsamer als Antisthenes wurde für den philosophischen Verkehr im
Kynosarges sein Schüler Diogenes, der schon wegen der Originalität seines
kaustischer Humors eine nähere Betrachtung verdient.

Diogenes wurde zu Sinope, einer milesischen Kolonie am schwarzen Meere,
um das Jahr 414 v. Ch. geboren. Sein Vater Hikesias betrieb dort das
Geschäft eines Geldwechslers, welches er durch die einträgliche Nebenbeschäfti¬
gung mit Falschmünzerei zu einigem Flor gebracht hatte. Der anstellige Sohn


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[0093] eigen Baumgänge des Kynosarges, dem Schauplatz seines Lehrens und Wirkens, bereitet. Von den Ansprüchen des Antisthenes, die wir bei den Alten aufgezeichnet finden, mögen einige hier zur Belebung des flüchtig hingeworfenen Bildes eine Stelle finden. Mag einer oder der andere derselben gemeinplätzig erscheinen, so wird er doch nicht vornehm spöttisch belächelt werden, wenn man erwägt, wie viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende oft dazu gehören, um eine Wahrheit zum Gemeinplatz zu machen. Und wie wahr ist Bacon's von Verulam Aus¬ spruch: „Sage etwas, das sich von selbst versteht, zum ersten Male, und du wirst unsterblich sein." Wir führen also von Antisthenes' Aussprüchen die folgenden an: Es ist königlich, edel zu handeln und getadelt zu werden. — Das beste Reisegeld ist das, was aus dem Schiffbruche mit uns herausschwimmt. — Es ist besser, mit wenigen Guten gegen alle Bösen zu kämpfen, als mit vielen Bösen gegen wenige Gute. — Feinde sind uns nützlicher als Freunde, denn sie machen uns mit unseren Fehlern bekannt. — Das Nöthigste ist: das Böse zu verlernen. — Wenn man verlernt hat, die Guten von den Bösen zu unter¬ scheiden, dann gehen die Staaten zu Grunde. — Durch den Kampf wird der Muth gestärkt. — Wer Vielen furchtbar ist, der muß auch Viele fürchten. — Was du nicht behaupten kannst, das begehre auch nicht von den Göttern. — Alle Dinge glänzen nur im Vergleich mit anderen Dingen. Fast gleichzeitig mit der Bildung der Schule des Antisthenes hatte sich im Kynosarges eine Anzahl Männer zu einer Gesellschaft - zusammengethan, welche sich, wie heutzutage die sogenannten „Gelehrten" politischer Witzblätter, mit Humor über die namentlich über Athen hereingebrochene drangsalvolle Zeit hinwegzusetzen suchten. Die von diesem Kreise, welcher sich die „Gesell¬ schaft der Sechzig" nannte, ausgehenden Epigramme und Witzworte fanden als sogenannte „Sechziger-Witze" so große Verbreitung, daß selbst Philipp von Makedonien davon Kenntniß bekam. Da er ein großer Freund des Witzes und der heiteren Laune war, übersandte er den Sechzigern ein Talent mit dem Wunsche, sie möchten ihm ihre Verhandlungen schriftlich und vollständig mittheilen. Bedeutsamer als Antisthenes wurde für den philosophischen Verkehr im Kynosarges sein Schüler Diogenes, der schon wegen der Originalität seines kaustischer Humors eine nähere Betrachtung verdient. Diogenes wurde zu Sinope, einer milesischen Kolonie am schwarzen Meere, um das Jahr 414 v. Ch. geboren. Sein Vater Hikesias betrieb dort das Geschäft eines Geldwechslers, welches er durch die einträgliche Nebenbeschäfti¬ gung mit Falschmünzerei zu einigem Flor gebracht hatte. Der anstellige Sohn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/93>, abgerufen am 25.07.2024.