Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

durch Preisgebung ihrer vitalsten Interessen im Süden sich noch weiter, vom
Viertelskreise zum Halbkreise, ausdehnen lassen? Das sollten namentlich die
magyarischen Politiker sich überlegen. "Schon sehen sie das unabhängig ge¬
wordene, mehr und mehr innerlich erstarkende serbische Fürstenthum," sagt von
Heisere S. 162 ff., "auf ihre einheimischen Serben, das rumänische Fürsten¬
thum, dessen Militärmacht sich im letzten Kriege als eine durchaus nicht zu
unterschätzende erwiesen, auf die zahlreichen Anhänger der dakorumänischen
Idee innerhalb der ungarischen Grenzen gefährliche Anziehungskraft üben. >
Hoffen sie diesen geheimen Plänen und Gelüsten etwa durch verstärkten Druck
auf ihre ,Raizen^ und ,Walachen< in panmagyarischer Richtung Vorbauen zu
können? Sie kräftigen sie nur, weil sie dadurch die Unzufriedenheit, den
Widerwillen, den Abscheu vor der einheimischen Tyrannei vermehren."

Aber die böhmische Frage geht jetzt schon nicht Ungarn allein, sondern die
gescunmte Monarchie der Habsburger an. Diese Frage und die dalmatinische
find Eins und Dasselbe. Dalmatien ist ein sür die Schifffahrt, den Handel
und den politischen Einfluß Oesterreich-Ungarn's in der Levante und im Mittel¬
meer ^hochwichtiges Stück Land. Es ist aber ohne sein bosno-herzegowinisches
Hinterland ein von seinem Leibe getrennter Kopf oder, um ein dem südslavi¬
schen Musikleben entlehntes Gleichniß zu brauchen, "ein Mundstück, zu welchem
der Dudelsack fehlt". Warum die Zusammenfügung der wider die Natur
von einander getrennten Theile noch nicht stattgefunden hat, ist leicht zu zeigen.
Nicht die Herrschaft des Halbmondes allein, sondern der Umstand, daß die
Dalmatiner Christen, die einflußreichsten und mächtigsten Elemente der böhmi¬
schen Bevölkerung dagegen Muhammedaner sind, die Konfession also bildete
die Scheidewand. Welche Bedeutung dieser Faktor hat, sehen wir an dem
zähen Widerstande, auf den Montenegro und Serbien in den ehemals türki¬
schen Gebieten stoßen, welche der Berliner Vertrag ihnen zugesprochen hat.

Dieser Widerstand wird gebrochen werden, wie der Widerstand der Mus¬
lime in Bosnien von Oesterreich-Ungarn gebrochen wurde. Aber wäre dies
hier nicht von Letzterem geschehen, so wären Andere dagewesen, die sich nicht
lange hätten bitten lassen. Keiner der zahlreichen Aufstände in der Herzego¬
wina blieb ohne Unterstützung von Seiten Montenegro's, und wenn die böh¬
mische Rajah von Serbien her nicht immer die erwartete und nachgesuchte
thätige Hilfe erhielt, so ließen die dortigen Stammesbrüder es wenigstens nie
an Ausrufen und Theilnahmebezeigungen fehlen. "Die böhmische Anschlußer-
klärung vom Juni 1876 war der letzte und stärkste Durchbruch dieser vor¬
zugsweise von raseischer Seite genährten großserbischen Idee, die freilich bei
der böhmischen Rajah nur Anklang fand, wenn sie sich von Oesterreich preis¬
gegeben sah."


durch Preisgebung ihrer vitalsten Interessen im Süden sich noch weiter, vom
Viertelskreise zum Halbkreise, ausdehnen lassen? Das sollten namentlich die
magyarischen Politiker sich überlegen. „Schon sehen sie das unabhängig ge¬
wordene, mehr und mehr innerlich erstarkende serbische Fürstenthum," sagt von
Heisere S. 162 ff., „auf ihre einheimischen Serben, das rumänische Fürsten¬
thum, dessen Militärmacht sich im letzten Kriege als eine durchaus nicht zu
unterschätzende erwiesen, auf die zahlreichen Anhänger der dakorumänischen
Idee innerhalb der ungarischen Grenzen gefährliche Anziehungskraft üben. >
Hoffen sie diesen geheimen Plänen und Gelüsten etwa durch verstärkten Druck
auf ihre ,Raizen^ und ,Walachen< in panmagyarischer Richtung Vorbauen zu
können? Sie kräftigen sie nur, weil sie dadurch die Unzufriedenheit, den
Widerwillen, den Abscheu vor der einheimischen Tyrannei vermehren."

Aber die böhmische Frage geht jetzt schon nicht Ungarn allein, sondern die
gescunmte Monarchie der Habsburger an. Diese Frage und die dalmatinische
find Eins und Dasselbe. Dalmatien ist ein sür die Schifffahrt, den Handel
und den politischen Einfluß Oesterreich-Ungarn's in der Levante und im Mittel¬
meer ^hochwichtiges Stück Land. Es ist aber ohne sein bosno-herzegowinisches
Hinterland ein von seinem Leibe getrennter Kopf oder, um ein dem südslavi¬
schen Musikleben entlehntes Gleichniß zu brauchen, „ein Mundstück, zu welchem
der Dudelsack fehlt". Warum die Zusammenfügung der wider die Natur
von einander getrennten Theile noch nicht stattgefunden hat, ist leicht zu zeigen.
Nicht die Herrschaft des Halbmondes allein, sondern der Umstand, daß die
Dalmatiner Christen, die einflußreichsten und mächtigsten Elemente der böhmi¬
schen Bevölkerung dagegen Muhammedaner sind, die Konfession also bildete
die Scheidewand. Welche Bedeutung dieser Faktor hat, sehen wir an dem
zähen Widerstande, auf den Montenegro und Serbien in den ehemals türki¬
schen Gebieten stoßen, welche der Berliner Vertrag ihnen zugesprochen hat.

Dieser Widerstand wird gebrochen werden, wie der Widerstand der Mus¬
lime in Bosnien von Oesterreich-Ungarn gebrochen wurde. Aber wäre dies
hier nicht von Letzterem geschehen, so wären Andere dagewesen, die sich nicht
lange hätten bitten lassen. Keiner der zahlreichen Aufstände in der Herzego¬
wina blieb ohne Unterstützung von Seiten Montenegro's, und wenn die böh¬
mische Rajah von Serbien her nicht immer die erwartete und nachgesuchte
thätige Hilfe erhielt, so ließen die dortigen Stammesbrüder es wenigstens nie
an Ausrufen und Theilnahmebezeigungen fehlen. „Die böhmische Anschlußer-
klärung vom Juni 1876 war der letzte und stärkste Durchbruch dieser vor¬
zugsweise von raseischer Seite genährten großserbischen Idee, die freilich bei
der böhmischen Rajah nur Anklang fand, wenn sie sich von Oesterreich preis¬
gegeben sah."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0064" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141475"/>
          <p xml:id="ID_179" prev="#ID_178"> durch Preisgebung ihrer vitalsten Interessen im Süden sich noch weiter, vom<lb/>
Viertelskreise zum Halbkreise, ausdehnen lassen? Das sollten namentlich die<lb/>
magyarischen Politiker sich überlegen. &#x201E;Schon sehen sie das unabhängig ge¬<lb/>
wordene, mehr und mehr innerlich erstarkende serbische Fürstenthum," sagt von<lb/>
Heisere S. 162 ff., &#x201E;auf ihre einheimischen Serben, das rumänische Fürsten¬<lb/>
thum, dessen Militärmacht sich im letzten Kriege als eine durchaus nicht zu<lb/>
unterschätzende erwiesen, auf die zahlreichen Anhänger der dakorumänischen<lb/>
Idee innerhalb der ungarischen Grenzen gefährliche Anziehungskraft üben. &gt;<lb/>
Hoffen sie diesen geheimen Plänen und Gelüsten etwa durch verstärkten Druck<lb/>
auf ihre ,Raizen^ und ,Walachen&lt; in panmagyarischer Richtung Vorbauen zu<lb/>
können? Sie kräftigen sie nur, weil sie dadurch die Unzufriedenheit, den<lb/>
Widerwillen, den Abscheu vor der einheimischen Tyrannei vermehren."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_180"> Aber die böhmische Frage geht jetzt schon nicht Ungarn allein, sondern die<lb/>
gescunmte Monarchie der Habsburger an. Diese Frage und die dalmatinische<lb/>
find Eins und Dasselbe. Dalmatien ist ein sür die Schifffahrt, den Handel<lb/>
und den politischen Einfluß Oesterreich-Ungarn's in der Levante und im Mittel¬<lb/>
meer ^hochwichtiges Stück Land. Es ist aber ohne sein bosno-herzegowinisches<lb/>
Hinterland ein von seinem Leibe getrennter Kopf oder, um ein dem südslavi¬<lb/>
schen Musikleben entlehntes Gleichniß zu brauchen, &#x201E;ein Mundstück, zu welchem<lb/>
der Dudelsack fehlt". Warum die Zusammenfügung der wider die Natur<lb/>
von einander getrennten Theile noch nicht stattgefunden hat, ist leicht zu zeigen.<lb/>
Nicht die Herrschaft des Halbmondes allein, sondern der Umstand, daß die<lb/>
Dalmatiner Christen, die einflußreichsten und mächtigsten Elemente der böhmi¬<lb/>
schen Bevölkerung dagegen Muhammedaner sind, die Konfession also bildete<lb/>
die Scheidewand. Welche Bedeutung dieser Faktor hat, sehen wir an dem<lb/>
zähen Widerstande, auf den Montenegro und Serbien in den ehemals türki¬<lb/>
schen Gebieten stoßen, welche der Berliner Vertrag ihnen zugesprochen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_181"> Dieser Widerstand wird gebrochen werden, wie der Widerstand der Mus¬<lb/>
lime in Bosnien von Oesterreich-Ungarn gebrochen wurde. Aber wäre dies<lb/>
hier nicht von Letzterem geschehen, so wären Andere dagewesen, die sich nicht<lb/>
lange hätten bitten lassen. Keiner der zahlreichen Aufstände in der Herzego¬<lb/>
wina blieb ohne Unterstützung von Seiten Montenegro's, und wenn die böh¬<lb/>
mische Rajah von Serbien her nicht immer die erwartete und nachgesuchte<lb/>
thätige Hilfe erhielt, so ließen die dortigen Stammesbrüder es wenigstens nie<lb/>
an Ausrufen und Theilnahmebezeigungen fehlen. &#x201E;Die böhmische Anschlußer-<lb/>
klärung vom Juni 1876 war der letzte und stärkste Durchbruch dieser vor¬<lb/>
zugsweise von raseischer Seite genährten großserbischen Idee, die freilich bei<lb/>
der böhmischen Rajah nur Anklang fand, wenn sie sich von Oesterreich preis¬<lb/>
gegeben sah."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0064] durch Preisgebung ihrer vitalsten Interessen im Süden sich noch weiter, vom Viertelskreise zum Halbkreise, ausdehnen lassen? Das sollten namentlich die magyarischen Politiker sich überlegen. „Schon sehen sie das unabhängig ge¬ wordene, mehr und mehr innerlich erstarkende serbische Fürstenthum," sagt von Heisere S. 162 ff., „auf ihre einheimischen Serben, das rumänische Fürsten¬ thum, dessen Militärmacht sich im letzten Kriege als eine durchaus nicht zu unterschätzende erwiesen, auf die zahlreichen Anhänger der dakorumänischen Idee innerhalb der ungarischen Grenzen gefährliche Anziehungskraft üben. > Hoffen sie diesen geheimen Plänen und Gelüsten etwa durch verstärkten Druck auf ihre ,Raizen^ und ,Walachen< in panmagyarischer Richtung Vorbauen zu können? Sie kräftigen sie nur, weil sie dadurch die Unzufriedenheit, den Widerwillen, den Abscheu vor der einheimischen Tyrannei vermehren." Aber die böhmische Frage geht jetzt schon nicht Ungarn allein, sondern die gescunmte Monarchie der Habsburger an. Diese Frage und die dalmatinische find Eins und Dasselbe. Dalmatien ist ein sür die Schifffahrt, den Handel und den politischen Einfluß Oesterreich-Ungarn's in der Levante und im Mittel¬ meer ^hochwichtiges Stück Land. Es ist aber ohne sein bosno-herzegowinisches Hinterland ein von seinem Leibe getrennter Kopf oder, um ein dem südslavi¬ schen Musikleben entlehntes Gleichniß zu brauchen, „ein Mundstück, zu welchem der Dudelsack fehlt". Warum die Zusammenfügung der wider die Natur von einander getrennten Theile noch nicht stattgefunden hat, ist leicht zu zeigen. Nicht die Herrschaft des Halbmondes allein, sondern der Umstand, daß die Dalmatiner Christen, die einflußreichsten und mächtigsten Elemente der böhmi¬ schen Bevölkerung dagegen Muhammedaner sind, die Konfession also bildete die Scheidewand. Welche Bedeutung dieser Faktor hat, sehen wir an dem zähen Widerstande, auf den Montenegro und Serbien in den ehemals türki¬ schen Gebieten stoßen, welche der Berliner Vertrag ihnen zugesprochen hat. Dieser Widerstand wird gebrochen werden, wie der Widerstand der Mus¬ lime in Bosnien von Oesterreich-Ungarn gebrochen wurde. Aber wäre dies hier nicht von Letzterem geschehen, so wären Andere dagewesen, die sich nicht lange hätten bitten lassen. Keiner der zahlreichen Aufstände in der Herzego¬ wina blieb ohne Unterstützung von Seiten Montenegro's, und wenn die böh¬ mische Rajah von Serbien her nicht immer die erwartete und nachgesuchte thätige Hilfe erhielt, so ließen die dortigen Stammesbrüder es wenigstens nie an Ausrufen und Theilnahmebezeigungen fehlen. „Die böhmische Anschlußer- klärung vom Juni 1876 war der letzte und stärkste Durchbruch dieser vor¬ zugsweise von raseischer Seite genährten großserbischen Idee, die freilich bei der böhmischen Rajah nur Anklang fand, wenn sie sich von Oesterreich preis¬ gegeben sah."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/64
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/64>, abgerufen am 06.02.2025.