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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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der Eindruck der präsidialen Disziplinargewalt in einer Weise verstärkt worden,
wie sie nicht leicht wieder vorkommen wird und wie sie in früheren Fällen
trotzigen Rednern gegenüber auch nicht eingetreten ist. Die Berufung auf
diesen einzelnen, seinem ganzen Zusammenhang nach exzeptionellen Vorgang ist
also ohne nachhaltige Kraft. So greift man denn zu dem Argument, was
traurigerweise bei vielen Wortführern in parlamentarischen Dingen noch immer
das erste und letzte ist, man holt das englische Beispiel herbei. Hat nicht
einmal ein verrückter Oberst im Unterhaus gesagt, man solle die Sitze dieser
Schurken von Ministern mit Wasser und Seife waschen, damit jede Spur der
Inhaber verschwinde? So etwas kann allerdings im englischen Unterhause ge¬
sagt werden: das eine Mal, ohne daß Jemand darauf achtet, das andere Mal
muß der Redner an der Barre des Hauses erscheinen, sich' vor dem Sprecher
verneigen und um Entschuldigung bitten. Was folgt daraus? Wir können
die dortigen abgeschmackten Zeremonien: zur Verschärfung unserer Disziplin
nicht gebrauchen, aber noch viel weniger sollte einem verständigen Deutschen
der Gedanke kommen, daß ein deutsches Parlament dergleichen Dinge ohne
nachdrückliche, nicht blos disziplinarische Ahndung anhören könne, oder daß die
deutsche Nation dergleichen als den Ausfluß der Berufsvollmacht ihrer Ver¬
treter geduldig hinnehmen müsse. Es gibt jedoch wirklich Deutsche, die nicht
in allen Stücken unverständig sind, und solche muß man ja doch als verständige
Leute betrachten, die uns alles Ernstes empfehlen, dickfellig zu werden, wie die
Engländer, oder auf Herausforderungen mit Ausbrüchen lärmender Wuth zu
antworten und dann wieder eine Weile nebeneinander zu sitzen, wie die Fran¬
zosen. Ueber den Werth dickfelliger Minister hat sich schon einmal der Reichs¬
kanzler ausgelassen in einer Weise, die nicht vergessen werden darf. Der Zu¬
sammenhang zwischen der Art, die moralische Würde des Privatmannes, der
Staatsdiener und Volksvertreter, der öffentlichen Körperschaften und endlich der
ganzen Nation in ihrer höchsten Körperschaft zu wahren mit der eigensten
sittlichen Wurzel des Volkscharakters ist ein großes Thema, das einmal eine
eingehende Behandlung erheischt, weil man in dieser Beziehung unserm Volks-
charakter Dinge zumuthet, die ihn in seinen besten Anlagen verwüsten würden.
Dies entspringt aus dem unglücklichen Mangel an Selbstvertrauen und der aus
diesem Mangel hervorgehenden Nachäfferei des Fremden, die uns noch anhaften.




der Eindruck der präsidialen Disziplinargewalt in einer Weise verstärkt worden,
wie sie nicht leicht wieder vorkommen wird und wie sie in früheren Fällen
trotzigen Rednern gegenüber auch nicht eingetreten ist. Die Berufung auf
diesen einzelnen, seinem ganzen Zusammenhang nach exzeptionellen Vorgang ist
also ohne nachhaltige Kraft. So greift man denn zu dem Argument, was
traurigerweise bei vielen Wortführern in parlamentarischen Dingen noch immer
das erste und letzte ist, man holt das englische Beispiel herbei. Hat nicht
einmal ein verrückter Oberst im Unterhaus gesagt, man solle die Sitze dieser
Schurken von Ministern mit Wasser und Seife waschen, damit jede Spur der
Inhaber verschwinde? So etwas kann allerdings im englischen Unterhause ge¬
sagt werden: das eine Mal, ohne daß Jemand darauf achtet, das andere Mal
muß der Redner an der Barre des Hauses erscheinen, sich' vor dem Sprecher
verneigen und um Entschuldigung bitten. Was folgt daraus? Wir können
die dortigen abgeschmackten Zeremonien: zur Verschärfung unserer Disziplin
nicht gebrauchen, aber noch viel weniger sollte einem verständigen Deutschen
der Gedanke kommen, daß ein deutsches Parlament dergleichen Dinge ohne
nachdrückliche, nicht blos disziplinarische Ahndung anhören könne, oder daß die
deutsche Nation dergleichen als den Ausfluß der Berufsvollmacht ihrer Ver¬
treter geduldig hinnehmen müsse. Es gibt jedoch wirklich Deutsche, die nicht
in allen Stücken unverständig sind, und solche muß man ja doch als verständige
Leute betrachten, die uns alles Ernstes empfehlen, dickfellig zu werden, wie die
Engländer, oder auf Herausforderungen mit Ausbrüchen lärmender Wuth zu
antworten und dann wieder eine Weile nebeneinander zu sitzen, wie die Fran¬
zosen. Ueber den Werth dickfelliger Minister hat sich schon einmal der Reichs¬
kanzler ausgelassen in einer Weise, die nicht vergessen werden darf. Der Zu¬
sammenhang zwischen der Art, die moralische Würde des Privatmannes, der
Staatsdiener und Volksvertreter, der öffentlichen Körperschaften und endlich der
ganzen Nation in ihrer höchsten Körperschaft zu wahren mit der eigensten
sittlichen Wurzel des Volkscharakters ist ein großes Thema, das einmal eine
eingehende Behandlung erheischt, weil man in dieser Beziehung unserm Volks-
charakter Dinge zumuthet, die ihn in seinen besten Anlagen verwüsten würden.
Dies entspringt aus dem unglücklichen Mangel an Selbstvertrauen und der aus
diesem Mangel hervorgehenden Nachäfferei des Fremden, die uns noch anhaften.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/533>, abgerufen am 24.07.2024.