Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.kann er weder der Würde des Reichstages noch der beschimpften Ehre der Nation In dem vierten dieser Briefe haben wir gezeigt, daß und weshalb ein kann er weder der Würde des Reichstages noch der beschimpften Ehre der Nation In dem vierten dieser Briefe haben wir gezeigt, daß und weshalb ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0531" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141942"/> <p xml:id="ID_1624" prev="#ID_1623"> kann er weder der Würde des Reichstages noch der beschimpften Ehre der Nation<lb/> verschaffen. Ein Ordnungsruf, eine Entziehung des Wortes vor vollendeter<lb/> Rede können nicht als Sühne gelten, genommen von Rednern, die „auf den<lb/> Reichstag pfeifen". Nach unserer Ueberzeugung ist es aber mindestens ebenso<lb/> wirkungslos, solchen Rednern gegenüber sich aufzuhalten mit feierlichen Formen<lb/> des Verweises oder gar mit Auferlegung einer Abbitte u. tgi. Es sind dies<lb/> ungeschickte, unselbständige Entlehnungen fremder Beispiele, die für uns nicht<lb/> gut genug sind. Unsere Geschäftsordnungen sind darin ganz richtig: die äußer¬<lb/> sten moralischen Mittel, welche der Würde eines deutschen Parlamentes<lb/> ziemen, sind Ordnungsruf und Entziehung des Wortes. Aber eben, weil sie<lb/> dies sind, reichen zum Schutz der Würde des Reichstages die blos moralischen<lb/> Mittel nicht aus, der Reichstag muß die verfassungsmäßige Machtvollkommen¬<lb/> heit besitzen, zum Schutz seiner Würde, welche der Maßstab für die Selbst¬<lb/> achtung der Nation ist, das Recht jedes einzelnen Mitgliedes zu beschränken<lb/> und nöthigenfalls aufzuheben. Zur Vervollständigung dieser Machtvollkommen¬<lb/> heit, welche man das Majestätsrecht des Reichstages nennen könnte, gehört aber<lb/> auch die weitere Machtvollkommenheit, das Recht jedes Wahlkreises zu be¬<lb/> schränken, welcher ein für unwürdig erklärtes Mitglied sendet. Wir rechtfer¬<lb/> tigen hiermit, was wir in unserm vierten Briefe gefordert, nämlich einen<lb/> Artikel der Reichsverfassung 27 d: „Der Reichstag hat das Recht, Mitglieder,<lb/> die sich gegen seine Würde vergehen, sür einen Theil oder bis zum Schlüsse<lb/> der Legislaturperiode auszuschließen. Der Wahlkreis des betroffenen Abgeord¬<lb/> neten kann eine Neuwahl verlangen. Im Falle der Wiederwahl des ausge¬<lb/> schlossenen Abgeordneten verzichtet der Wahlkreis für die Dauer der Ausschlie¬<lb/> ßung auf seine Vertretung. Der Reichstag kann das Mandat eines Abgeord¬<lb/> neten kassiren, die Wiederwahl des betroffenen Abgeordneten wird dadurch in<lb/> jedem Wahlkreise für alle künftigen Wahlen ungiltig, so lange die Kassirung<lb/> nicht durch einen neuen Reichstagsbeschluß aufgehoben worden."</p><lb/> <p xml:id="ID_1625"> In dem vierten dieser Briefe haben wir gezeigt, daß und weshalb ein<lb/> deutscher Reichstag authentische Berichte seiner Verhandlungen veröffentlichen<lb/> muß. Die Entfernung sitteverletzender Aeußerungen aus diesen Berichten halten<lb/> wir für ein ganz unzulässiges und verfehltes Mittel. Es ist genan dasselbe<lb/> Verfahren, wie wenn man einen ungesunden Graben, anstatt ihn zu reinigen<lb/> oder zu verschütte», überbaut und dadurch das Gift konzentrirt. Die redneri¬<lb/> schen Ausschreitungen gehören in den authentischen Bericht und folglich in alle<lb/> wahrheitsgetreuer Berichte. Aber die unerläßliche Bedingung ist, daß solchen<lb/> Ausschreitungen die Strafe auf dem Fuße gefolgt sei: die gelinde moralische,<lb/> wo sie ausreicht, die scharfe, das Recht des Redners einschränkende oder kassi-<lb/> rende, wo sie nothwendig ist,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0531]
kann er weder der Würde des Reichstages noch der beschimpften Ehre der Nation
verschaffen. Ein Ordnungsruf, eine Entziehung des Wortes vor vollendeter
Rede können nicht als Sühne gelten, genommen von Rednern, die „auf den
Reichstag pfeifen". Nach unserer Ueberzeugung ist es aber mindestens ebenso
wirkungslos, solchen Rednern gegenüber sich aufzuhalten mit feierlichen Formen
des Verweises oder gar mit Auferlegung einer Abbitte u. tgi. Es sind dies
ungeschickte, unselbständige Entlehnungen fremder Beispiele, die für uns nicht
gut genug sind. Unsere Geschäftsordnungen sind darin ganz richtig: die äußer¬
sten moralischen Mittel, welche der Würde eines deutschen Parlamentes
ziemen, sind Ordnungsruf und Entziehung des Wortes. Aber eben, weil sie
dies sind, reichen zum Schutz der Würde des Reichstages die blos moralischen
Mittel nicht aus, der Reichstag muß die verfassungsmäßige Machtvollkommen¬
heit besitzen, zum Schutz seiner Würde, welche der Maßstab für die Selbst¬
achtung der Nation ist, das Recht jedes einzelnen Mitgliedes zu beschränken
und nöthigenfalls aufzuheben. Zur Vervollständigung dieser Machtvollkommen¬
heit, welche man das Majestätsrecht des Reichstages nennen könnte, gehört aber
auch die weitere Machtvollkommenheit, das Recht jedes Wahlkreises zu be¬
schränken, welcher ein für unwürdig erklärtes Mitglied sendet. Wir rechtfer¬
tigen hiermit, was wir in unserm vierten Briefe gefordert, nämlich einen
Artikel der Reichsverfassung 27 d: „Der Reichstag hat das Recht, Mitglieder,
die sich gegen seine Würde vergehen, sür einen Theil oder bis zum Schlüsse
der Legislaturperiode auszuschließen. Der Wahlkreis des betroffenen Abgeord¬
neten kann eine Neuwahl verlangen. Im Falle der Wiederwahl des ausge¬
schlossenen Abgeordneten verzichtet der Wahlkreis für die Dauer der Ausschlie¬
ßung auf seine Vertretung. Der Reichstag kann das Mandat eines Abgeord¬
neten kassiren, die Wiederwahl des betroffenen Abgeordneten wird dadurch in
jedem Wahlkreise für alle künftigen Wahlen ungiltig, so lange die Kassirung
nicht durch einen neuen Reichstagsbeschluß aufgehoben worden."
In dem vierten dieser Briefe haben wir gezeigt, daß und weshalb ein
deutscher Reichstag authentische Berichte seiner Verhandlungen veröffentlichen
muß. Die Entfernung sitteverletzender Aeußerungen aus diesen Berichten halten
wir für ein ganz unzulässiges und verfehltes Mittel. Es ist genan dasselbe
Verfahren, wie wenn man einen ungesunden Graben, anstatt ihn zu reinigen
oder zu verschütte», überbaut und dadurch das Gift konzentrirt. Die redneri¬
schen Ausschreitungen gehören in den authentischen Bericht und folglich in alle
wahrheitsgetreuer Berichte. Aber die unerläßliche Bedingung ist, daß solchen
Ausschreitungen die Strafe auf dem Fuße gefolgt sei: die gelinde moralische,
wo sie ausreicht, die scharfe, das Recht des Redners einschränkende oder kassi-
rende, wo sie nothwendig ist,
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