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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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glaubte, daß es dem menschlichen Geiste für immer würde verschlossen bleiben,
in das Gebiet der molekularen Kraftbeziehungen. Wir haben also ein volles
Recht, unsern Landsmann mit jenem großen Italiener des siebzehnten Jahr¬
hunderts zu vergleichen und auf eine Stufe zu stellen.

Um dem Leser eine richtige Werthschätzung der Mayer'schen Entdeckung
zu ermöglichen, möge an die ungeheuren Schwierigkeiten erinnert sein, welche
die menschliche Erkenntniß gerade dann findet, wenn sie in die alltäglichsten und
allgemeinsten Erscheinungen einzudringen versucht, daran erinnert sein, wie selten
es gelingt, neue fundamentale Naturwahrheiten zu entdecken. Nicht blos die Lehren
der Geschichte sagen uns dies; auch die Autorität eines Mannes läßt sich dafür
anführen, an dessen Namen sich die höchsten Leistungen des achtzehnten Jahr¬
hunderts auf mathematisch-mechanischem Gebiete knüpfen. Lagrange, indem er
Galilei's astronomische Entdeckungen mit denen vergleicht, die den freien Fall der
Körper betreffen, thut jenen bekannten Ausspruch, der heute auch auf Mayer
gestattet ist: "Die Entdeckungen der Jupitertrabanten, der Venusphasen, der
Sonnenflecken u. s. w. erforderten nur Teleskope und Fleiß; aber es bedürfte
eiues außerordentlichen Genies, um die Gesetze der Natur in Erscheinungen
zu entwirren, die man stets vor Augen gehabt hatte, deren Erklärung aber
nichtsdestoweniger den Nachforschungen der Philosophen immer entgangen war."

Angesichts solcher Schwierigkeiten liegt die Frage nahe: Wie gelangte
Mayer zu seiner Entdeckung? Durch welche Umstände wurde sein Denken an¬
geregt? -- Er selbst gibt uns darüber einen Bericht, und die Geschichte der
Wissenschaft hat aus vielen Gründen Ursache, ihm dankbar dafür zu sein. Mnyer
befand sich im Sommer des Jahres 1840 ans Java und machte bei Aderlässen,
die er an neu angekommenen Europäern vornahm, die Beobachtung, daß das
aus der Armvene genommene Blut fast durchweg eine überraschend hellrothe
Farbe zeigte. Diese Beobachtung fesselte seine Aufmerksamkeit und lenkte sie auf
Fragen, welche die thierische Wärme betreffen. Ausgehend von der Theorie
Lavoisier's, nach welcher die thierische Wärme das Resultat eines Verbrennungs¬
prozesses ist, sah er den Farbenunterschied des venösen und arteriellen Blutes
als ein sichtbares Zeichen einer mit dem Blute vor sich gehenden Verbrennung
an. Soll der Körper eine gleichmäßige Temperatur behalten, so muß die
Wärmeentwickelung, also auch die Oxydation, zu dem Wärmeverluste und somit
auch zu der Temperatur der Umgebung, an welche der Körper die Wärme
abgibt, nothwendig in einer Größenbeziehnng stehen. In Folge dessen muß
die Wärmeerzeugung des Körpers ebenso wie der Farbenunterschied beider
Blutarten in der heißen Zone geringer sein als in der kalten. Nun erzeugt
aber der Körper auf zweierlei Weise Wärme; theils direkt im Innern dnrch
Verbrennung, eine Wärme, welche er durch Mittheilung an die Umgebung


glaubte, daß es dem menschlichen Geiste für immer würde verschlossen bleiben,
in das Gebiet der molekularen Kraftbeziehungen. Wir haben also ein volles
Recht, unsern Landsmann mit jenem großen Italiener des siebzehnten Jahr¬
hunderts zu vergleichen und auf eine Stufe zu stellen.

Um dem Leser eine richtige Werthschätzung der Mayer'schen Entdeckung
zu ermöglichen, möge an die ungeheuren Schwierigkeiten erinnert sein, welche
die menschliche Erkenntniß gerade dann findet, wenn sie in die alltäglichsten und
allgemeinsten Erscheinungen einzudringen versucht, daran erinnert sein, wie selten
es gelingt, neue fundamentale Naturwahrheiten zu entdecken. Nicht blos die Lehren
der Geschichte sagen uns dies; auch die Autorität eines Mannes läßt sich dafür
anführen, an dessen Namen sich die höchsten Leistungen des achtzehnten Jahr¬
hunderts auf mathematisch-mechanischem Gebiete knüpfen. Lagrange, indem er
Galilei's astronomische Entdeckungen mit denen vergleicht, die den freien Fall der
Körper betreffen, thut jenen bekannten Ausspruch, der heute auch auf Mayer
gestattet ist: „Die Entdeckungen der Jupitertrabanten, der Venusphasen, der
Sonnenflecken u. s. w. erforderten nur Teleskope und Fleiß; aber es bedürfte
eiues außerordentlichen Genies, um die Gesetze der Natur in Erscheinungen
zu entwirren, die man stets vor Augen gehabt hatte, deren Erklärung aber
nichtsdestoweniger den Nachforschungen der Philosophen immer entgangen war."

Angesichts solcher Schwierigkeiten liegt die Frage nahe: Wie gelangte
Mayer zu seiner Entdeckung? Durch welche Umstände wurde sein Denken an¬
geregt? — Er selbst gibt uns darüber einen Bericht, und die Geschichte der
Wissenschaft hat aus vielen Gründen Ursache, ihm dankbar dafür zu sein. Mnyer
befand sich im Sommer des Jahres 1840 ans Java und machte bei Aderlässen,
die er an neu angekommenen Europäern vornahm, die Beobachtung, daß das
aus der Armvene genommene Blut fast durchweg eine überraschend hellrothe
Farbe zeigte. Diese Beobachtung fesselte seine Aufmerksamkeit und lenkte sie auf
Fragen, welche die thierische Wärme betreffen. Ausgehend von der Theorie
Lavoisier's, nach welcher die thierische Wärme das Resultat eines Verbrennungs¬
prozesses ist, sah er den Farbenunterschied des venösen und arteriellen Blutes
als ein sichtbares Zeichen einer mit dem Blute vor sich gehenden Verbrennung
an. Soll der Körper eine gleichmäßige Temperatur behalten, so muß die
Wärmeentwickelung, also auch die Oxydation, zu dem Wärmeverluste und somit
auch zu der Temperatur der Umgebung, an welche der Körper die Wärme
abgibt, nothwendig in einer Größenbeziehnng stehen. In Folge dessen muß
die Wärmeerzeugung des Körpers ebenso wie der Farbenunterschied beider
Blutarten in der heißen Zone geringer sein als in der kalten. Nun erzeugt
aber der Körper auf zweierlei Weise Wärme; theils direkt im Innern dnrch
Verbrennung, eine Wärme, welche er durch Mittheilung an die Umgebung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/52>, abgerufen am 23.07.2024.