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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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ihres Autors durch ganz Deutschland berühmt machte, verstand auch kein Mensch.
Nackte Frauen- und Männerleiber, unförmlich gestaltet, wälzten sich in blauen
und purpurrothen Tinten umher. Keine dieser Gestalten ließ sich in ihrer
ganzen Entwickelung verfolgen, ein vollständiges Gliedmaßen-Inventar ließ sich
auch nicht aufnehmen. Aber die sinnliche Ueppigkeit der sichtbaren Glieder, welche
weit über menschliches Maß hinausgingen, und die berauschende Gluth des
"Farbenzaubers" versetzte das Publikum der großen Städte in namenloses Ent¬
zücken. Gerade in dem Mystischen, dem Unverständlichen, dem Traumhaften, dem
Visionären lagen die unergründlichen Reize dieses wiederum dreitheiligen Bilder-
cyclus, der im Jahre 1868 seine Wanderung durch die Hauptstädte Deutschland's
antrat. Seit der europäischen Rundreise, welche die beiden Historienbilder der
Brüsseler Meister Gallait und de Biefve im Jahre 1843 gemacht, hat kein Ge¬
mälde ein fo ungeheures Aufsehen erregt, wie. diese "sieben Todsünden", die
man auch mit ebensolchen Rechte "die Pest in Florenz" nannte, während der
Künstler selbst nicht ohne Cynismus das Wort der Pompadour "^xrö3 rwus
1s cküIuM" seinem Bilde als Geleitsbrief mit auf den Weg gab. Und in der
That ist dasselbe "ein tropischer Sumpf von Schönheit", wie sich ein Verehrer
der Makart'schen Palette mit vorsichtiger Verklausulirung ausdrückt, unendlich
charakteristisch für eine in Ueppigkeit und Sinnenlust zu Grunde gehende Epoche
wie die des ersterbenden Rokokozeitalters.

In Deutschland entflammte vor dieser Schöpfung eines eigensinnigen kolo¬
ristischen Talentes, dem man trotz seiner tollen Ueberschwänglichkeit, seiner dem
reinen Aether der Kunst völlig abgekehrten Sinnlichkeit eine instinktive Begabung
nicht absprechen konnte, ein erbitterter Streit, ähnlich demjenigen, der sich fast
zu gleicher Zeit unter den Gegnern und Anhängern Richard Wagner's entspann
und der bis auf den heutigen Tag mit stetig wachsender Heftigkeit fortgesetzt
worden ist. Ich meine hier nicht den Streit der beiden Parteien, deren eine
"die freie Sinnlichkeit" ans ihr Banner geschrieben hatte, während die andere
im Namen der Moral focht. Ich meine jene Parteien, die auf rein künstlerischen
Prinzipien fußten und von denen die eine im Kampfe gegen die andere die
Form wider die Farbe, die Natur wider die Phantasie vertheidigte. Aber die
ruhigen und besonnenen Stimmen verhallten unter dem Beifallsgeschrei der
Fanatiker, und als erstere dadurch Recht bekamen, daß die Jury des Pariser
"Salon" dieses Bild zurückwies, vertuschte man sorgfältig den wahren Grund
dieser Zurückweisung und posaunte aller Orten aus, die Franzosen hätten das
Bild aus Prüderie abgelehnt. Man mag dabei eine stille Freude empfunden
haben, daß wir wenigstens in dieser Beziehung den frivolen Franzosen voraus¬
geeilt. In der That aber war der Grund der Ablehnung ein ganz anderer,
der sich aus rein künstlerischen Beobachtungen ergab. Die Franzosen nahmen


ihres Autors durch ganz Deutschland berühmt machte, verstand auch kein Mensch.
Nackte Frauen- und Männerleiber, unförmlich gestaltet, wälzten sich in blauen
und purpurrothen Tinten umher. Keine dieser Gestalten ließ sich in ihrer
ganzen Entwickelung verfolgen, ein vollständiges Gliedmaßen-Inventar ließ sich
auch nicht aufnehmen. Aber die sinnliche Ueppigkeit der sichtbaren Glieder, welche
weit über menschliches Maß hinausgingen, und die berauschende Gluth des
„Farbenzaubers" versetzte das Publikum der großen Städte in namenloses Ent¬
zücken. Gerade in dem Mystischen, dem Unverständlichen, dem Traumhaften, dem
Visionären lagen die unergründlichen Reize dieses wiederum dreitheiligen Bilder-
cyclus, der im Jahre 1868 seine Wanderung durch die Hauptstädte Deutschland's
antrat. Seit der europäischen Rundreise, welche die beiden Historienbilder der
Brüsseler Meister Gallait und de Biefve im Jahre 1843 gemacht, hat kein Ge¬
mälde ein fo ungeheures Aufsehen erregt, wie. diese „sieben Todsünden", die
man auch mit ebensolchen Rechte „die Pest in Florenz" nannte, während der
Künstler selbst nicht ohne Cynismus das Wort der Pompadour „^xrö3 rwus
1s cküIuM" seinem Bilde als Geleitsbrief mit auf den Weg gab. Und in der
That ist dasselbe „ein tropischer Sumpf von Schönheit", wie sich ein Verehrer
der Makart'schen Palette mit vorsichtiger Verklausulirung ausdrückt, unendlich
charakteristisch für eine in Ueppigkeit und Sinnenlust zu Grunde gehende Epoche
wie die des ersterbenden Rokokozeitalters.

In Deutschland entflammte vor dieser Schöpfung eines eigensinnigen kolo¬
ristischen Talentes, dem man trotz seiner tollen Ueberschwänglichkeit, seiner dem
reinen Aether der Kunst völlig abgekehrten Sinnlichkeit eine instinktive Begabung
nicht absprechen konnte, ein erbitterter Streit, ähnlich demjenigen, der sich fast
zu gleicher Zeit unter den Gegnern und Anhängern Richard Wagner's entspann
und der bis auf den heutigen Tag mit stetig wachsender Heftigkeit fortgesetzt
worden ist. Ich meine hier nicht den Streit der beiden Parteien, deren eine
„die freie Sinnlichkeit" ans ihr Banner geschrieben hatte, während die andere
im Namen der Moral focht. Ich meine jene Parteien, die auf rein künstlerischen
Prinzipien fußten und von denen die eine im Kampfe gegen die andere die
Form wider die Farbe, die Natur wider die Phantasie vertheidigte. Aber die
ruhigen und besonnenen Stimmen verhallten unter dem Beifallsgeschrei der
Fanatiker, und als erstere dadurch Recht bekamen, daß die Jury des Pariser
„Salon" dieses Bild zurückwies, vertuschte man sorgfältig den wahren Grund
dieser Zurückweisung und posaunte aller Orten aus, die Franzosen hätten das
Bild aus Prüderie abgelehnt. Man mag dabei eine stille Freude empfunden
haben, daß wir wenigstens in dieser Beziehung den frivolen Franzosen voraus¬
geeilt. In der That aber war der Grund der Ablehnung ein ganz anderer,
der sich aus rein künstlerischen Beobachtungen ergab. Die Franzosen nahmen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/510>, abgerufen am 06.02.2025.