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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Auch war es bekannt, daß durch Wärme wiederum mechanische Bewegung er¬
zeugt werden könne. Die Dampfmaschine lehrte dies täglich. Tiefer in die
Verhältnisse einzudringen, war keinem gelungen, geschweige denn, daß Jemand
auf den Gedanken gekommen wäre, es könne zwischen der Fallbewegung und
der Wärmeerscheinuug ein zahlenmäßiger Zusammenhang existiren. Mayer
erkannte diesen Zusammenhang und erkannte auch, daß derselbe nur durch
Größeubestimmung, durch Messung aufgeklärt werden könne. Er zuerst stellte
die bestimmte Frage: Wie viel Arbeitskraft ist erforderlich, um eine vorge¬
schriebene Menge von Wärme zu erzengen? Und umgekehrt: Wie viel Wärme
zu einer vorgeschriebenen Menge von Arbeitskraft? Mit dieser Frage war,
sobald sie mit dem vollen Bewußtsein ihrer Tragweite gestellt wurde, wie es
von Mayer geschah, die Hauptsache erledigt. Das Weitere war nun Sache
des Experimentes und der Rechnung, und auch diese führte Mayer in höchst
genialer Weise ans, wohl wissend, daß erst dann seine Entdeckung zum vollen
Abschluß gebracht und gegen alle Anfechtungen der Mißgunst und der stumpfen
Auffassung gesichert war, wenn die Größenbeziehung zwischen der Bewegung
und der Wärme numerisch angegeben werden konnte. Da er sich ans unge¬
naues experimentelles Material zu stützen genöthigt war, auf Material, das
nur für einen Geist von so seltener Originalität einen Sinn hatte, so gelang
es ihm allerdings nicht, die Maßzahl in seinem Gesetze völlig genau anzu¬
geben. Spätere Experimentatoren haben diese Nebensache erledigt und die
Mayer'sche Zahl 365 durch die genaue 425 ersetzt. Diese Zahl ist das mecha¬
nische Aequivalent der Wärme, und das Mayer'sche Gesetz darüber heißt in
kurzen Worten: "Die Erwärmung einer gewissen Menge von Wasser (etwa
eines Kilogramms) um einen Grad der hunderttheiligen Thermometerskala
entspricht der Erhebung einer gleichen Menge um 425 Meter."

Es ist oben an die Entdeckung Galilei's, den Fallraum der ersten Sekunde,
erinnert und bemerkt worden, daß diese Zahl die Grundlage für die Mechanik
und Physik geworden ist. Etwas Aehnliches ist in Betreff des Mayer'sehen
Gesetzes der Fall. Durch dies Gesetz wird zwischen den beiden wichtigsten Er-
scheinungsgruppeu, der Schwere und der Wärme, die bisher völlig getrennt waren,
eine ursächliche und -- was die Hauptsache ist -- der Größe uach bestimmte
Beziehung festgesetzt. Es müssen sich also zuletzt alle Wärmeerscheinungen auf
mechanische Vorgänge und auf mechanische Prinzipien zurückführen lasten,
und wie das Galilei'sche Gesetz den Grund legte zu dem Gebäude der Physik,
so wird das Mayer'sche den Grund legen zu einer Wärmemechanik, die wir
allerdings noch von der Zukunft zu erwarten haben. Ja in gewisser Beziehung
ist durch die Mayer'sche Entdeckung noch mehr geleistet als dnrch die Galilei'sche;
denn sie ist es, die uns den ersten Blick in ein Gebiet eröffnet, von dem man


Auch war es bekannt, daß durch Wärme wiederum mechanische Bewegung er¬
zeugt werden könne. Die Dampfmaschine lehrte dies täglich. Tiefer in die
Verhältnisse einzudringen, war keinem gelungen, geschweige denn, daß Jemand
auf den Gedanken gekommen wäre, es könne zwischen der Fallbewegung und
der Wärmeerscheinuug ein zahlenmäßiger Zusammenhang existiren. Mayer
erkannte diesen Zusammenhang und erkannte auch, daß derselbe nur durch
Größeubestimmung, durch Messung aufgeklärt werden könne. Er zuerst stellte
die bestimmte Frage: Wie viel Arbeitskraft ist erforderlich, um eine vorge¬
schriebene Menge von Wärme zu erzengen? Und umgekehrt: Wie viel Wärme
zu einer vorgeschriebenen Menge von Arbeitskraft? Mit dieser Frage war,
sobald sie mit dem vollen Bewußtsein ihrer Tragweite gestellt wurde, wie es
von Mayer geschah, die Hauptsache erledigt. Das Weitere war nun Sache
des Experimentes und der Rechnung, und auch diese führte Mayer in höchst
genialer Weise ans, wohl wissend, daß erst dann seine Entdeckung zum vollen
Abschluß gebracht und gegen alle Anfechtungen der Mißgunst und der stumpfen
Auffassung gesichert war, wenn die Größenbeziehung zwischen der Bewegung
und der Wärme numerisch angegeben werden konnte. Da er sich ans unge¬
naues experimentelles Material zu stützen genöthigt war, auf Material, das
nur für einen Geist von so seltener Originalität einen Sinn hatte, so gelang
es ihm allerdings nicht, die Maßzahl in seinem Gesetze völlig genau anzu¬
geben. Spätere Experimentatoren haben diese Nebensache erledigt und die
Mayer'sche Zahl 365 durch die genaue 425 ersetzt. Diese Zahl ist das mecha¬
nische Aequivalent der Wärme, und das Mayer'sche Gesetz darüber heißt in
kurzen Worten: „Die Erwärmung einer gewissen Menge von Wasser (etwa
eines Kilogramms) um einen Grad der hunderttheiligen Thermometerskala
entspricht der Erhebung einer gleichen Menge um 425 Meter."

Es ist oben an die Entdeckung Galilei's, den Fallraum der ersten Sekunde,
erinnert und bemerkt worden, daß diese Zahl die Grundlage für die Mechanik
und Physik geworden ist. Etwas Aehnliches ist in Betreff des Mayer'sehen
Gesetzes der Fall. Durch dies Gesetz wird zwischen den beiden wichtigsten Er-
scheinungsgruppeu, der Schwere und der Wärme, die bisher völlig getrennt waren,
eine ursächliche und — was die Hauptsache ist — der Größe uach bestimmte
Beziehung festgesetzt. Es müssen sich also zuletzt alle Wärmeerscheinungen auf
mechanische Vorgänge und auf mechanische Prinzipien zurückführen lasten,
und wie das Galilei'sche Gesetz den Grund legte zu dem Gebäude der Physik,
so wird das Mayer'sche den Grund legen zu einer Wärmemechanik, die wir
allerdings noch von der Zukunft zu erwarten haben. Ja in gewisser Beziehung
ist durch die Mayer'sche Entdeckung noch mehr geleistet als dnrch die Galilei'sche;
denn sie ist es, die uns den ersten Blick in ein Gebiet eröffnet, von dem man


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[0051] Auch war es bekannt, daß durch Wärme wiederum mechanische Bewegung er¬ zeugt werden könne. Die Dampfmaschine lehrte dies täglich. Tiefer in die Verhältnisse einzudringen, war keinem gelungen, geschweige denn, daß Jemand auf den Gedanken gekommen wäre, es könne zwischen der Fallbewegung und der Wärmeerscheinuug ein zahlenmäßiger Zusammenhang existiren. Mayer erkannte diesen Zusammenhang und erkannte auch, daß derselbe nur durch Größeubestimmung, durch Messung aufgeklärt werden könne. Er zuerst stellte die bestimmte Frage: Wie viel Arbeitskraft ist erforderlich, um eine vorge¬ schriebene Menge von Wärme zu erzengen? Und umgekehrt: Wie viel Wärme zu einer vorgeschriebenen Menge von Arbeitskraft? Mit dieser Frage war, sobald sie mit dem vollen Bewußtsein ihrer Tragweite gestellt wurde, wie es von Mayer geschah, die Hauptsache erledigt. Das Weitere war nun Sache des Experimentes und der Rechnung, und auch diese führte Mayer in höchst genialer Weise ans, wohl wissend, daß erst dann seine Entdeckung zum vollen Abschluß gebracht und gegen alle Anfechtungen der Mißgunst und der stumpfen Auffassung gesichert war, wenn die Größenbeziehung zwischen der Bewegung und der Wärme numerisch angegeben werden konnte. Da er sich ans unge¬ naues experimentelles Material zu stützen genöthigt war, auf Material, das nur für einen Geist von so seltener Originalität einen Sinn hatte, so gelang es ihm allerdings nicht, die Maßzahl in seinem Gesetze völlig genau anzu¬ geben. Spätere Experimentatoren haben diese Nebensache erledigt und die Mayer'sche Zahl 365 durch die genaue 425 ersetzt. Diese Zahl ist das mecha¬ nische Aequivalent der Wärme, und das Mayer'sche Gesetz darüber heißt in kurzen Worten: „Die Erwärmung einer gewissen Menge von Wasser (etwa eines Kilogramms) um einen Grad der hunderttheiligen Thermometerskala entspricht der Erhebung einer gleichen Menge um 425 Meter." Es ist oben an die Entdeckung Galilei's, den Fallraum der ersten Sekunde, erinnert und bemerkt worden, daß diese Zahl die Grundlage für die Mechanik und Physik geworden ist. Etwas Aehnliches ist in Betreff des Mayer'sehen Gesetzes der Fall. Durch dies Gesetz wird zwischen den beiden wichtigsten Er- scheinungsgruppeu, der Schwere und der Wärme, die bisher völlig getrennt waren, eine ursächliche und — was die Hauptsache ist — der Größe uach bestimmte Beziehung festgesetzt. Es müssen sich also zuletzt alle Wärmeerscheinungen auf mechanische Vorgänge und auf mechanische Prinzipien zurückführen lasten, und wie das Galilei'sche Gesetz den Grund legte zu dem Gebäude der Physik, so wird das Mayer'sche den Grund legen zu einer Wärmemechanik, die wir allerdings noch von der Zukunft zu erwarten haben. Ja in gewisser Beziehung ist durch die Mayer'sche Entdeckung noch mehr geleistet als dnrch die Galilei'sche; denn sie ist es, die uns den ersten Blick in ein Gebiet eröffnet, von dem man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/51>, abgerufen am 23.07.2024.