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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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stärker auf den Boden aufschlägt, je höher er herabgefallen ist. Es entsteht
nun die Aufgabe, die zwischen der Fallhöhe, der Fallzeit und der Endgeschwin¬
digkeit stattfindenden Größenbeziehungen aufzufinden und in bestimmten Zahlen
auszudrücken. Das Experiment, das einzig und allein Aufschluß geben kann,
führt zu der Wahrheit, daß jeder fallende Körper in der ersten Sekunde einen
Weg von 4,9 Meter zurücklegt und am Ende derselben eine Geschwindigkeit
von 9,8 Meter erlangt hat, (d. h. eine Geschwindigkeit, vermöge welcher er in
einer Sekunde einen Weg von 9,8 Meter zurücklegen würde).

Sobald diese Zahl, der Fallraum der ersten Sekunde, aufgefunden ist,
kennt man auch die Größe der Kraft, welche das Fallen bewirkt; keinen Augen¬
blick eher. Wie viel und wie tief man auch über die Form der beschleunigten
Bewegung spekuliren will, über das Zunehmen der Fallräume und ihr
Größenverhältniß zu einander, man würde keinen Ausschluß bekommen über
das, was vor allem Interesse haben muß und von fundamentaler Bedeutung
ist, über den Weg, den ein fallender Körper in einer bestimmten Zeit zurück¬
legt. Selbst wenn der Gedanke und das bestätigende Experiment festgestellt
hätte, daß die Fallräume der ersten, zweiten, dritten le. Sekunde sich wie die
ungeraden Zahlen eins, zwei, drei :c. verhalten, so bliebe der wirkliche Fallrcinm
doch stets uoch eine unbekannte Thatsache. Ist er gefunden, dann erst ist man
in die Wirklichkeit tiefer eingedrungen und hat gleichsam ein Stück der Natur
mehr kennen gelernt, was ja Zweck und Ziel der Naturforschung ist.

Welche Rolle der Fallraum der ersten Sekunde in der Natur spielt, ist
dem Leser bekannt. Es sollte nur daran erinnert werden, um die Wichtigkeit
dieser Zahl wie überhaupt derartiger Zahlen lebhafter vor die Seele zu führen,
und um an dieser Entdeckung Galilei's einen Maßstab für die Mayer'sche
Entdeckung zu gewinnen.

Um die Wärmeerscheinuugen aufzuklären, hatte man früher zu den spitz¬
findigsten Hypothesen seine Zuflucht genommen. Man sprach von einem be¬
sonderen "Wärmestoff", von einem bald ruhenden, bald schwingenden "Wärme¬
äther", auch wohl von "Wärmeatomen", die man in den zwischen den
Massenatomen befindlichen Räumen ihr Wesen treiben ließ. Aber man erreichte
mit allen diesen Hypothesen nichts; die Wärmeerscheinungen blieben für die
menschliche Erkenntniß ebenso dunkle Vorgänge, wie sie es vorher gewesen
waren. Am allerwenigsten wußte man mit der durch Reibung, durch deu
Stoß oder durch das Zusammendrücken von luftförmigen Körpern, überhaupt
durch mechanische Vorgänge entstehenden Wärme fertig zu werden. Zwar hatte
man sich durch umfassende Experimente davon überzeugt, daß durch die Reibung
in der That eine hohe Temperatur hervorgerufen werden könne, aber mehr, als
was die ganz alltägliche Erfahrung zeigte, war damit nicht zu Tage gefördert.


stärker auf den Boden aufschlägt, je höher er herabgefallen ist. Es entsteht
nun die Aufgabe, die zwischen der Fallhöhe, der Fallzeit und der Endgeschwin¬
digkeit stattfindenden Größenbeziehungen aufzufinden und in bestimmten Zahlen
auszudrücken. Das Experiment, das einzig und allein Aufschluß geben kann,
führt zu der Wahrheit, daß jeder fallende Körper in der ersten Sekunde einen
Weg von 4,9 Meter zurücklegt und am Ende derselben eine Geschwindigkeit
von 9,8 Meter erlangt hat, (d. h. eine Geschwindigkeit, vermöge welcher er in
einer Sekunde einen Weg von 9,8 Meter zurücklegen würde).

Sobald diese Zahl, der Fallraum der ersten Sekunde, aufgefunden ist,
kennt man auch die Größe der Kraft, welche das Fallen bewirkt; keinen Augen¬
blick eher. Wie viel und wie tief man auch über die Form der beschleunigten
Bewegung spekuliren will, über das Zunehmen der Fallräume und ihr
Größenverhältniß zu einander, man würde keinen Ausschluß bekommen über
das, was vor allem Interesse haben muß und von fundamentaler Bedeutung
ist, über den Weg, den ein fallender Körper in einer bestimmten Zeit zurück¬
legt. Selbst wenn der Gedanke und das bestätigende Experiment festgestellt
hätte, daß die Fallräume der ersten, zweiten, dritten le. Sekunde sich wie die
ungeraden Zahlen eins, zwei, drei :c. verhalten, so bliebe der wirkliche Fallrcinm
doch stets uoch eine unbekannte Thatsache. Ist er gefunden, dann erst ist man
in die Wirklichkeit tiefer eingedrungen und hat gleichsam ein Stück der Natur
mehr kennen gelernt, was ja Zweck und Ziel der Naturforschung ist.

Welche Rolle der Fallraum der ersten Sekunde in der Natur spielt, ist
dem Leser bekannt. Es sollte nur daran erinnert werden, um die Wichtigkeit
dieser Zahl wie überhaupt derartiger Zahlen lebhafter vor die Seele zu führen,
und um an dieser Entdeckung Galilei's einen Maßstab für die Mayer'sche
Entdeckung zu gewinnen.

Um die Wärmeerscheinuugen aufzuklären, hatte man früher zu den spitz¬
findigsten Hypothesen seine Zuflucht genommen. Man sprach von einem be¬
sonderen „Wärmestoff", von einem bald ruhenden, bald schwingenden „Wärme¬
äther", auch wohl von „Wärmeatomen", die man in den zwischen den
Massenatomen befindlichen Räumen ihr Wesen treiben ließ. Aber man erreichte
mit allen diesen Hypothesen nichts; die Wärmeerscheinungen blieben für die
menschliche Erkenntniß ebenso dunkle Vorgänge, wie sie es vorher gewesen
waren. Am allerwenigsten wußte man mit der durch Reibung, durch deu
Stoß oder durch das Zusammendrücken von luftförmigen Körpern, überhaupt
durch mechanische Vorgänge entstehenden Wärme fertig zu werden. Zwar hatte
man sich durch umfassende Experimente davon überzeugt, daß durch die Reibung
in der That eine hohe Temperatur hervorgerufen werden könne, aber mehr, als
was die ganz alltägliche Erfahrung zeigte, war damit nicht zu Tage gefördert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/50>, abgerufen am 23.07.2024.