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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Hottinger, zu nähern gesucht. Ob seine Zuneigung, die er besonders in einem
Gedicht "Die Gefangennehmung" bekundete, erwiedert wurde, läßt sich nicht
entscheiden. Nur soviel ist gewiß, daß die ernstlich angestrebte Verbindung aus
Mangel an materiellen Mitteln zur Zeit sich nicht ermöglichen ließ, und daß
vielleicht auch die Bewerbungen Anderer ihn verhinderten, das heißersehnte Ziel
seiner Wünsche zu erreichen. Unerwartet früh starb die Umworbene in der
Blüthe ihrer Jahre unter allgemeiner Theilnahme.

Wenn über Kayser's musikalisches und dichterisches Schaffen seit dem
Jahre 1776 nur spärliche Nachweise vorliegen, so berechtigt dies nicht zu dem
Schluß, daß er damals minder produktiv gewesen sei. Die fortgesetzten Ver¬
bindungen mit seinen Freunden sorgten hinlänglich dafür, daß er nicht blos
die täglichen Berufspflichten erfüllte. Im Jahre 1776 erschienen von ihm die
"Flüchtigen Aufsätze" von Lenz, und es lassen sich noch einzelne Kompositionen
von Liedern seiner Freunde aus diesem Jahre nachweisen, wie auch die Ver¬
bindung mit Wieland aufrecht zu erhalten gesucht wurde. Aber die Thätigkeit
Kayser's schien doch abgeschwächt, wenigstens nicht in dem richtigen Geleise zu
sein. Wie es sein Beruf mit sich brachte, daß er von Haus zu Haus wanderte,
so hatte auch seine übrige Thätigkeit nichts Stätiges. Er produzirte flüchtig
hingeworfene Kleinigkeiten, Betrachtungen, die meist der Tiefe entbehrten. Wie¬
land hatte ganz Recht, als er beim Erscheinen des Aufsatzes über Gluck die
Bemerkung einfließen ließ: "Ich habe mit Verwunderung gesehen, daß Sie den
Orxdso se IZuriäics Ihres Heiligen noch nicht kennen. Nach meinem Gefühl
ist nichts größeres, liebevolleres, seelenschmelzeuderes als der Gesang obs karn
Duriclies in diesem Singspiel." Auch Klinger, wohl der innigste und
anregendste seiner Freunde, läßt wiederholt durchfühlen, daß die Thätigkeit
Kayser's nicht in richtigem Verhältnisse zu seinen Talenten und seiner Leistungs¬
fähigkeit stand. Was Klinger selber nicht vermocht, suchte er durch Wieland
zu erreichen, zu welchem Kayser begeistert hinausschaute. "Ihr Freund Klinger,"
schreibt Wieland (30. September 1776), "hat mich sehr angelegen, ich sollte Sie
zu bewegen suchen, daß Sie etwas Ihres Genius Würdiges unternähmen, irgend
ein dramatisches Werk oder ein großes Oratorium." Man darf wohl sagen,
Kayser hat es bei der Eigenart seines Berufs und Charakters nie zu einer kon-
zentrirten Thätigkeit gebracht, wenn er nicht, wie wir sehen werden, durch den
beharrlichen Einfluß Anderer dazu bestimmt wurde.

Aber die angedeutete Wandlung Kayser's lag auf anderen Gebieten. Wer
vermag die Gründe zu bestimmen, daß sich in ihm Gefühle des Menschenhasses
regten, und seine Briefe wie der Monolog eines Menschen erschienen, der sich
eben morden will! Es kam eine Zeit, in der er sich mehr und mehr von seinen


Hottinger, zu nähern gesucht. Ob seine Zuneigung, die er besonders in einem
Gedicht „Die Gefangennehmung" bekundete, erwiedert wurde, läßt sich nicht
entscheiden. Nur soviel ist gewiß, daß die ernstlich angestrebte Verbindung aus
Mangel an materiellen Mitteln zur Zeit sich nicht ermöglichen ließ, und daß
vielleicht auch die Bewerbungen Anderer ihn verhinderten, das heißersehnte Ziel
seiner Wünsche zu erreichen. Unerwartet früh starb die Umworbene in der
Blüthe ihrer Jahre unter allgemeiner Theilnahme.

Wenn über Kayser's musikalisches und dichterisches Schaffen seit dem
Jahre 1776 nur spärliche Nachweise vorliegen, so berechtigt dies nicht zu dem
Schluß, daß er damals minder produktiv gewesen sei. Die fortgesetzten Ver¬
bindungen mit seinen Freunden sorgten hinlänglich dafür, daß er nicht blos
die täglichen Berufspflichten erfüllte. Im Jahre 1776 erschienen von ihm die
„Flüchtigen Aufsätze" von Lenz, und es lassen sich noch einzelne Kompositionen
von Liedern seiner Freunde aus diesem Jahre nachweisen, wie auch die Ver¬
bindung mit Wieland aufrecht zu erhalten gesucht wurde. Aber die Thätigkeit
Kayser's schien doch abgeschwächt, wenigstens nicht in dem richtigen Geleise zu
sein. Wie es sein Beruf mit sich brachte, daß er von Haus zu Haus wanderte,
so hatte auch seine übrige Thätigkeit nichts Stätiges. Er produzirte flüchtig
hingeworfene Kleinigkeiten, Betrachtungen, die meist der Tiefe entbehrten. Wie¬
land hatte ganz Recht, als er beim Erscheinen des Aufsatzes über Gluck die
Bemerkung einfließen ließ: „Ich habe mit Verwunderung gesehen, daß Sie den
Orxdso se IZuriäics Ihres Heiligen noch nicht kennen. Nach meinem Gefühl
ist nichts größeres, liebevolleres, seelenschmelzeuderes als der Gesang obs karn
Duriclies in diesem Singspiel." Auch Klinger, wohl der innigste und
anregendste seiner Freunde, läßt wiederholt durchfühlen, daß die Thätigkeit
Kayser's nicht in richtigem Verhältnisse zu seinen Talenten und seiner Leistungs¬
fähigkeit stand. Was Klinger selber nicht vermocht, suchte er durch Wieland
zu erreichen, zu welchem Kayser begeistert hinausschaute. „Ihr Freund Klinger,"
schreibt Wieland (30. September 1776), „hat mich sehr angelegen, ich sollte Sie
zu bewegen suchen, daß Sie etwas Ihres Genius Würdiges unternähmen, irgend
ein dramatisches Werk oder ein großes Oratorium." Man darf wohl sagen,
Kayser hat es bei der Eigenart seines Berufs und Charakters nie zu einer kon-
zentrirten Thätigkeit gebracht, wenn er nicht, wie wir sehen werden, durch den
beharrlichen Einfluß Anderer dazu bestimmt wurde.

Aber die angedeutete Wandlung Kayser's lag auf anderen Gebieten. Wer
vermag die Gründe zu bestimmen, daß sich in ihm Gefühle des Menschenhasses
regten, und seine Briefe wie der Monolog eines Menschen erschienen, der sich
eben morden will! Es kam eine Zeit, in der er sich mehr und mehr von seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/478>, abgerufen am 23.07.2024.