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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Auftraggeber, theils für sich selbst. Die Pollak oder albanesische Wachmann¬
schaft hatte, von einem Mitgliede des Medschlis befehligt, ihr Standquartier
im Dorfe Logotesch. Diese Leute sammelten eines Tages noch andere Spitz¬
buben um sich, zogen in ein Nachbardorf und brachen hier in das Haus eines
Bauern ein, um ihm Geld abzufordern. Als er betheuerte, keines zu haben,
ergriff man ihn, streckte ihn auf den Boden hin und sengte ihn mit glühendem
Eisen. Dies war nun gerade kein gewöhnlicher Fall, und so erregte es in der
Nachbarschaft einige 'Aufmerksamkeit. Zufälligerweise befand sich der in Sofia
wohnende türkische Registrator für die Grundbücher zu dieser Zeit in Dschuma,
hörte von dem Frevel, rief das Einschreiten des Mudir an und brachte es
dahin, daß die Pollak verhaftet und vor das Medschlis gestellt wurde. An¬
fangs behaupteten die Albanesen ihre Unschuld, aber der Zeugenbeweis war
überwältigend, und der Registrator blieb fest, und so gaben die Schurken ihre
Missethat zu und gestanden, daß sie dabei nur den Befehlen ihres Vorgesetzten
und einiger anderer Mitglieder des Medschlis, also der Richter, die über sie
aburtheilen sollten, gefolgt seien. Dies machte die Sache unangenehm, aber
der empörte Registrator brachte den Fall nun vor eine höhere Gerichtsstelle.
Da reiste der oberste Beg, der Befehlshaber der Pollak, also der Hauptanstifter
der Greuelthat, nach Konstantinopel. Er war ein reicher Mann und folglich
von bedeutendem Einflüsse, und so kam es, daß die obersten Gewalten sich be¬
schwichtigen ließen. Der Prozeß wurde niedergeschlagen, und der redliche
Registrator zog entrüstet und betrübt von dannen.

Aehnliche Zustände herrschten in dieser Zeit fast allenthalben in Bulgarien
und Rumelien. Aber der Krimkrieg ist nicht ganz und gar vergeblich geführt
worden. Es wurde seitdem vielfach besser mit der Lage der Christen in der
Türkei, die Räuber wurden fast ganz ausgerottet, die Bedrückung der christ¬
lichen Landleute milderte sich wesentlich, und man nahm ihnen selten viel mehr
ab, als wozu man berechtigt war.

Als gute Waffe zur Vertheidigung gegen die Habgier ihrer Grundherren
und gegen zu arge Mißhandlung von Seiten derselben diente der bulgarischen
Rajah der Umstand, daß ihre Kirche wieder ausgelebt war. Damit war ein
beträchtlicher Theil der lokalen Regierung in die Hände der geistlichen Oberen
ihrer eignen Nation gelegt und zugleich ein Kanal geschaffen, der eine Verbin¬
dung mit Konstantinopel gestattete, durch welche jede Gewaltthat von Bedeu¬
tung an die Pforte und an die Oeffentlichkeit gelangen konnte. Aber freilich
von dem Uebermuth und der Anmaßung der Mohammedaner hatten die Bul¬
garen noch in den letzten Jahren nicht wenig zu leiden. Zwei Beispiele, von
denen Baker als Augenzeuge berichtet, mögen das zeigen.

Im Geschäftszimmer eines Getreidehändlers zu Salonik verhandelte ein


Auftraggeber, theils für sich selbst. Die Pollak oder albanesische Wachmann¬
schaft hatte, von einem Mitgliede des Medschlis befehligt, ihr Standquartier
im Dorfe Logotesch. Diese Leute sammelten eines Tages noch andere Spitz¬
buben um sich, zogen in ein Nachbardorf und brachen hier in das Haus eines
Bauern ein, um ihm Geld abzufordern. Als er betheuerte, keines zu haben,
ergriff man ihn, streckte ihn auf den Boden hin und sengte ihn mit glühendem
Eisen. Dies war nun gerade kein gewöhnlicher Fall, und so erregte es in der
Nachbarschaft einige 'Aufmerksamkeit. Zufälligerweise befand sich der in Sofia
wohnende türkische Registrator für die Grundbücher zu dieser Zeit in Dschuma,
hörte von dem Frevel, rief das Einschreiten des Mudir an und brachte es
dahin, daß die Pollak verhaftet und vor das Medschlis gestellt wurde. An¬
fangs behaupteten die Albanesen ihre Unschuld, aber der Zeugenbeweis war
überwältigend, und der Registrator blieb fest, und so gaben die Schurken ihre
Missethat zu und gestanden, daß sie dabei nur den Befehlen ihres Vorgesetzten
und einiger anderer Mitglieder des Medschlis, also der Richter, die über sie
aburtheilen sollten, gefolgt seien. Dies machte die Sache unangenehm, aber
der empörte Registrator brachte den Fall nun vor eine höhere Gerichtsstelle.
Da reiste der oberste Beg, der Befehlshaber der Pollak, also der Hauptanstifter
der Greuelthat, nach Konstantinopel. Er war ein reicher Mann und folglich
von bedeutendem Einflüsse, und so kam es, daß die obersten Gewalten sich be¬
schwichtigen ließen. Der Prozeß wurde niedergeschlagen, und der redliche
Registrator zog entrüstet und betrübt von dannen.

Aehnliche Zustände herrschten in dieser Zeit fast allenthalben in Bulgarien
und Rumelien. Aber der Krimkrieg ist nicht ganz und gar vergeblich geführt
worden. Es wurde seitdem vielfach besser mit der Lage der Christen in der
Türkei, die Räuber wurden fast ganz ausgerottet, die Bedrückung der christ¬
lichen Landleute milderte sich wesentlich, und man nahm ihnen selten viel mehr
ab, als wozu man berechtigt war.

Als gute Waffe zur Vertheidigung gegen die Habgier ihrer Grundherren
und gegen zu arge Mißhandlung von Seiten derselben diente der bulgarischen
Rajah der Umstand, daß ihre Kirche wieder ausgelebt war. Damit war ein
beträchtlicher Theil der lokalen Regierung in die Hände der geistlichen Oberen
ihrer eignen Nation gelegt und zugleich ein Kanal geschaffen, der eine Verbin¬
dung mit Konstantinopel gestattete, durch welche jede Gewaltthat von Bedeu¬
tung an die Pforte und an die Oeffentlichkeit gelangen konnte. Aber freilich
von dem Uebermuth und der Anmaßung der Mohammedaner hatten die Bul¬
garen noch in den letzten Jahren nicht wenig zu leiden. Zwei Beispiele, von
denen Baker als Augenzeuge berichtet, mögen das zeigen.

Im Geschäftszimmer eines Getreidehändlers zu Salonik verhandelte ein


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[0473] Auftraggeber, theils für sich selbst. Die Pollak oder albanesische Wachmann¬ schaft hatte, von einem Mitgliede des Medschlis befehligt, ihr Standquartier im Dorfe Logotesch. Diese Leute sammelten eines Tages noch andere Spitz¬ buben um sich, zogen in ein Nachbardorf und brachen hier in das Haus eines Bauern ein, um ihm Geld abzufordern. Als er betheuerte, keines zu haben, ergriff man ihn, streckte ihn auf den Boden hin und sengte ihn mit glühendem Eisen. Dies war nun gerade kein gewöhnlicher Fall, und so erregte es in der Nachbarschaft einige 'Aufmerksamkeit. Zufälligerweise befand sich der in Sofia wohnende türkische Registrator für die Grundbücher zu dieser Zeit in Dschuma, hörte von dem Frevel, rief das Einschreiten des Mudir an und brachte es dahin, daß die Pollak verhaftet und vor das Medschlis gestellt wurde. An¬ fangs behaupteten die Albanesen ihre Unschuld, aber der Zeugenbeweis war überwältigend, und der Registrator blieb fest, und so gaben die Schurken ihre Missethat zu und gestanden, daß sie dabei nur den Befehlen ihres Vorgesetzten und einiger anderer Mitglieder des Medschlis, also der Richter, die über sie aburtheilen sollten, gefolgt seien. Dies machte die Sache unangenehm, aber der empörte Registrator brachte den Fall nun vor eine höhere Gerichtsstelle. Da reiste der oberste Beg, der Befehlshaber der Pollak, also der Hauptanstifter der Greuelthat, nach Konstantinopel. Er war ein reicher Mann und folglich von bedeutendem Einflüsse, und so kam es, daß die obersten Gewalten sich be¬ schwichtigen ließen. Der Prozeß wurde niedergeschlagen, und der redliche Registrator zog entrüstet und betrübt von dannen. Aehnliche Zustände herrschten in dieser Zeit fast allenthalben in Bulgarien und Rumelien. Aber der Krimkrieg ist nicht ganz und gar vergeblich geführt worden. Es wurde seitdem vielfach besser mit der Lage der Christen in der Türkei, die Räuber wurden fast ganz ausgerottet, die Bedrückung der christ¬ lichen Landleute milderte sich wesentlich, und man nahm ihnen selten viel mehr ab, als wozu man berechtigt war. Als gute Waffe zur Vertheidigung gegen die Habgier ihrer Grundherren und gegen zu arge Mißhandlung von Seiten derselben diente der bulgarischen Rajah der Umstand, daß ihre Kirche wieder ausgelebt war. Damit war ein beträchtlicher Theil der lokalen Regierung in die Hände der geistlichen Oberen ihrer eignen Nation gelegt und zugleich ein Kanal geschaffen, der eine Verbin¬ dung mit Konstantinopel gestattete, durch welche jede Gewaltthat von Bedeu¬ tung an die Pforte und an die Oeffentlichkeit gelangen konnte. Aber freilich von dem Uebermuth und der Anmaßung der Mohammedaner hatten die Bul¬ garen noch in den letzten Jahren nicht wenig zu leiden. Zwei Beispiele, von denen Baker als Augenzeuge berichtet, mögen das zeigen. Im Geschäftszimmer eines Getreidehändlers zu Salonik verhandelte ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/473>, abgerufen am 01.10.2024.