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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Mißgunst, welche die Nüssen im Grunde gegenüber den Bestrebungen der
Bulgaren zur Hebung ihrer Nationalität jederzeit hegten. In den Schulen von
Odessa und Nikolajew, die fleißig von jungen Bulgaren besucht wurden, war
auf den Landkarten selbst der Name Bulgarien nicht zu finden. Der bulga¬
rischen Kolonie in Bessarabien war bis 1856, wo dieses Ländchen an Rumänien
fiel, der öffentliche Gebrauch ihrer Muttersprache untersagt. Rußland ließ
durch seine Konsuln in den Balkanprovinzen oft und reichlich zur Erbauung
von Kirchen der orthodoxen Konfession, der es angehört und mit der es für
seine Macht Anhänger wirbt, Beiträge zahlen, es verschenkte durch seine Agenten
mit verschwenderischer Freigebigkeit kirchliche Bücher und Ornamente, aber nur
selten gab es etwas zur Errichtung einer Schule her. Es unterstützte mehrere
Klöster (Rylj z. B. soll jährlich 80000 Mark bekommen haben), aber diese
Klöster waren Herde einer der bulgarischen Nationalität feindlichen Agitation.
Bulgaren der ärmeren Klasse wurden ausgewählt und nach Rußland geschickt,
um da erzogen zu werdeu und -- als geheime Agenten für rein russische Zwecke
zurückzukehren.

Solche Agenten führten 1867 in Gemeinschaft mit Russen und Griechen
eine Art Aufstand herbei, der den Zweck hatte, zu Gunsten der Insurrektion
auf der Insel Kreta eine Diversion zu machen, das bulgarische Volk als in
der Erhebung gegen seine Unterdrücker begriffen darstellen zu können und die
öffentliche Meinung im Westen einer russischen Einmischung günstig zu stimmen.
Ein geheimes Konnte in Bukarest nahm die Sache in die Hand und sandte
Banden von Flibustiern in den Balkan, um die Bauern aufzuwiegeln und, wo das
nicht anginge, auszuplündern. Die Türken aber machten diesem Spiele ein
schleuniges Ende, und die christlichen Bauern unterstützten sie dabei. Es lag
ihnen viel weniger daran, die Türken aus dem Lande entfernt zu sehen als
die Griechen, und für die russischen Befreier empfanden sie nichts. Aehnlich
erging es einem zweiten Aufwiegelungsversuche im Jahre 1868. Die Eindring¬
linge wurden theils niedergeschossen, theils in die Berge verjagt, wo sie zu
förmlichen Räuberbanden wurden.

Baker hat 1874 das Land durchreist und sich gerade in den Dörfern
aufgehalten, die 1876 als Opfer der türkischen Grausamkeit in Blut und
Trümmer zusammensanken. Er behauptet, Gelegenheit gehabt zu haben, sich
über die damalige Stimmung der Bevölkerung genügend zu unterrichten, und
er meint, kein Land in der Welt kennen gelernt zu haben, das friedfertiger
und weniger wie der Herd einer Empörung ausgesehen hätte. Es war unter
dem bulgarischen Volke in dieser Zeit genau wie 1867 und 1868. Die russischen
Agenten hatten geringe Aussicht auf Erfolge. Ihre einzige Errungenschaft


Mißgunst, welche die Nüssen im Grunde gegenüber den Bestrebungen der
Bulgaren zur Hebung ihrer Nationalität jederzeit hegten. In den Schulen von
Odessa und Nikolajew, die fleißig von jungen Bulgaren besucht wurden, war
auf den Landkarten selbst der Name Bulgarien nicht zu finden. Der bulga¬
rischen Kolonie in Bessarabien war bis 1856, wo dieses Ländchen an Rumänien
fiel, der öffentliche Gebrauch ihrer Muttersprache untersagt. Rußland ließ
durch seine Konsuln in den Balkanprovinzen oft und reichlich zur Erbauung
von Kirchen der orthodoxen Konfession, der es angehört und mit der es für
seine Macht Anhänger wirbt, Beiträge zahlen, es verschenkte durch seine Agenten
mit verschwenderischer Freigebigkeit kirchliche Bücher und Ornamente, aber nur
selten gab es etwas zur Errichtung einer Schule her. Es unterstützte mehrere
Klöster (Rylj z. B. soll jährlich 80000 Mark bekommen haben), aber diese
Klöster waren Herde einer der bulgarischen Nationalität feindlichen Agitation.
Bulgaren der ärmeren Klasse wurden ausgewählt und nach Rußland geschickt,
um da erzogen zu werdeu und — als geheime Agenten für rein russische Zwecke
zurückzukehren.

Solche Agenten führten 1867 in Gemeinschaft mit Russen und Griechen
eine Art Aufstand herbei, der den Zweck hatte, zu Gunsten der Insurrektion
auf der Insel Kreta eine Diversion zu machen, das bulgarische Volk als in
der Erhebung gegen seine Unterdrücker begriffen darstellen zu können und die
öffentliche Meinung im Westen einer russischen Einmischung günstig zu stimmen.
Ein geheimes Konnte in Bukarest nahm die Sache in die Hand und sandte
Banden von Flibustiern in den Balkan, um die Bauern aufzuwiegeln und, wo das
nicht anginge, auszuplündern. Die Türken aber machten diesem Spiele ein
schleuniges Ende, und die christlichen Bauern unterstützten sie dabei. Es lag
ihnen viel weniger daran, die Türken aus dem Lande entfernt zu sehen als
die Griechen, und für die russischen Befreier empfanden sie nichts. Aehnlich
erging es einem zweiten Aufwiegelungsversuche im Jahre 1868. Die Eindring¬
linge wurden theils niedergeschossen, theils in die Berge verjagt, wo sie zu
förmlichen Räuberbanden wurden.

Baker hat 1874 das Land durchreist und sich gerade in den Dörfern
aufgehalten, die 1876 als Opfer der türkischen Grausamkeit in Blut und
Trümmer zusammensanken. Er behauptet, Gelegenheit gehabt zu haben, sich
über die damalige Stimmung der Bevölkerung genügend zu unterrichten, und
er meint, kein Land in der Welt kennen gelernt zu haben, das friedfertiger
und weniger wie der Herd einer Empörung ausgesehen hätte. Es war unter
dem bulgarischen Volke in dieser Zeit genau wie 1867 und 1868. Die russischen
Agenten hatten geringe Aussicht auf Erfolge. Ihre einzige Errungenschaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/470>, abgerufen am 26.08.2024.