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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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talster Weise, durch alle Mittel der List und Gewalt die griechische Sprache
an die Stelle der slavischen gesetzt. So war es auch bei der Abdankung des
Patriarchen von Ahrida. Derselbe hatte nur für seine Person, nicht für die
ihm untergebene Geistlichkeit verzichtet, und so weigerte sich das bulgarische
Volk, die Folgen, welche die Griechen in Konstantinopel aus seiner Abdikation
herleiteten, anzuerkennen. Aber bald erkannte man, daß die Pforte sich mit
dem Fanar verständigt hatte, und ein ernster Druck verwandelte den bulgari¬
schen Widerstand in einen bloßen Protest ohne Wirkung. Ihre Bischöfe und
Geistlichen wurden entlassen, die leer gewordenen Stellen mit Griechen besetzt,
ihre Klöster und Schulen in Beschlag genommen, die Einkünfte derselben grie¬
chischen Gemeinden überwiesen und die bulgarische Sprache und Literatur aus
allen Erziehungsanstalten verbannt.

Erstaunlich ist es, wie die Bulgaren nach diesem Schlage ihre Nationalität
bewahrten. Man sollte, meinen, die Einrichtung, nach welcher die griechische
Geistlichkeit die Herrschaft über die Schule in die Hände bekam und einen
großen Theil sowohl der kirchlichen als der weltlichen Gewalt über die Nation
erlangte, hätte jener einen fast unbegrenzten Einfluß wenigstens auf die länd¬
liche Bevölkerung verschaffen müssen. Aber das Gegentheil fand statt, und zu
gleicher Zeit erwehrte man bis auf eine kleine Partei sich der von den Russen
gesponnenen Ränke und verstand dieselben zu eigenem Vortheile zu verwenden.
Die Opposition gegen die Gewaltthaten der Griechen bat zunächst den Pa¬
triarchen im Fanar um Abhilfe, bekam aber nur Verweise zur Antwort. Dann
beschwerte man sich bei der Pforte, ebenfalls ohne Erfolg. Die Bedrückungen
und Mißbräuche wurden nur ärger. Allein die Führer der Bulgaren ließen sich
durch solche Mißerfolge nicht abschrecken. In den Jahren 1840 bis 1845
organisirten wohlhabende Kaufleute, von denen einige im Auslande sich höhere
Bildung erworben hatten, die nationale Opposition über das gesammte Land.
Nachdem schon 1835 zu Grabowa eine bulgarische Schule errichtet worden,
geschah Aehnliches in mehreren Städten und Dörfern, und zu gleicher Zeit be¬
mühte man sich, durch Schriften in bulgarischer Sprache zu wirken. In letzterer
Beziehung waren große Schwierigkeiten zu überwinden. Kaum waren die im
Auslande gedruckten Bibeln und andere Schriften angelangt und vertheilt, als
der Patriarch in Konstantinopel durch die Vorstellung, dieselben seien russische
AgitationsMittel und Vorboten einer Empörung, deren Wegnahme veranlaßte.
Aber es war einmal geschehen: ehe diese Drucksachen ausgespürt und vernichtet
wurden, hatten sie ihre Wirkung gethan, und, auf die Entrüstung des Volkes
über die Konfiskation gestützt, konnten die Führer hervortreten, um offen das
Recht der Nation auf den Gebrauch ihrer Sprache zunächst in den Unterrichts¬
anstalten geltend zu machen. In allen Bezirksstädten wurden Geldsammlungen


talster Weise, durch alle Mittel der List und Gewalt die griechische Sprache
an die Stelle der slavischen gesetzt. So war es auch bei der Abdankung des
Patriarchen von Ahrida. Derselbe hatte nur für seine Person, nicht für die
ihm untergebene Geistlichkeit verzichtet, und so weigerte sich das bulgarische
Volk, die Folgen, welche die Griechen in Konstantinopel aus seiner Abdikation
herleiteten, anzuerkennen. Aber bald erkannte man, daß die Pforte sich mit
dem Fanar verständigt hatte, und ein ernster Druck verwandelte den bulgari¬
schen Widerstand in einen bloßen Protest ohne Wirkung. Ihre Bischöfe und
Geistlichen wurden entlassen, die leer gewordenen Stellen mit Griechen besetzt,
ihre Klöster und Schulen in Beschlag genommen, die Einkünfte derselben grie¬
chischen Gemeinden überwiesen und die bulgarische Sprache und Literatur aus
allen Erziehungsanstalten verbannt.

Erstaunlich ist es, wie die Bulgaren nach diesem Schlage ihre Nationalität
bewahrten. Man sollte, meinen, die Einrichtung, nach welcher die griechische
Geistlichkeit die Herrschaft über die Schule in die Hände bekam und einen
großen Theil sowohl der kirchlichen als der weltlichen Gewalt über die Nation
erlangte, hätte jener einen fast unbegrenzten Einfluß wenigstens auf die länd¬
liche Bevölkerung verschaffen müssen. Aber das Gegentheil fand statt, und zu
gleicher Zeit erwehrte man bis auf eine kleine Partei sich der von den Russen
gesponnenen Ränke und verstand dieselben zu eigenem Vortheile zu verwenden.
Die Opposition gegen die Gewaltthaten der Griechen bat zunächst den Pa¬
triarchen im Fanar um Abhilfe, bekam aber nur Verweise zur Antwort. Dann
beschwerte man sich bei der Pforte, ebenfalls ohne Erfolg. Die Bedrückungen
und Mißbräuche wurden nur ärger. Allein die Führer der Bulgaren ließen sich
durch solche Mißerfolge nicht abschrecken. In den Jahren 1840 bis 1845
organisirten wohlhabende Kaufleute, von denen einige im Auslande sich höhere
Bildung erworben hatten, die nationale Opposition über das gesammte Land.
Nachdem schon 1835 zu Grabowa eine bulgarische Schule errichtet worden,
geschah Aehnliches in mehreren Städten und Dörfern, und zu gleicher Zeit be¬
mühte man sich, durch Schriften in bulgarischer Sprache zu wirken. In letzterer
Beziehung waren große Schwierigkeiten zu überwinden. Kaum waren die im
Auslande gedruckten Bibeln und andere Schriften angelangt und vertheilt, als
der Patriarch in Konstantinopel durch die Vorstellung, dieselben seien russische
AgitationsMittel und Vorboten einer Empörung, deren Wegnahme veranlaßte.
Aber es war einmal geschehen: ehe diese Drucksachen ausgespürt und vernichtet
wurden, hatten sie ihre Wirkung gethan, und, auf die Entrüstung des Volkes
über die Konfiskation gestützt, konnten die Führer hervortreten, um offen das
Recht der Nation auf den Gebrauch ihrer Sprache zunächst in den Unterrichts¬
anstalten geltend zu machen. In allen Bezirksstädten wurden Geldsammlungen


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[0465] talster Weise, durch alle Mittel der List und Gewalt die griechische Sprache an die Stelle der slavischen gesetzt. So war es auch bei der Abdankung des Patriarchen von Ahrida. Derselbe hatte nur für seine Person, nicht für die ihm untergebene Geistlichkeit verzichtet, und so weigerte sich das bulgarische Volk, die Folgen, welche die Griechen in Konstantinopel aus seiner Abdikation herleiteten, anzuerkennen. Aber bald erkannte man, daß die Pforte sich mit dem Fanar verständigt hatte, und ein ernster Druck verwandelte den bulgari¬ schen Widerstand in einen bloßen Protest ohne Wirkung. Ihre Bischöfe und Geistlichen wurden entlassen, die leer gewordenen Stellen mit Griechen besetzt, ihre Klöster und Schulen in Beschlag genommen, die Einkünfte derselben grie¬ chischen Gemeinden überwiesen und die bulgarische Sprache und Literatur aus allen Erziehungsanstalten verbannt. Erstaunlich ist es, wie die Bulgaren nach diesem Schlage ihre Nationalität bewahrten. Man sollte, meinen, die Einrichtung, nach welcher die griechische Geistlichkeit die Herrschaft über die Schule in die Hände bekam und einen großen Theil sowohl der kirchlichen als der weltlichen Gewalt über die Nation erlangte, hätte jener einen fast unbegrenzten Einfluß wenigstens auf die länd¬ liche Bevölkerung verschaffen müssen. Aber das Gegentheil fand statt, und zu gleicher Zeit erwehrte man bis auf eine kleine Partei sich der von den Russen gesponnenen Ränke und verstand dieselben zu eigenem Vortheile zu verwenden. Die Opposition gegen die Gewaltthaten der Griechen bat zunächst den Pa¬ triarchen im Fanar um Abhilfe, bekam aber nur Verweise zur Antwort. Dann beschwerte man sich bei der Pforte, ebenfalls ohne Erfolg. Die Bedrückungen und Mißbräuche wurden nur ärger. Allein die Führer der Bulgaren ließen sich durch solche Mißerfolge nicht abschrecken. In den Jahren 1840 bis 1845 organisirten wohlhabende Kaufleute, von denen einige im Auslande sich höhere Bildung erworben hatten, die nationale Opposition über das gesammte Land. Nachdem schon 1835 zu Grabowa eine bulgarische Schule errichtet worden, geschah Aehnliches in mehreren Städten und Dörfern, und zu gleicher Zeit be¬ mühte man sich, durch Schriften in bulgarischer Sprache zu wirken. In letzterer Beziehung waren große Schwierigkeiten zu überwinden. Kaum waren die im Auslande gedruckten Bibeln und andere Schriften angelangt und vertheilt, als der Patriarch in Konstantinopel durch die Vorstellung, dieselben seien russische AgitationsMittel und Vorboten einer Empörung, deren Wegnahme veranlaßte. Aber es war einmal geschehen: ehe diese Drucksachen ausgespürt und vernichtet wurden, hatten sie ihre Wirkung gethan, und, auf die Entrüstung des Volkes über die Konfiskation gestützt, konnten die Führer hervortreten, um offen das Recht der Nation auf den Gebrauch ihrer Sprache zunächst in den Unterrichts¬ anstalten geltend zu machen. In allen Bezirksstädten wurden Geldsammlungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/465>, abgerufen am 23.07.2024.