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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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deten, sondern mit einer gewissen Macht bekleideten, um durch sie ihre christ¬
lichen Unterthanen beherrschen zu können.

Als die Häupter der Griechen ihren Schwerpunkt im Fanar gefunden
hatten, erkannten sie bald die Bedeutung des kirchlichen und politischen Ein¬
flusses, der einer zentralisirten Hierarchie zufallen mußte, und so stellten sie
der Pforte vor, daß die Bulgaren, da sie griechischen Glaubens, von Rechts¬
wegen auch unter der geistlichen Hoheit des griechischen Patriarchen stehen
sollten. Als dies nicht zum Ziele führte, wiesen sie darauf hin, daß die Bul¬
garen die Mehrzahl der Bewohner von Bulgarien, Rumelien und Macedonien
ausmachten, und fügten hinzu, daß unter ihnen ein aufrührerischer, der Pforte
feindlicher Geist herrsche. Die letztere Behauptung war völlig unbegründet.
Im Gegentheil: lange Untertänigkeit und Bedrückung, ländliche Beschäftigung
und der Mangel an einer Aristokratie hatten das kriegerische Feuer der bulga¬
rischen Nation erlöschen lassen, und nichts lag ihren Gedanken und Wünschen,
nichts ihren Kräften ferner als Widersetzlichkeit und Empörung gegen ihre tür¬
kischen Gebieter. Dennoch erreichte die arglistige Politik der Griechen bei der
Pforte allmählich ihren Zweck. Das Patriarchat von Tirnowa war schon seit
Jahrhunderten in den Händen der Griechen. 1700 bemächtigten sie sich auch
der Eparchie von Vraca, 1760 der von Pivot und besetzten in beiden die geist¬
lichen Stellen mit ihren Leuten. 1767 führten sie in dieser Richtung den letzten
Stoß, Bestechung förderte den Erfolg, im ebengenannten Jahre verzichtete Ar-
senius Dolis, der Patriarch von Ahrida, der Residenz der alten bulgarischen
Könige, auf seine Würde, und die bulgarische Kirche wurde unter die Herrschaft
des Patriarchenstuhles von Konstantinopel gestellt.

Die Beweggründe zu diesem Verfahren der Griechen waren theils natio¬
nale, theils grob materielle. Einerseits hofften sie mit Hilfe der Kirche die
Slaven zu hellenisiren und durch solche Verstärkung des griechischen Elementes
die türkische Herrschaft, die auf der Getheiltheit und Uneinigkeit ihrer europäi¬
schen Unterthanen beruhte, zu unterhöhlen. Andererseits wollten sie durch
Aussaugung dieser Diözesen, ihrem schwer verschuldeten Patriarchat zu Gelde
verhelfen. Wenn sich die Bulgaren verzweifelt dagegen sträubten, so geschah
es theils im Hinblick auf ihre Nationalität, theils mit Rücksicht auf ihren
Beutel. Gar manche unwürdige Priesterkaste hat auf Erden gewaltet, aber
kaum je eine unwürdigere als diese Geistlichen aus dem Fanar. Ihre Sitten-
losigkeit, ihre Habgier übersteigt alle Begriffe. Alle Stellen waren käuflich und
wurden theuer bezahlt, und natürlich suchten dann der Patriarch und der Erz-
bischof, der Bischof, der Jngumen (Abt) und der Pope nicht blos den Kauf¬
preis, nicht blos bequemen Unterhalt, sondern auch die Versorgung seiner
Brüder, Söhne und Vettern herauszuschlagen. Daneben aber wurde in drü-


deten, sondern mit einer gewissen Macht bekleideten, um durch sie ihre christ¬
lichen Unterthanen beherrschen zu können.

Als die Häupter der Griechen ihren Schwerpunkt im Fanar gefunden
hatten, erkannten sie bald die Bedeutung des kirchlichen und politischen Ein¬
flusses, der einer zentralisirten Hierarchie zufallen mußte, und so stellten sie
der Pforte vor, daß die Bulgaren, da sie griechischen Glaubens, von Rechts¬
wegen auch unter der geistlichen Hoheit des griechischen Patriarchen stehen
sollten. Als dies nicht zum Ziele führte, wiesen sie darauf hin, daß die Bul¬
garen die Mehrzahl der Bewohner von Bulgarien, Rumelien und Macedonien
ausmachten, und fügten hinzu, daß unter ihnen ein aufrührerischer, der Pforte
feindlicher Geist herrsche. Die letztere Behauptung war völlig unbegründet.
Im Gegentheil: lange Untertänigkeit und Bedrückung, ländliche Beschäftigung
und der Mangel an einer Aristokratie hatten das kriegerische Feuer der bulga¬
rischen Nation erlöschen lassen, und nichts lag ihren Gedanken und Wünschen,
nichts ihren Kräften ferner als Widersetzlichkeit und Empörung gegen ihre tür¬
kischen Gebieter. Dennoch erreichte die arglistige Politik der Griechen bei der
Pforte allmählich ihren Zweck. Das Patriarchat von Tirnowa war schon seit
Jahrhunderten in den Händen der Griechen. 1700 bemächtigten sie sich auch
der Eparchie von Vraca, 1760 der von Pivot und besetzten in beiden die geist¬
lichen Stellen mit ihren Leuten. 1767 führten sie in dieser Richtung den letzten
Stoß, Bestechung förderte den Erfolg, im ebengenannten Jahre verzichtete Ar-
senius Dolis, der Patriarch von Ahrida, der Residenz der alten bulgarischen
Könige, auf seine Würde, und die bulgarische Kirche wurde unter die Herrschaft
des Patriarchenstuhles von Konstantinopel gestellt.

Die Beweggründe zu diesem Verfahren der Griechen waren theils natio¬
nale, theils grob materielle. Einerseits hofften sie mit Hilfe der Kirche die
Slaven zu hellenisiren und durch solche Verstärkung des griechischen Elementes
die türkische Herrschaft, die auf der Getheiltheit und Uneinigkeit ihrer europäi¬
schen Unterthanen beruhte, zu unterhöhlen. Andererseits wollten sie durch
Aussaugung dieser Diözesen, ihrem schwer verschuldeten Patriarchat zu Gelde
verhelfen. Wenn sich die Bulgaren verzweifelt dagegen sträubten, so geschah
es theils im Hinblick auf ihre Nationalität, theils mit Rücksicht auf ihren
Beutel. Gar manche unwürdige Priesterkaste hat auf Erden gewaltet, aber
kaum je eine unwürdigere als diese Geistlichen aus dem Fanar. Ihre Sitten-
losigkeit, ihre Habgier übersteigt alle Begriffe. Alle Stellen waren käuflich und
wurden theuer bezahlt, und natürlich suchten dann der Patriarch und der Erz-
bischof, der Bischof, der Jngumen (Abt) und der Pope nicht blos den Kauf¬
preis, nicht blos bequemen Unterhalt, sondern auch die Versorgung seiner
Brüder, Söhne und Vettern herauszuschlagen. Daneben aber wurde in drü-


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[0464] deten, sondern mit einer gewissen Macht bekleideten, um durch sie ihre christ¬ lichen Unterthanen beherrschen zu können. Als die Häupter der Griechen ihren Schwerpunkt im Fanar gefunden hatten, erkannten sie bald die Bedeutung des kirchlichen und politischen Ein¬ flusses, der einer zentralisirten Hierarchie zufallen mußte, und so stellten sie der Pforte vor, daß die Bulgaren, da sie griechischen Glaubens, von Rechts¬ wegen auch unter der geistlichen Hoheit des griechischen Patriarchen stehen sollten. Als dies nicht zum Ziele führte, wiesen sie darauf hin, daß die Bul¬ garen die Mehrzahl der Bewohner von Bulgarien, Rumelien und Macedonien ausmachten, und fügten hinzu, daß unter ihnen ein aufrührerischer, der Pforte feindlicher Geist herrsche. Die letztere Behauptung war völlig unbegründet. Im Gegentheil: lange Untertänigkeit und Bedrückung, ländliche Beschäftigung und der Mangel an einer Aristokratie hatten das kriegerische Feuer der bulga¬ rischen Nation erlöschen lassen, und nichts lag ihren Gedanken und Wünschen, nichts ihren Kräften ferner als Widersetzlichkeit und Empörung gegen ihre tür¬ kischen Gebieter. Dennoch erreichte die arglistige Politik der Griechen bei der Pforte allmählich ihren Zweck. Das Patriarchat von Tirnowa war schon seit Jahrhunderten in den Händen der Griechen. 1700 bemächtigten sie sich auch der Eparchie von Vraca, 1760 der von Pivot und besetzten in beiden die geist¬ lichen Stellen mit ihren Leuten. 1767 führten sie in dieser Richtung den letzten Stoß, Bestechung förderte den Erfolg, im ebengenannten Jahre verzichtete Ar- senius Dolis, der Patriarch von Ahrida, der Residenz der alten bulgarischen Könige, auf seine Würde, und die bulgarische Kirche wurde unter die Herrschaft des Patriarchenstuhles von Konstantinopel gestellt. Die Beweggründe zu diesem Verfahren der Griechen waren theils natio¬ nale, theils grob materielle. Einerseits hofften sie mit Hilfe der Kirche die Slaven zu hellenisiren und durch solche Verstärkung des griechischen Elementes die türkische Herrschaft, die auf der Getheiltheit und Uneinigkeit ihrer europäi¬ schen Unterthanen beruhte, zu unterhöhlen. Andererseits wollten sie durch Aussaugung dieser Diözesen, ihrem schwer verschuldeten Patriarchat zu Gelde verhelfen. Wenn sich die Bulgaren verzweifelt dagegen sträubten, so geschah es theils im Hinblick auf ihre Nationalität, theils mit Rücksicht auf ihren Beutel. Gar manche unwürdige Priesterkaste hat auf Erden gewaltet, aber kaum je eine unwürdigere als diese Geistlichen aus dem Fanar. Ihre Sitten- losigkeit, ihre Habgier übersteigt alle Begriffe. Alle Stellen waren käuflich und wurden theuer bezahlt, und natürlich suchten dann der Patriarch und der Erz- bischof, der Bischof, der Jngumen (Abt) und der Pope nicht blos den Kauf¬ preis, nicht blos bequemen Unterhalt, sondern auch die Versorgung seiner Brüder, Söhne und Vettern herauszuschlagen. Daneben aber wurde in drü-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/464>, abgerufen am 23.07.2024.