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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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"ErzPriester Johannes", der ihm die Tochter zum Weibe verweigert und dafür
ans der Ebene von Tandue Leben und Land verlor.

Als nach dem Tode Dschengis-Chan's sein ungeheures Reich unter seine
vier Söhne Irgl, Tuti, Okkodai und Tschagatai getheilt wurde, fielen Kaschgar,
die Dsungarei, Afghanistan und Chiwa an den letzteren. Es folgt nun ein
Jahrhundert voll innerer Streitigkeiten und Kämpfe um den Thron. Kaidn,
ein Urenkel Dschengis-Chan's, wurde der Nachfolger Tschagatai's auf dem
Throne Kaschgar's. Nicht lange hatte er ihn inne, als er von Dapa Chan,
einem Nachkommen Tschagatai's, verdrängt wurde. Ihm folgte 1310 sein Sohn
Azmil Chodscha, dessen Söhne und Kindeskinder als Chodscha-Dynastie lange
über Kaschgar regierten. Alle waren Buddhisten, aber Toghlue Timur, einer
der letzten Nachkommen Dschengis-Chan's, trat zum Islam über, und ihm
folgte der gesammte Adel. Das war zu der Zeit, als Tamerlan, eine neue
Geißel, über Asien kam und überall hin Brand und Zerstörung trug. Kasch-
garien speziell wurde in den Jahren 1389 und 1390 von ihm systematisch
verwüstet, und nun begann eine neue Periode des Verfalls und der politischen
Zerrissenheit im Lande, die wir hier mit ihren unablässigen Thronkämpfen
nicht weiter verfolgen können. Das Maß der Zerrüttung war voll, als im
Jahre 1720 die Chinesen das Land an sich rissen und da wieder auf dem Schau¬
platze erschienen, wo sie bereits ein Jahrtausend früher geherrscht.

Wir gelangen nun zu dem interessantesten Kapitel der Geschichte Kasch-
garien's, welches in unseren Tagen spielt und den Hauptinhalt des Buches
von Boulger bildet. Der Mann, von dem wir jetzt zu erzählen haben, und
dessen Tod im Jahre 1877 alle Zeitungen meldeten, war aus demselben
Holze geschnitzt wie Dschengis-Chan und Timur. Im Dorfe Pischked, südlich
von der Stadt Taschkend, die damals noch zum Chanat Kokan gehörte, wurde
1820 Jakub Mehemed als der Sohn eines geringen Schreibers geboren.
Seine Familie stammte aus Karategin, von wo sie in Folge der özbegischen
Eroberung nach Kokan geflüchtet war. Gleich allen Männern iranischer Ab¬
kunft, die unter der özbegischen Herrschaft zumeist mit der Führung der Feder
betraut sind -- denn zur Führung des Schwertes hält der turanische Oezbege
sich allein geschaffen ^ hat Jakub in seiner frühesten Jugend selbst als Schreiber
gedient. Aber "Fähigkeit bricht Felsen durch", sagt das orientalische Sprich¬
wort, und so kam es, daß er durch seine geistige Behendigkeit sich bald
bemerkbar machte. Erst zum Diwandschi, Zolleinnehmer, befördert, griff er
dann zum Schwerte, und im Jahre 1847 ernannte ihn Chudojar-Chan, der
damalige Beherrscher Kokan's, zum Pansad-Baschi, d. h. Offizier über fünf¬
hundert. Bald rückte er zum Kommandanten der Festung Ak Masdschid auf,


„ErzPriester Johannes", der ihm die Tochter zum Weibe verweigert und dafür
ans der Ebene von Tandue Leben und Land verlor.

Als nach dem Tode Dschengis-Chan's sein ungeheures Reich unter seine
vier Söhne Irgl, Tuti, Okkodai und Tschagatai getheilt wurde, fielen Kaschgar,
die Dsungarei, Afghanistan und Chiwa an den letzteren. Es folgt nun ein
Jahrhundert voll innerer Streitigkeiten und Kämpfe um den Thron. Kaidn,
ein Urenkel Dschengis-Chan's, wurde der Nachfolger Tschagatai's auf dem
Throne Kaschgar's. Nicht lange hatte er ihn inne, als er von Dapa Chan,
einem Nachkommen Tschagatai's, verdrängt wurde. Ihm folgte 1310 sein Sohn
Azmil Chodscha, dessen Söhne und Kindeskinder als Chodscha-Dynastie lange
über Kaschgar regierten. Alle waren Buddhisten, aber Toghlue Timur, einer
der letzten Nachkommen Dschengis-Chan's, trat zum Islam über, und ihm
folgte der gesammte Adel. Das war zu der Zeit, als Tamerlan, eine neue
Geißel, über Asien kam und überall hin Brand und Zerstörung trug. Kasch-
garien speziell wurde in den Jahren 1389 und 1390 von ihm systematisch
verwüstet, und nun begann eine neue Periode des Verfalls und der politischen
Zerrissenheit im Lande, die wir hier mit ihren unablässigen Thronkämpfen
nicht weiter verfolgen können. Das Maß der Zerrüttung war voll, als im
Jahre 1720 die Chinesen das Land an sich rissen und da wieder auf dem Schau¬
platze erschienen, wo sie bereits ein Jahrtausend früher geherrscht.

Wir gelangen nun zu dem interessantesten Kapitel der Geschichte Kasch-
garien's, welches in unseren Tagen spielt und den Hauptinhalt des Buches
von Boulger bildet. Der Mann, von dem wir jetzt zu erzählen haben, und
dessen Tod im Jahre 1877 alle Zeitungen meldeten, war aus demselben
Holze geschnitzt wie Dschengis-Chan und Timur. Im Dorfe Pischked, südlich
von der Stadt Taschkend, die damals noch zum Chanat Kokan gehörte, wurde
1820 Jakub Mehemed als der Sohn eines geringen Schreibers geboren.
Seine Familie stammte aus Karategin, von wo sie in Folge der özbegischen
Eroberung nach Kokan geflüchtet war. Gleich allen Männern iranischer Ab¬
kunft, die unter der özbegischen Herrschaft zumeist mit der Führung der Feder
betraut sind — denn zur Führung des Schwertes hält der turanische Oezbege
sich allein geschaffen ^ hat Jakub in seiner frühesten Jugend selbst als Schreiber
gedient. Aber „Fähigkeit bricht Felsen durch", sagt das orientalische Sprich¬
wort, und so kam es, daß er durch seine geistige Behendigkeit sich bald
bemerkbar machte. Erst zum Diwandschi, Zolleinnehmer, befördert, griff er
dann zum Schwerte, und im Jahre 1847 ernannte ihn Chudojar-Chan, der
damalige Beherrscher Kokan's, zum Pansad-Baschi, d. h. Offizier über fünf¬
hundert. Bald rückte er zum Kommandanten der Festung Ak Masdschid auf,


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[0454] „ErzPriester Johannes", der ihm die Tochter zum Weibe verweigert und dafür ans der Ebene von Tandue Leben und Land verlor. Als nach dem Tode Dschengis-Chan's sein ungeheures Reich unter seine vier Söhne Irgl, Tuti, Okkodai und Tschagatai getheilt wurde, fielen Kaschgar, die Dsungarei, Afghanistan und Chiwa an den letzteren. Es folgt nun ein Jahrhundert voll innerer Streitigkeiten und Kämpfe um den Thron. Kaidn, ein Urenkel Dschengis-Chan's, wurde der Nachfolger Tschagatai's auf dem Throne Kaschgar's. Nicht lange hatte er ihn inne, als er von Dapa Chan, einem Nachkommen Tschagatai's, verdrängt wurde. Ihm folgte 1310 sein Sohn Azmil Chodscha, dessen Söhne und Kindeskinder als Chodscha-Dynastie lange über Kaschgar regierten. Alle waren Buddhisten, aber Toghlue Timur, einer der letzten Nachkommen Dschengis-Chan's, trat zum Islam über, und ihm folgte der gesammte Adel. Das war zu der Zeit, als Tamerlan, eine neue Geißel, über Asien kam und überall hin Brand und Zerstörung trug. Kasch- garien speziell wurde in den Jahren 1389 und 1390 von ihm systematisch verwüstet, und nun begann eine neue Periode des Verfalls und der politischen Zerrissenheit im Lande, die wir hier mit ihren unablässigen Thronkämpfen nicht weiter verfolgen können. Das Maß der Zerrüttung war voll, als im Jahre 1720 die Chinesen das Land an sich rissen und da wieder auf dem Schau¬ platze erschienen, wo sie bereits ein Jahrtausend früher geherrscht. Wir gelangen nun zu dem interessantesten Kapitel der Geschichte Kasch- garien's, welches in unseren Tagen spielt und den Hauptinhalt des Buches von Boulger bildet. Der Mann, von dem wir jetzt zu erzählen haben, und dessen Tod im Jahre 1877 alle Zeitungen meldeten, war aus demselben Holze geschnitzt wie Dschengis-Chan und Timur. Im Dorfe Pischked, südlich von der Stadt Taschkend, die damals noch zum Chanat Kokan gehörte, wurde 1820 Jakub Mehemed als der Sohn eines geringen Schreibers geboren. Seine Familie stammte aus Karategin, von wo sie in Folge der özbegischen Eroberung nach Kokan geflüchtet war. Gleich allen Männern iranischer Ab¬ kunft, die unter der özbegischen Herrschaft zumeist mit der Führung der Feder betraut sind — denn zur Führung des Schwertes hält der turanische Oezbege sich allein geschaffen ^ hat Jakub in seiner frühesten Jugend selbst als Schreiber gedient. Aber „Fähigkeit bricht Felsen durch", sagt das orientalische Sprich¬ wort, und so kam es, daß er durch seine geistige Behendigkeit sich bald bemerkbar machte. Erst zum Diwandschi, Zolleinnehmer, befördert, griff er dann zum Schwerte, und im Jahre 1847 ernannte ihn Chudojar-Chan, der damalige Beherrscher Kokan's, zum Pansad-Baschi, d. h. Offizier über fünf¬ hundert. Bald rückte er zum Kommandanten der Festung Ak Masdschid auf,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/454>, abgerufen am 23.07.2024.