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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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vorhergehenden beiden Sonetten: "Die Liebende schreibt" und "Die Liebende
abermals". In den Cyclus Minna Herzlich passen diese beiden schlechterdings
nicht, dagegen gehören sie vollständig in die Stimmung der Bettina-Briefe.
Bettina hätte sich damit begnügen sollen, sie einfach an der rechten Stelle mit¬
zutheilen, ohne ein Wort hinzuzufügen. Aber sie fürchtete wohl, das sei nicht
deutlich genug, die Leser würden es nicht merken, daß ihr und uur ihr die
Entstehung derselben zu danken sei, und so griff sie auch hier zu dem plumpen
Mittel, die Sonette in besondere (abermals undatirte!) Briefe nachträglich zu
verwandeln. Ueber die übrigen soll hier keine Entscheidung gewagt sein. Auch
1, 4, 6 und 7 hat Bettina sich angemaßt; über die Entstehung von 4 hat sie
1849 eine kleine Erzählung veröffentlicht, die man bei Viehoff nachlesen kann,
und die Düntzer eine "gar zu albern erfundene Geschichte" nennt; die anderen
drei sind wieder mit Briefen in Zusammenhang gebracht, doch so, daß die
Fälschung nicht ganz so liquid ist, wie in den obigen Fällen.

Gestattet sich also das Resultat in der 'Sonettenfrage gerade für einige der
schönsten Sonette zu Bettina's Gunsten, so ist dies nun nicht minder mit den
Partieen der Fall, die Bettina dem Dichter für seine Abfassung von "Dichtung
und Wahrheit" zur Verfügung gestellt haben will. In dem von Loeper mitge¬
theilten ganz eigenhändigen Originalbriefe Goethe's an Bettina vom 25. Oktober
1810 heißt es gerade fo wie im "Briefwechsel": "Ich will dir bekennen daß
ich im Begriff bin meine Bekenntnisse zu.schreiben, daraus mag nun ein Roman
oder eine Geschichte werden, das läßt sich nicht voraussehn; aber in jedem
Fall bedarf ich deiner Beihülfe. Meine gute Mutter ist abgeschieden, und so
manche andre die mir das Vergangne wieder hervorrufen könnten, das ich
meistens vergessen habe. Nun hast du eine schone Zeit mit der theuern Mutter
gelebt, hast ihre Mährchen und Anekdoten wiederholt vernommen, und trägst und
hegst alles im frischen belebenden Gedächtniß. Setze dich also nur gleich hin
und schreibe nieder was sich auf mich und die Meinigen bezieht, und dn wirst
mich dadurch sehr erfreuen und verbinden." In dem letzten erhaltenen, ebenfalls
ganz eigenhändigen Briefe an Bettina vom 11. Januar 1811 aber bekennt sich der
Dichter zu dem Empfang und schreibt: "Ich danke dir zum schönsten für das
DvemAslwm, Mvkntutis, wovon du mir einige Pericopen gesendet hast. Fahre
fort von Zeit zu Zeit wie es dir der Geist eingiebt." Loeper hat schon vor
einigen Jahren bei Herausgabe und Erklärung von "Dichtung und Wahrheit"
die hier erwähnten "Pericopen" Bettina's, die sie im zweiten Bande des "Brief¬
wechsels" hat mit abdrucken lassen, auf's sorgfältigste geprüft und ist zu der
Ueberzeugung ihrer vollständigen Glaubwürdigkeit gelangt. Bettina hat nichts
erfunden, weder die Geschichten selbst, die sie aus Goethe's Kindheit und Jugend
mitgetheilt hat, noch die Angabe, daß Goethe sie um Material zu seiner Jugend-


vorhergehenden beiden Sonetten: „Die Liebende schreibt" und „Die Liebende
abermals". In den Cyclus Minna Herzlich passen diese beiden schlechterdings
nicht, dagegen gehören sie vollständig in die Stimmung der Bettina-Briefe.
Bettina hätte sich damit begnügen sollen, sie einfach an der rechten Stelle mit¬
zutheilen, ohne ein Wort hinzuzufügen. Aber sie fürchtete wohl, das sei nicht
deutlich genug, die Leser würden es nicht merken, daß ihr und uur ihr die
Entstehung derselben zu danken sei, und so griff sie auch hier zu dem plumpen
Mittel, die Sonette in besondere (abermals undatirte!) Briefe nachträglich zu
verwandeln. Ueber die übrigen soll hier keine Entscheidung gewagt sein. Auch
1, 4, 6 und 7 hat Bettina sich angemaßt; über die Entstehung von 4 hat sie
1849 eine kleine Erzählung veröffentlicht, die man bei Viehoff nachlesen kann,
und die Düntzer eine „gar zu albern erfundene Geschichte" nennt; die anderen
drei sind wieder mit Briefen in Zusammenhang gebracht, doch so, daß die
Fälschung nicht ganz so liquid ist, wie in den obigen Fällen.

Gestattet sich also das Resultat in der 'Sonettenfrage gerade für einige der
schönsten Sonette zu Bettina's Gunsten, so ist dies nun nicht minder mit den
Partieen der Fall, die Bettina dem Dichter für seine Abfassung von „Dichtung
und Wahrheit" zur Verfügung gestellt haben will. In dem von Loeper mitge¬
theilten ganz eigenhändigen Originalbriefe Goethe's an Bettina vom 25. Oktober
1810 heißt es gerade fo wie im „Briefwechsel": „Ich will dir bekennen daß
ich im Begriff bin meine Bekenntnisse zu.schreiben, daraus mag nun ein Roman
oder eine Geschichte werden, das läßt sich nicht voraussehn; aber in jedem
Fall bedarf ich deiner Beihülfe. Meine gute Mutter ist abgeschieden, und so
manche andre die mir das Vergangne wieder hervorrufen könnten, das ich
meistens vergessen habe. Nun hast du eine schone Zeit mit der theuern Mutter
gelebt, hast ihre Mährchen und Anekdoten wiederholt vernommen, und trägst und
hegst alles im frischen belebenden Gedächtniß. Setze dich also nur gleich hin
und schreibe nieder was sich auf mich und die Meinigen bezieht, und dn wirst
mich dadurch sehr erfreuen und verbinden." In dem letzten erhaltenen, ebenfalls
ganz eigenhändigen Briefe an Bettina vom 11. Januar 1811 aber bekennt sich der
Dichter zu dem Empfang und schreibt: „Ich danke dir zum schönsten für das
DvemAslwm, Mvkntutis, wovon du mir einige Pericopen gesendet hast. Fahre
fort von Zeit zu Zeit wie es dir der Geist eingiebt." Loeper hat schon vor
einigen Jahren bei Herausgabe und Erklärung von „Dichtung und Wahrheit"
die hier erwähnten „Pericopen" Bettina's, die sie im zweiten Bande des „Brief¬
wechsels" hat mit abdrucken lassen, auf's sorgfältigste geprüft und ist zu der
Ueberzeugung ihrer vollständigen Glaubwürdigkeit gelangt. Bettina hat nichts
erfunden, weder die Geschichten selbst, die sie aus Goethe's Kindheit und Jugend
mitgetheilt hat, noch die Angabe, daß Goethe sie um Material zu seiner Jugend-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/448>, abgerufen am 26.08.2024.