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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Von dem Briefe Bettina's hat Loeper beide Gestalten zum bequemen Ver¬
gleiche einander gegenüber drucken lassen, zu den Goethe-Briefen in Anmerkungen
genaue Nachweise über das Verhältniß der Originale zu den im "Briefwechsel"
erfolgten Abdrücken gegeben.

Aus der Loeper'schen Publikation ergibt sich nun mit unanfechtbarer Ge¬
wißheit, daß die thatsächliche Unterlage von Bettina's "Briefwechsel" eine viel um¬
fangreichere, sein literarischer Werth also viel größer ist, als man bisher anzu¬
nehmen gewagt hat. Soviel ist sicher: Bettina hat nur authentische Schriftstücke
veröffentlicht, freilich vielfach überarbeitet; direkt hinzuerfunden hat sie wenig.
Sie hat, echt frauenhaft, ihre Aufgabe nicht für eine philologische, sondern sür
eine aesthetische gehalten; ein Kunstwerk wollte sie herausgeben, keine Aktenstücke
zu Goethe's Leben. Und so glaubte sie sich berechtigt, durch Benutzung von anderen
gleichzeitigen Schriftstücken, Briefen wie Gedichten, und ihren eigenen lebendigen
Erinnerungen die charakteristischen Züge za-.Äerschärfen und dem Ton und Geist
der Briefe aus jenen anderen Quellen entsprechende Zusätze zu machen, ebenso
berechtigt auch, einzelnes Störende und Gleichgiltige zu beseitigen. Die Rein¬
heit der Komposition, die Nothwendigkeit, alles Licht auf die beiden xersonas
äramatis zu konzentriren, schienen ihr z. B. zu verlangen, daß weder ihres in die
Zeit des Briefwechsels fallenden Brautstandes mit Achin von Arnim, noch
Goethe's Ehe viel gedacht wurde. Fast überall, wo sie Arnim und Goethe's
Frau erwähnt fand, strich sie daher die Namen oder substituirte für Goethe's
Frau -- den Herzog von Weimar. Auch die örtlichen und zeitlichen Be¬
ziehungen hielt sie nur im Allgemeinen, nicht im Einzelnen aufrecht. Hätte sie
in dieser künstlerischen Umgestaltung Maß gehalten, so würde sie dadurch den
Eindruck der Echtheit vielleicht sogar erhöht haben. Aber ihre Eitelkeit verführte
sie, zu weit darin zu gehen, sie entstellte, vergröberte auch ein an sich richtiges
Motiv, und dies wurde für ihr Buch verhängnißvoll. Es handelt sich um die
Art, wie sie mit Goethe'scheu Gedichten umgesprungen ist. Der trügerische Kranz,
den sie hier aus natürlichen und künstlichen Blumen gewoben, muß von der
Kritik unbarmherzig zerpflückt werden, aber auch hier bleiben eine Anzahl natür¬
licher Blumen übrig, die ihr niemand wird entreißen können.

Erbarmungslos muß die Kritik zunächst diejenigen Lieder aus dem Brief¬
wechsel tilgen, die aus dem westöstlichen Divan stammen. Wir wissen jetzt aufs
bestimmteste, daß diese Gedichte erst in den Jahren 1814 und 1815 entstanden sind,
daß die schönsten derselben aus dem Buche "Suleika" -- und dahin gehört das
von Bettina eingewobene "Wie mit innigstem Behagen" -- dem Verkehre mit
Marianne Willemer ihre Entstehung verdanken, zum Theil Mariannens eigene
Gedichte sind. Die prosaischen Anklänge darauf sind also ohne allen Zweifel erst
nachträglich aus den Gedichten in die Briefe hineingetragen. Begreiflich ist es


Grenzboten I. 1879. 66

Von dem Briefe Bettina's hat Loeper beide Gestalten zum bequemen Ver¬
gleiche einander gegenüber drucken lassen, zu den Goethe-Briefen in Anmerkungen
genaue Nachweise über das Verhältniß der Originale zu den im „Briefwechsel"
erfolgten Abdrücken gegeben.

Aus der Loeper'schen Publikation ergibt sich nun mit unanfechtbarer Ge¬
wißheit, daß die thatsächliche Unterlage von Bettina's „Briefwechsel" eine viel um¬
fangreichere, sein literarischer Werth also viel größer ist, als man bisher anzu¬
nehmen gewagt hat. Soviel ist sicher: Bettina hat nur authentische Schriftstücke
veröffentlicht, freilich vielfach überarbeitet; direkt hinzuerfunden hat sie wenig.
Sie hat, echt frauenhaft, ihre Aufgabe nicht für eine philologische, sondern sür
eine aesthetische gehalten; ein Kunstwerk wollte sie herausgeben, keine Aktenstücke
zu Goethe's Leben. Und so glaubte sie sich berechtigt, durch Benutzung von anderen
gleichzeitigen Schriftstücken, Briefen wie Gedichten, und ihren eigenen lebendigen
Erinnerungen die charakteristischen Züge za-.Äerschärfen und dem Ton und Geist
der Briefe aus jenen anderen Quellen entsprechende Zusätze zu machen, ebenso
berechtigt auch, einzelnes Störende und Gleichgiltige zu beseitigen. Die Rein¬
heit der Komposition, die Nothwendigkeit, alles Licht auf die beiden xersonas
äramatis zu konzentriren, schienen ihr z. B. zu verlangen, daß weder ihres in die
Zeit des Briefwechsels fallenden Brautstandes mit Achin von Arnim, noch
Goethe's Ehe viel gedacht wurde. Fast überall, wo sie Arnim und Goethe's
Frau erwähnt fand, strich sie daher die Namen oder substituirte für Goethe's
Frau — den Herzog von Weimar. Auch die örtlichen und zeitlichen Be¬
ziehungen hielt sie nur im Allgemeinen, nicht im Einzelnen aufrecht. Hätte sie
in dieser künstlerischen Umgestaltung Maß gehalten, so würde sie dadurch den
Eindruck der Echtheit vielleicht sogar erhöht haben. Aber ihre Eitelkeit verführte
sie, zu weit darin zu gehen, sie entstellte, vergröberte auch ein an sich richtiges
Motiv, und dies wurde für ihr Buch verhängnißvoll. Es handelt sich um die
Art, wie sie mit Goethe'scheu Gedichten umgesprungen ist. Der trügerische Kranz,
den sie hier aus natürlichen und künstlichen Blumen gewoben, muß von der
Kritik unbarmherzig zerpflückt werden, aber auch hier bleiben eine Anzahl natür¬
licher Blumen übrig, die ihr niemand wird entreißen können.

Erbarmungslos muß die Kritik zunächst diejenigen Lieder aus dem Brief¬
wechsel tilgen, die aus dem westöstlichen Divan stammen. Wir wissen jetzt aufs
bestimmteste, daß diese Gedichte erst in den Jahren 1814 und 1815 entstanden sind,
daß die schönsten derselben aus dem Buche „Suleika" — und dahin gehört das
von Bettina eingewobene „Wie mit innigstem Behagen" — dem Verkehre mit
Marianne Willemer ihre Entstehung verdanken, zum Theil Mariannens eigene
Gedichte sind. Die prosaischen Anklänge darauf sind also ohne allen Zweifel erst
nachträglich aus den Gedichten in die Briefe hineingetragen. Begreiflich ist es


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[0445] Von dem Briefe Bettina's hat Loeper beide Gestalten zum bequemen Ver¬ gleiche einander gegenüber drucken lassen, zu den Goethe-Briefen in Anmerkungen genaue Nachweise über das Verhältniß der Originale zu den im „Briefwechsel" erfolgten Abdrücken gegeben. Aus der Loeper'schen Publikation ergibt sich nun mit unanfechtbarer Ge¬ wißheit, daß die thatsächliche Unterlage von Bettina's „Briefwechsel" eine viel um¬ fangreichere, sein literarischer Werth also viel größer ist, als man bisher anzu¬ nehmen gewagt hat. Soviel ist sicher: Bettina hat nur authentische Schriftstücke veröffentlicht, freilich vielfach überarbeitet; direkt hinzuerfunden hat sie wenig. Sie hat, echt frauenhaft, ihre Aufgabe nicht für eine philologische, sondern sür eine aesthetische gehalten; ein Kunstwerk wollte sie herausgeben, keine Aktenstücke zu Goethe's Leben. Und so glaubte sie sich berechtigt, durch Benutzung von anderen gleichzeitigen Schriftstücken, Briefen wie Gedichten, und ihren eigenen lebendigen Erinnerungen die charakteristischen Züge za-.Äerschärfen und dem Ton und Geist der Briefe aus jenen anderen Quellen entsprechende Zusätze zu machen, ebenso berechtigt auch, einzelnes Störende und Gleichgiltige zu beseitigen. Die Rein¬ heit der Komposition, die Nothwendigkeit, alles Licht auf die beiden xersonas äramatis zu konzentriren, schienen ihr z. B. zu verlangen, daß weder ihres in die Zeit des Briefwechsels fallenden Brautstandes mit Achin von Arnim, noch Goethe's Ehe viel gedacht wurde. Fast überall, wo sie Arnim und Goethe's Frau erwähnt fand, strich sie daher die Namen oder substituirte für Goethe's Frau — den Herzog von Weimar. Auch die örtlichen und zeitlichen Be¬ ziehungen hielt sie nur im Allgemeinen, nicht im Einzelnen aufrecht. Hätte sie in dieser künstlerischen Umgestaltung Maß gehalten, so würde sie dadurch den Eindruck der Echtheit vielleicht sogar erhöht haben. Aber ihre Eitelkeit verführte sie, zu weit darin zu gehen, sie entstellte, vergröberte auch ein an sich richtiges Motiv, und dies wurde für ihr Buch verhängnißvoll. Es handelt sich um die Art, wie sie mit Goethe'scheu Gedichten umgesprungen ist. Der trügerische Kranz, den sie hier aus natürlichen und künstlichen Blumen gewoben, muß von der Kritik unbarmherzig zerpflückt werden, aber auch hier bleiben eine Anzahl natür¬ licher Blumen übrig, die ihr niemand wird entreißen können. Erbarmungslos muß die Kritik zunächst diejenigen Lieder aus dem Brief¬ wechsel tilgen, die aus dem westöstlichen Divan stammen. Wir wissen jetzt aufs bestimmteste, daß diese Gedichte erst in den Jahren 1814 und 1815 entstanden sind, daß die schönsten derselben aus dem Buche „Suleika" — und dahin gehört das von Bettina eingewobene „Wie mit innigstem Behagen" — dem Verkehre mit Marianne Willemer ihre Entstehung verdanken, zum Theil Mariannens eigene Gedichte sind. Die prosaischen Anklänge darauf sind also ohne allen Zweifel erst nachträglich aus den Gedichten in die Briefe hineingetragen. Begreiflich ist es Grenzboten I. 1879. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/445>, abgerufen am 26.08.2024.