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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Nicht viel besser aber als ihrem angeblichen Antheile an den Goethischen
Sonetten ist es den Beiträgen ergangen, die sie 1810 zu Goethe's Jugendgeschichte
in "Dichtung und Wahrheit" nach Mittheilungen von Goethe's Mutter gespendet
zu haben behauptete, und die sie ebenfalls im zweiten Theile ihres "Briefwechsels"
hat mit abdrucken lassen. Goedeke sagt davon in "Goethe's Leben und Schriften",
daß Bettina "leichtsinnig Goethe's ,Dichtung und Wahrheit, für welche sie
Material geliefert haben will, als Magazin für ihren Roman ,Briefwechsel mit
einem Kinde^ benutzt" habe -- also genau dieselbe Verdrehung, wie in der
Sonettenfrage, genau derselbe Vorwurf der Täuschung.

Fassen wir alles zusammen, so liegt es auf der Hand, daß das allgemeine
Urtheil über Bettina's Verfahren kein günstiges sein kaun. Den ganzen "Brief¬
wechsel" für eine Fiktion zu halten, so weit ist allerdings wohl niemand
weiter gegangen, als Marggraff, der verstorbene Herausgeber der "Blätter für
literarische Unterhaltung"; dieser spricht geradezu von Goethe's "angeblich" an
das Kind gerichteten Briefen, die ihm "sehr wenig Goethe'sches" zu haben
schienen. Aber jeder mied die Korrespondenz als ein unentwirrbares Geflecht von
Echten und Altenstein, das man als Quelle für literargeschichtliche und bio¬
graphische Fragen nirgends mit Sicherheit benutzen könne, da auf sein Stil¬
gefühl in solchen Dingen sich zu verlassen natürlich eine heikle Sache ist.

In ein wesentlich günstigeres Stadium ist nun diese Bettina-Frage durch die
von Loeper herausgegebenen Goethe-Briefe gerückt worden. Etwas deutlicher
erkennbar und in etwas milderem Lichte war das Verfahren, welches Bettina
bei der Zusammenstellung ihres "Briefwechsels" eingehalten hat, schon in den
letzten Jahren durch mancherlei kritisches Material erschienen, welches die immer
erweiterte, Bettina noch ganz fehlende, Kenntniß der Entstehung der Goethischen
Gedichte, daneben namentlich die Briefe seiner Mutter an ihn und seine Frau aus
den Jahren 1807 und 1808 gewähren. Eine weitere wesentliche Vermehrung
dieses Materiales erhalten wir aber nun durch das vorliegende Buch. Dasselbe
enthält in seinem zweiten Theile die echten Originale von 15 Briefen aus
"Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde" und zwar von einem Briefe Bettina's
an Goethe -- es ist derjenige, der im "Briefwechsel" unter dem Datum "Kassel,
den 15. Mai 1807" die Korrespondenz eröffnet -- und von 14 Briefen Goethe's
an Bettina, welche die Zeit vom 24. Februar 1808 bis zum 11. Januar 1811
umspannen. Der letzte dieser 14 Briefe ist derselbe, den auch Bettina im "Brief¬
wechsel" als letzten Brief Goethe's an sie genau unter demselben Datum mit¬
getheilt hat. Drei von diesen 15 Briefen haben Loeper im Original vorgelegen,
der Abdruck der übrigen 12 ist nach Abschriften von den Originalen bewirkt,
welche Bettina bereits -- oder foll man sagen: endlich? -- 1853 hergegeben
hat, um die Angriffe auf die Glaubwürdigkeit ihrer Korrespondenz zurückzuweisen.


Nicht viel besser aber als ihrem angeblichen Antheile an den Goethischen
Sonetten ist es den Beiträgen ergangen, die sie 1810 zu Goethe's Jugendgeschichte
in „Dichtung und Wahrheit" nach Mittheilungen von Goethe's Mutter gespendet
zu haben behauptete, und die sie ebenfalls im zweiten Theile ihres „Briefwechsels"
hat mit abdrucken lassen. Goedeke sagt davon in „Goethe's Leben und Schriften",
daß Bettina „leichtsinnig Goethe's ,Dichtung und Wahrheit, für welche sie
Material geliefert haben will, als Magazin für ihren Roman ,Briefwechsel mit
einem Kinde^ benutzt" habe — also genau dieselbe Verdrehung, wie in der
Sonettenfrage, genau derselbe Vorwurf der Täuschung.

Fassen wir alles zusammen, so liegt es auf der Hand, daß das allgemeine
Urtheil über Bettina's Verfahren kein günstiges sein kaun. Den ganzen „Brief¬
wechsel" für eine Fiktion zu halten, so weit ist allerdings wohl niemand
weiter gegangen, als Marggraff, der verstorbene Herausgeber der „Blätter für
literarische Unterhaltung"; dieser spricht geradezu von Goethe's „angeblich" an
das Kind gerichteten Briefen, die ihm „sehr wenig Goethe'sches" zu haben
schienen. Aber jeder mied die Korrespondenz als ein unentwirrbares Geflecht von
Echten und Altenstein, das man als Quelle für literargeschichtliche und bio¬
graphische Fragen nirgends mit Sicherheit benutzen könne, da auf sein Stil¬
gefühl in solchen Dingen sich zu verlassen natürlich eine heikle Sache ist.

In ein wesentlich günstigeres Stadium ist nun diese Bettina-Frage durch die
von Loeper herausgegebenen Goethe-Briefe gerückt worden. Etwas deutlicher
erkennbar und in etwas milderem Lichte war das Verfahren, welches Bettina
bei der Zusammenstellung ihres „Briefwechsels" eingehalten hat, schon in den
letzten Jahren durch mancherlei kritisches Material erschienen, welches die immer
erweiterte, Bettina noch ganz fehlende, Kenntniß der Entstehung der Goethischen
Gedichte, daneben namentlich die Briefe seiner Mutter an ihn und seine Frau aus
den Jahren 1807 und 1808 gewähren. Eine weitere wesentliche Vermehrung
dieses Materiales erhalten wir aber nun durch das vorliegende Buch. Dasselbe
enthält in seinem zweiten Theile die echten Originale von 15 Briefen aus
„Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde" und zwar von einem Briefe Bettina's
an Goethe — es ist derjenige, der im „Briefwechsel" unter dem Datum „Kassel,
den 15. Mai 1807" die Korrespondenz eröffnet — und von 14 Briefen Goethe's
an Bettina, welche die Zeit vom 24. Februar 1808 bis zum 11. Januar 1811
umspannen. Der letzte dieser 14 Briefe ist derselbe, den auch Bettina im „Brief¬
wechsel" als letzten Brief Goethe's an sie genau unter demselben Datum mit¬
getheilt hat. Drei von diesen 15 Briefen haben Loeper im Original vorgelegen,
der Abdruck der übrigen 12 ist nach Abschriften von den Originalen bewirkt,
welche Bettina bereits — oder foll man sagen: endlich? — 1853 hergegeben
hat, um die Angriffe auf die Glaubwürdigkeit ihrer Korrespondenz zurückzuweisen.


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[0444] Nicht viel besser aber als ihrem angeblichen Antheile an den Goethischen Sonetten ist es den Beiträgen ergangen, die sie 1810 zu Goethe's Jugendgeschichte in „Dichtung und Wahrheit" nach Mittheilungen von Goethe's Mutter gespendet zu haben behauptete, und die sie ebenfalls im zweiten Theile ihres „Briefwechsels" hat mit abdrucken lassen. Goedeke sagt davon in „Goethe's Leben und Schriften", daß Bettina „leichtsinnig Goethe's ,Dichtung und Wahrheit, für welche sie Material geliefert haben will, als Magazin für ihren Roman ,Briefwechsel mit einem Kinde^ benutzt" habe — also genau dieselbe Verdrehung, wie in der Sonettenfrage, genau derselbe Vorwurf der Täuschung. Fassen wir alles zusammen, so liegt es auf der Hand, daß das allgemeine Urtheil über Bettina's Verfahren kein günstiges sein kaun. Den ganzen „Brief¬ wechsel" für eine Fiktion zu halten, so weit ist allerdings wohl niemand weiter gegangen, als Marggraff, der verstorbene Herausgeber der „Blätter für literarische Unterhaltung"; dieser spricht geradezu von Goethe's „angeblich" an das Kind gerichteten Briefen, die ihm „sehr wenig Goethe'sches" zu haben schienen. Aber jeder mied die Korrespondenz als ein unentwirrbares Geflecht von Echten und Altenstein, das man als Quelle für literargeschichtliche und bio¬ graphische Fragen nirgends mit Sicherheit benutzen könne, da auf sein Stil¬ gefühl in solchen Dingen sich zu verlassen natürlich eine heikle Sache ist. In ein wesentlich günstigeres Stadium ist nun diese Bettina-Frage durch die von Loeper herausgegebenen Goethe-Briefe gerückt worden. Etwas deutlicher erkennbar und in etwas milderem Lichte war das Verfahren, welches Bettina bei der Zusammenstellung ihres „Briefwechsels" eingehalten hat, schon in den letzten Jahren durch mancherlei kritisches Material erschienen, welches die immer erweiterte, Bettina noch ganz fehlende, Kenntniß der Entstehung der Goethischen Gedichte, daneben namentlich die Briefe seiner Mutter an ihn und seine Frau aus den Jahren 1807 und 1808 gewähren. Eine weitere wesentliche Vermehrung dieses Materiales erhalten wir aber nun durch das vorliegende Buch. Dasselbe enthält in seinem zweiten Theile die echten Originale von 15 Briefen aus „Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde" und zwar von einem Briefe Bettina's an Goethe — es ist derjenige, der im „Briefwechsel" unter dem Datum „Kassel, den 15. Mai 1807" die Korrespondenz eröffnet — und von 14 Briefen Goethe's an Bettina, welche die Zeit vom 24. Februar 1808 bis zum 11. Januar 1811 umspannen. Der letzte dieser 14 Briefe ist derselbe, den auch Bettina im „Brief¬ wechsel" als letzten Brief Goethe's an sie genau unter demselben Datum mit¬ getheilt hat. Drei von diesen 15 Briefen haben Loeper im Original vorgelegen, der Abdruck der übrigen 12 ist nach Abschriften von den Originalen bewirkt, welche Bettina bereits — oder foll man sagen: endlich? — 1853 hergegeben hat, um die Angriffe auf die Glaubwürdigkeit ihrer Korrespondenz zurückzuweisen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/444>, abgerufen am 26.08.2024.