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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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der Franzosenkaiser ihr die Theilung der Weltherrschaft vorschlug, Frieden auf
Kosten des verbündeten Preußen.

1813 hat Rußland bei der Befreiung Deutschland's vom französischen
Joche allerdings geholfen, aber der Gedanke, den Krieg nach Deutschland zu
spielen, kam nicht ohne Mühe zur Geltung und wurde, als man begriffen,
daß auch das Interesse Rußland's seine Verwirklichung verlangte, keineswegs
mit hinreichenden Streitkräften ausgeführt.

Auf dem Wiener Kongresse wollte Stein den allgemeinen Frieden, die Ruhe
des Welttheils' durch eine gesteigerte und festbegründete Kraft Deutschland's
gesichert wissen. Ein solcher Nachbar aber, der eines fremden Beschützers nicht
bedurft und Ifremde Einmischung nicht geduldet hätte, paßte nicht zu den
Weltordnungsplänen des Kaisers Alexander, und so erklärte er sich gegen die
beabsichtigte Schöpfung. Die Entschädigungsansprüche Preußen's wurden von
Rußland zwar anfangs unterstützt, als man aber Gewißheit erlangt hatte,
daß niemand mehr daran dachte, den russischen Absichten mit Polen Hinder¬
nisse in den Weg zu legen, daß die Anstrengungen Oesterreich's und der west¬
europäischen Mächte lediglich gegen Preußen gerichtet waren, und daß der
Friede erhalten werden könne, ohne daß Rußland weitere Opfer zu bringen
brauchte, wurde man lauer in seinem Eifer, und zuletzt forderte man Preußen
mittelbar auf, gewissen Ansprüchen zu entsagen, die ihm eine bessere Entschädi¬
gung verhießen als die, mit der es sich nunmehr begnügen mußte.

Anerkannt gute Dienste leistete Preußen der russischen Politik 1829 wäh¬
rend des Krieges mit der Türkei, namentlich durch die Sendung des General¬
lieutenants v. Müffling, die wesentlich zur Vermittelung eines Friedens bei¬
trug, welcher Rußland aus großer Verlegenheit heraushalf. 1830 schloß
Rußland mit Frankreich ein Bündniß zur Bekriegung Deutschland's ab, welches
den Franzosen das linke Rheinufer einbringen sollte, und nur der Ausbruch
der Julirevolution vereitelte den Plan. Das linke Rheinufer in französischem
Besitze hätte die deutschen Mächte unselbständig, also zu Rußland's Verfügung
erhalten und bewirkt, daß auch Frankreich an letzteres gefesselt geblieben wäre,
da anzunehmen war, daß England den Franzosen jene Erwerbung, welche
den Besitz Belgien's vorbereitet hätte, gutwillig nicht zugestehen würde.

Die bekannte Julideklaration von 1848 zählte zwar unter Rußland's
Freundschaftsbezeigungen für Deutschland auch die Bereitschaft zum Beistande
gegen die im Jahre 1840 hervorgetretenen Gelüste unserer westlichen Nachbarn
nach dem Rheine auf; allein in Petersburg dachte man damals nicht an
Rüstung, sondern begegnete den Thiers'schen Demonstrationen nur darum mit
einigen Noten, weil eine deutsche Nationalerhebung drohte, die eine Stär¬
kung der Kraft Deutschland's zur Folge haben konnte. Dagegen hatte eine


der Franzosenkaiser ihr die Theilung der Weltherrschaft vorschlug, Frieden auf
Kosten des verbündeten Preußen.

1813 hat Rußland bei der Befreiung Deutschland's vom französischen
Joche allerdings geholfen, aber der Gedanke, den Krieg nach Deutschland zu
spielen, kam nicht ohne Mühe zur Geltung und wurde, als man begriffen,
daß auch das Interesse Rußland's seine Verwirklichung verlangte, keineswegs
mit hinreichenden Streitkräften ausgeführt.

Auf dem Wiener Kongresse wollte Stein den allgemeinen Frieden, die Ruhe
des Welttheils' durch eine gesteigerte und festbegründete Kraft Deutschland's
gesichert wissen. Ein solcher Nachbar aber, der eines fremden Beschützers nicht
bedurft und Ifremde Einmischung nicht geduldet hätte, paßte nicht zu den
Weltordnungsplänen des Kaisers Alexander, und so erklärte er sich gegen die
beabsichtigte Schöpfung. Die Entschädigungsansprüche Preußen's wurden von
Rußland zwar anfangs unterstützt, als man aber Gewißheit erlangt hatte,
daß niemand mehr daran dachte, den russischen Absichten mit Polen Hinder¬
nisse in den Weg zu legen, daß die Anstrengungen Oesterreich's und der west¬
europäischen Mächte lediglich gegen Preußen gerichtet waren, und daß der
Friede erhalten werden könne, ohne daß Rußland weitere Opfer zu bringen
brauchte, wurde man lauer in seinem Eifer, und zuletzt forderte man Preußen
mittelbar auf, gewissen Ansprüchen zu entsagen, die ihm eine bessere Entschädi¬
gung verhießen als die, mit der es sich nunmehr begnügen mußte.

Anerkannt gute Dienste leistete Preußen der russischen Politik 1829 wäh¬
rend des Krieges mit der Türkei, namentlich durch die Sendung des General¬
lieutenants v. Müffling, die wesentlich zur Vermittelung eines Friedens bei¬
trug, welcher Rußland aus großer Verlegenheit heraushalf. 1830 schloß
Rußland mit Frankreich ein Bündniß zur Bekriegung Deutschland's ab, welches
den Franzosen das linke Rheinufer einbringen sollte, und nur der Ausbruch
der Julirevolution vereitelte den Plan. Das linke Rheinufer in französischem
Besitze hätte die deutschen Mächte unselbständig, also zu Rußland's Verfügung
erhalten und bewirkt, daß auch Frankreich an letzteres gefesselt geblieben wäre,
da anzunehmen war, daß England den Franzosen jene Erwerbung, welche
den Besitz Belgien's vorbereitet hätte, gutwillig nicht zugestehen würde.

Die bekannte Julideklaration von 1848 zählte zwar unter Rußland's
Freundschaftsbezeigungen für Deutschland auch die Bereitschaft zum Beistande
gegen die im Jahre 1840 hervorgetretenen Gelüste unserer westlichen Nachbarn
nach dem Rheine auf; allein in Petersburg dachte man damals nicht an
Rüstung, sondern begegnete den Thiers'schen Demonstrationen nur darum mit
einigen Noten, weil eine deutsche Nationalerhebung drohte, die eine Stär¬
kung der Kraft Deutschland's zur Folge haben konnte. Dagegen hatte eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/428>, abgerufen am 03.07.2024.