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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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sehr bald verbinden und dann Tarife aufstellen würden, die einzig und allein
den Gewinn der Gesellschaften, aber wohl niemals den Vortheil des gesammten
Landes im Auge haben würden; schwerlich würden dann diejenigen Landestheile,
welche eine dünne Bevölkerung und wenig Industrie besitzen, jemals genügende
Bahnen erhalten. Denn darin steckt ein anderer gewaltiger Vortheil, den das
Staatsbahnsystem namentlich für Deutschland hat: der Staat, im Besitz des.
größten Theiles aller Bahnen, ist im Stande, auch dort Linien zu bauen, wo
sie naturgemäß lange Zeit nicht rentiren werden; die guten Linien werden den
Ausfall der schlechten decken. Der Osten Preußen's würde noch heute dies
Verkehrsmittel entbehren, wenn der Staat die unergiebigen Bahnen nicht ge¬
baut hätte.

Alle diese Gründe liegen, wie gesagt, gleichsam auf der Hand. Weit ge¬
wichtigere aber ergeben sich, wenn man fragt, zu welchem Zwecke denn eigentlich
die Eisenbahnen vorhanden sind. Sollen sie blos an den Kosten des Trans¬
portes ersparen und die Personenbeförderung beschleunigen? Gewiß nicht!
Schon der Begründer des deutschen Eisenbahnsystems, Friedrich List, stellte
ihnen eine viel bedeutendere Aufgabe: sie sollen die Produktionskraft der Nation
wecken und heben. Auch bei den Regierungen, die doch die Eisenbahnen lange
Zeit mit höchst mißtrauischen Augen ansahen, ist diese Anschauung allmählich
die herrschende geworden. "Haben wir denn," rief der Minister der Budget¬
kommisston zu, "eine Staatsbahn in Angriff genommen, um damit ein Geschäft
oder eine Spekulation zu machen? Mit Nichten! Der Zweck ist der, das Land
zu melioriren, die Steuerkraft zu heben, und wenn man rechnet, was der Staat
an Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer mehr bekommt dadurch, daß wir
Staatsbahnen erhalten haben, dann wird sich leicht das kompensiren lassen,
was Man als angeblichen Zuschuß der Steuerzahler herausrechnet. Fragt man
denn bei den Häfen, Strömen, Chausseen, bei der Post nach einer Rentabilität?
Wenn man das thun will, dann sind wir längst theoretisch bankerott." Der¬
artige Ideen müssen allerdings auf die Budgetkommission und überhaupt auf
Volkswirthe nach englischem Muster, wie sie heute Kurs haben, tragikomisch
gewirkt haben- Sind sie doch gewohnt, den Staat und die Kommune als eine
große Aktiengesellschaft anzusehen und mit dem Horizont eines Aktionärs zu beur¬
theilen. Wir im Gegentheil hoffen, daß der Minister noch einen Schritt weiter
thun und jede Rentabilitätsrechnung grundsätzlich verwerfen wird. Die Bahnen
sind Werkzeuge der Produktion, und als solche sollen sie den Verkehr so billig
gestalten, daß nichts als die Betriebskosten gedeckt werden, kein Ueber¬
schuß in die Staatskasse fließt. Deutschland's Bodenschätze sind höchst un¬
gleich vertheilt, die Industrie ist in Folge dessen auf einzelne Striche beschränkt,
die Landwirthschaft zu sehr von ihr getrennt. Die eine breitet sich aber weiter


sehr bald verbinden und dann Tarife aufstellen würden, die einzig und allein
den Gewinn der Gesellschaften, aber wohl niemals den Vortheil des gesammten
Landes im Auge haben würden; schwerlich würden dann diejenigen Landestheile,
welche eine dünne Bevölkerung und wenig Industrie besitzen, jemals genügende
Bahnen erhalten. Denn darin steckt ein anderer gewaltiger Vortheil, den das
Staatsbahnsystem namentlich für Deutschland hat: der Staat, im Besitz des.
größten Theiles aller Bahnen, ist im Stande, auch dort Linien zu bauen, wo
sie naturgemäß lange Zeit nicht rentiren werden; die guten Linien werden den
Ausfall der schlechten decken. Der Osten Preußen's würde noch heute dies
Verkehrsmittel entbehren, wenn der Staat die unergiebigen Bahnen nicht ge¬
baut hätte.

Alle diese Gründe liegen, wie gesagt, gleichsam auf der Hand. Weit ge¬
wichtigere aber ergeben sich, wenn man fragt, zu welchem Zwecke denn eigentlich
die Eisenbahnen vorhanden sind. Sollen sie blos an den Kosten des Trans¬
portes ersparen und die Personenbeförderung beschleunigen? Gewiß nicht!
Schon der Begründer des deutschen Eisenbahnsystems, Friedrich List, stellte
ihnen eine viel bedeutendere Aufgabe: sie sollen die Produktionskraft der Nation
wecken und heben. Auch bei den Regierungen, die doch die Eisenbahnen lange
Zeit mit höchst mißtrauischen Augen ansahen, ist diese Anschauung allmählich
die herrschende geworden. „Haben wir denn," rief der Minister der Budget¬
kommisston zu, „eine Staatsbahn in Angriff genommen, um damit ein Geschäft
oder eine Spekulation zu machen? Mit Nichten! Der Zweck ist der, das Land
zu melioriren, die Steuerkraft zu heben, und wenn man rechnet, was der Staat
an Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer mehr bekommt dadurch, daß wir
Staatsbahnen erhalten haben, dann wird sich leicht das kompensiren lassen,
was Man als angeblichen Zuschuß der Steuerzahler herausrechnet. Fragt man
denn bei den Häfen, Strömen, Chausseen, bei der Post nach einer Rentabilität?
Wenn man das thun will, dann sind wir längst theoretisch bankerott." Der¬
artige Ideen müssen allerdings auf die Budgetkommission und überhaupt auf
Volkswirthe nach englischem Muster, wie sie heute Kurs haben, tragikomisch
gewirkt haben- Sind sie doch gewohnt, den Staat und die Kommune als eine
große Aktiengesellschaft anzusehen und mit dem Horizont eines Aktionärs zu beur¬
theilen. Wir im Gegentheil hoffen, daß der Minister noch einen Schritt weiter
thun und jede Rentabilitätsrechnung grundsätzlich verwerfen wird. Die Bahnen
sind Werkzeuge der Produktion, und als solche sollen sie den Verkehr so billig
gestalten, daß nichts als die Betriebskosten gedeckt werden, kein Ueber¬
schuß in die Staatskasse fließt. Deutschland's Bodenschätze sind höchst un¬
gleich vertheilt, die Industrie ist in Folge dessen auf einzelne Striche beschränkt,
die Landwirthschaft zu sehr von ihr getrennt. Die eine breitet sich aber weiter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/410>, abgerufen am 27.08.2024.