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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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fahrungen in diesem Fache besitzt, in's Amt trat, durfte man erwarten, daß
nunmehr der Staat Linien der ebenbezeichneten Art erwerben und dann, da sich
das Mischsystem als unhaltbar erweisen würde, in seiner Eiseubcchnpolitik auf
das entschiedenste dem Staatsbahnsystem zusteuern werde. Zu letzterer Ansicht war
man um so mehr berechtigt, als man wußte, daß das Reichseisenbahn-Projekt
von Herrn Maybach entworfen war, und doch die Annahme nahe lag, daß er
nach dem Scheitern desselben im eignen Hause seine Pläne vorläufig zur Aus¬
führung bringen werde. Auch hatte die Thronrede bei der Eröffnung des
Landtags dahingehende Andeutungen gemacht. Die Presse forderte denn auch
den Handelsminister wiederholt auf, mit einem Programm oder einer Denk¬
schrift an die Oeffentlichkeit zu treten und seinen Plan zu entwickeln. Er kam
aber dieser Aufforderung nicht nach, weil es -- wie er in seiner bedeutungs¬
vollen Rede vom 14. Februar äußerte -- darauf ankomme, zu handeln, nicht
zu reden, und weil ihm andererseits der Umstand, daß die Unterhandlungen mit
mehreren Eisenbahngesellschaften noch schwebten, einige Zurückhaltung auferlege.
Endlich jedoch, als Gefahr drohte, daß das Abgeordnetenhaus ihm durch eine
Resolution, welche die Regierung aufforderte, unter den gegenwärtigen finanziellen
und wirthschaftlichen Verhältnissen vom Ankauf von Vollbahnen Abstand zu
nehmen, die Hände binden würde, und als während der Debatte direkte An¬
fragen an ihn gerichtet wurden, war es unmöglich, länger über die Grundsätze
und Ziele der Regierung in der Eisenbahnpolitik Zweifel bestehen zu lassen.
"Wollen Sie mit meinem Namen ein Programm verbinden, so kann das aller¬
dings insofern geschehen, als ich niemals den Gedanken verleugnet habe, daß
dasjenige, was man unter der Bezeichnung ,Staatsbahnen^ versteht, für
einen Staat wie Preußen das Beste ist" -- fo etwa sprach der Handelsminister
im Eingange seiner Rede vom 14. Februar, und diese Worte im Verein mit der
Versicherung, daß das Tempo und der Umfang der Maßregeln, die zur Durch¬
führung dieses Planes zu ergreifen sein würden, nach Zeit und Umständen ver¬
schieden sein müßten und in erster Linie von der Finanzlage des Landes ab¬
hängen würden, bildeten dasjenige, was zu erfahren das Land das nächste und
größte Interesse hatte. 2000 Kilometer etwa sollen jetzt sofort erworben werden.
Ein Drittel davon ist bereits zwar nicht der Form, aber der Sache nach Staats¬
bahn. Es sind dies 600 Kilometer der Berlin-Stettiner Bahn, für welche die
Zinsen des Anlagekapitals durch den Staat gedeckt werden müssen. Die übrigen
zwei Drittel werden offenbar Strecken sein, welche das Ost- und Westbahnnetz
in Verbindung bringen. Der Minister hat begreiflicherweise die Strecken nicht
genannt, aber die Vermuthungen, welche in den Zeitungen darüber aufgestellt
sind, dürften ungefähr das Richtige treffen. Für dasjenige Publikum, das
nicht ein direktes und persönliches Interesse daran hat, ist dies übrigens eine


fahrungen in diesem Fache besitzt, in's Amt trat, durfte man erwarten, daß
nunmehr der Staat Linien der ebenbezeichneten Art erwerben und dann, da sich
das Mischsystem als unhaltbar erweisen würde, in seiner Eiseubcchnpolitik auf
das entschiedenste dem Staatsbahnsystem zusteuern werde. Zu letzterer Ansicht war
man um so mehr berechtigt, als man wußte, daß das Reichseisenbahn-Projekt
von Herrn Maybach entworfen war, und doch die Annahme nahe lag, daß er
nach dem Scheitern desselben im eignen Hause seine Pläne vorläufig zur Aus¬
führung bringen werde. Auch hatte die Thronrede bei der Eröffnung des
Landtags dahingehende Andeutungen gemacht. Die Presse forderte denn auch
den Handelsminister wiederholt auf, mit einem Programm oder einer Denk¬
schrift an die Oeffentlichkeit zu treten und seinen Plan zu entwickeln. Er kam
aber dieser Aufforderung nicht nach, weil es — wie er in seiner bedeutungs¬
vollen Rede vom 14. Februar äußerte — darauf ankomme, zu handeln, nicht
zu reden, und weil ihm andererseits der Umstand, daß die Unterhandlungen mit
mehreren Eisenbahngesellschaften noch schwebten, einige Zurückhaltung auferlege.
Endlich jedoch, als Gefahr drohte, daß das Abgeordnetenhaus ihm durch eine
Resolution, welche die Regierung aufforderte, unter den gegenwärtigen finanziellen
und wirthschaftlichen Verhältnissen vom Ankauf von Vollbahnen Abstand zu
nehmen, die Hände binden würde, und als während der Debatte direkte An¬
fragen an ihn gerichtet wurden, war es unmöglich, länger über die Grundsätze
und Ziele der Regierung in der Eisenbahnpolitik Zweifel bestehen zu lassen.
„Wollen Sie mit meinem Namen ein Programm verbinden, so kann das aller¬
dings insofern geschehen, als ich niemals den Gedanken verleugnet habe, daß
dasjenige, was man unter der Bezeichnung ,Staatsbahnen^ versteht, für
einen Staat wie Preußen das Beste ist" — fo etwa sprach der Handelsminister
im Eingange seiner Rede vom 14. Februar, und diese Worte im Verein mit der
Versicherung, daß das Tempo und der Umfang der Maßregeln, die zur Durch¬
führung dieses Planes zu ergreifen sein würden, nach Zeit und Umständen ver¬
schieden sein müßten und in erster Linie von der Finanzlage des Landes ab¬
hängen würden, bildeten dasjenige, was zu erfahren das Land das nächste und
größte Interesse hatte. 2000 Kilometer etwa sollen jetzt sofort erworben werden.
Ein Drittel davon ist bereits zwar nicht der Form, aber der Sache nach Staats¬
bahn. Es sind dies 600 Kilometer der Berlin-Stettiner Bahn, für welche die
Zinsen des Anlagekapitals durch den Staat gedeckt werden müssen. Die übrigen
zwei Drittel werden offenbar Strecken sein, welche das Ost- und Westbahnnetz
in Verbindung bringen. Der Minister hat begreiflicherweise die Strecken nicht
genannt, aber die Vermuthungen, welche in den Zeitungen darüber aufgestellt
sind, dürften ungefähr das Richtige treffen. Für dasjenige Publikum, das
nicht ein direktes und persönliches Interesse daran hat, ist dies übrigens eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/408>, abgerufen am 27.08.2024.