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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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höchster finanzieller Noth befanden und ohne Hilfe des Staates weder leben
noch sterben konnten.

Preußen, der einzige Staat, der sich bereit erklärt hatte, feine Staatsbcchnen
dem Reiche zu übertragen, hat während dieser Zeit keinen erheblichen Schritt
weiter zum Staatsbahnsystem gethan. Es war dies auch nicht möglich bei der
Abneigung, welche das Abgeordnetenhaus dagegen' hegte, und bei der unent¬
schiedenen Stellung, die der Minister Ueberhand zu dieser Frage einnahm.
Zwar hat man einige Privatbahnen erworben oder vielmehr übernehmen müssen,
in einigen Fällen, weil der Staat Zinsgarantie geleistet hatte und wegen der
Unergiebigkeit der Bahnen billiger wegkam, wenn er sie selbst übernahm, in
andern Fällen, weil die Gesellschaften nicht hinreichende Mttel auftreiben
konnten, um den angefangenen Bau zu vollenden, und nun Trümmer und
Ruinen entstanden wären, wenn sich der Staat nicht ihrer angenommen hätte.
Auch beschloß man den Bau der Bahn Berlin-Wetzlar, die wegen ihrer fast
ausschließlich militärischen Bedeutung nur vom Staate gebaut werden konnte.
Aber alles dies geschah ohne die Absicht, zum reinen Staatsbahnsystem über¬
zugehen. Trotzdem hätte Preußen mehr Ursache dazu gehabt, als irgend ein
anderer Staat in Deutschland. Preußen besitzt einen Komplex von Staatsbahnen
im Osten und seit 1366 durch die Annexion einen andern in der Mitte des
Landes. Beide sind unverbunden, da der frühere Handelsminister Jtzenplitz
es versäumte, eine Bahn von Berlin nach Hannover (die Berlin-Lehrter Bahn)
auf Staatsrechnung zu bauen. Die Berlin - Wetzlarer Bahn sollte nun die
nothwendige Verbindung bilden; aber sie genügt dazu nicht. Sie ist, wie es
treffend im Abgeordnetenhause bezeichnet wurde, das Rückgrat der preußischen
Staatsbahnen, nur fehlen ihr die Rippen und vielleicht auch etwas Fleisch.
Es liegt daher die Nothwendigkeit vor, die Berlin-Lehrter Bahn zu erwerben
und so die Lücke zwischen dem östlichen und westlichen Staatsbahnnetze auszu¬
füllen. Die technischen und wirthschaftlichen Gründe dafür find fo zwingender
Natur, daß keine Privatgesellschaft, welche sich im Besitze zweier getrennter Netze
befände, einen Augenblick anstehen würde, auch die Zwischenglieder in ihre
Hände zu bekommen. Sie würde dadurch die Verwaltung vereinfachen, die
Betriebskosten vermindern und das Material besser ausnutzen, somit ihren
Finanzen sowohl wie dem Verkehr Nutzen bringen. Der Staat ist aber ganz
in derselben Lage. Die Erwerbung einiger als Verbindungsglieder des Ostens
und Westens sich eignende Privatbahnen drängt sich selbst dem als Nothwendig¬
keit auf, der sich auf rein geschäftlichen Standpunkt stellt und die Wirthschafts¬
politik dabei ganz außer Acht läßt.

Als der jetzige Handelsminister Maybach, der seine Beamtenlaufbahn im
Dienste der Eisenbahnverwaltung gemacht hat und somit eigene praktische Er-


höchster finanzieller Noth befanden und ohne Hilfe des Staates weder leben
noch sterben konnten.

Preußen, der einzige Staat, der sich bereit erklärt hatte, feine Staatsbcchnen
dem Reiche zu übertragen, hat während dieser Zeit keinen erheblichen Schritt
weiter zum Staatsbahnsystem gethan. Es war dies auch nicht möglich bei der
Abneigung, welche das Abgeordnetenhaus dagegen' hegte, und bei der unent¬
schiedenen Stellung, die der Minister Ueberhand zu dieser Frage einnahm.
Zwar hat man einige Privatbahnen erworben oder vielmehr übernehmen müssen,
in einigen Fällen, weil der Staat Zinsgarantie geleistet hatte und wegen der
Unergiebigkeit der Bahnen billiger wegkam, wenn er sie selbst übernahm, in
andern Fällen, weil die Gesellschaften nicht hinreichende Mttel auftreiben
konnten, um den angefangenen Bau zu vollenden, und nun Trümmer und
Ruinen entstanden wären, wenn sich der Staat nicht ihrer angenommen hätte.
Auch beschloß man den Bau der Bahn Berlin-Wetzlar, die wegen ihrer fast
ausschließlich militärischen Bedeutung nur vom Staate gebaut werden konnte.
Aber alles dies geschah ohne die Absicht, zum reinen Staatsbahnsystem über¬
zugehen. Trotzdem hätte Preußen mehr Ursache dazu gehabt, als irgend ein
anderer Staat in Deutschland. Preußen besitzt einen Komplex von Staatsbahnen
im Osten und seit 1366 durch die Annexion einen andern in der Mitte des
Landes. Beide sind unverbunden, da der frühere Handelsminister Jtzenplitz
es versäumte, eine Bahn von Berlin nach Hannover (die Berlin-Lehrter Bahn)
auf Staatsrechnung zu bauen. Die Berlin - Wetzlarer Bahn sollte nun die
nothwendige Verbindung bilden; aber sie genügt dazu nicht. Sie ist, wie es
treffend im Abgeordnetenhause bezeichnet wurde, das Rückgrat der preußischen
Staatsbahnen, nur fehlen ihr die Rippen und vielleicht auch etwas Fleisch.
Es liegt daher die Nothwendigkeit vor, die Berlin-Lehrter Bahn zu erwerben
und so die Lücke zwischen dem östlichen und westlichen Staatsbahnnetze auszu¬
füllen. Die technischen und wirthschaftlichen Gründe dafür find fo zwingender
Natur, daß keine Privatgesellschaft, welche sich im Besitze zweier getrennter Netze
befände, einen Augenblick anstehen würde, auch die Zwischenglieder in ihre
Hände zu bekommen. Sie würde dadurch die Verwaltung vereinfachen, die
Betriebskosten vermindern und das Material besser ausnutzen, somit ihren
Finanzen sowohl wie dem Verkehr Nutzen bringen. Der Staat ist aber ganz
in derselben Lage. Die Erwerbung einiger als Verbindungsglieder des Ostens
und Westens sich eignende Privatbahnen drängt sich selbst dem als Nothwendig¬
keit auf, der sich auf rein geschäftlichen Standpunkt stellt und die Wirthschafts¬
politik dabei ganz außer Acht läßt.

Als der jetzige Handelsminister Maybach, der seine Beamtenlaufbahn im
Dienste der Eisenbahnverwaltung gemacht hat und somit eigene praktische Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/407>, abgerufen am 27.08.2024.