Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

welches der Maler^selbst als "Meeresidylle" bezeichnet. Er erinnert sich dabei
der Fresken im Baseler Museum: er findet sie "schwerverdaulich" und gewalt¬
sam, gibt aber zu, daß sich Böcklin seitdem etwas "beruhigt" hat.

Doch war diese Beruhigung nur eine scheinbare. Die Nationalgalerie in
Berlin, deren Leitung sich in rühmlicher Objektivität befleißigt, Proben der her¬
vorragendsten Vertreter aller Zweige der dermaligen Malerei in Deutschland zu
sammeln, ist im vorigen Jahre in den Besitz eines aus Bestellung gearbeiteten
Bildes gelangt, welches der Maler "Die Insel der Seeligen" getauft hat. Es
ist nicht leicht, den Sprüngen der Böcklin'schen Phantasie zu folgen, und nur
selten gelingt es einem aufmerksamen Forscher, den Gedankengang des Malers
ganz zu ergründen. Den Vordergrund der Landschaft mit heroisch-mythologi¬
scher Staffage nimmt ein tiefblaues Gewässer ein, welches als mächtiger Akkord
den Grundton für die ganze Komposition abgibt. Ein alter Kentaur führt
eine blonde, nackte, unglaublich schlecht gezeichnete Frau durch den Fluß, auf
dem einige Schwäne ziemlich abgezirkelte Kreise ziehen. Die Thiere sind so
schauderhaft hölzern, daß man nur eine halbe Freude an dem prachtvoll ge¬
malten Felsen empfindet, gegen welchen sich der Fluß nach rechts hin verliert.
In einem Haine am jenseitigen User ruht ein kosendes Liebespaar, und im
Hintergrunde sieht man auf blumiger, mit lüderlich hingeklecksten Pinien be¬
setzter Wiese eine^ muntere Gesellschaft von Mädchen und Jünglingen um
den "Altar der Liebe" tanzen. Diese neue Erwerbung hat der Abgeordnete
Götting unzweifelhaft im Auge gehabt, als er in der Sitzung des preußischen
Abgeordnetenhauses vom 18. Januar 1879 von Bildern sprach, bei denen man
"Fehler und Geschmacklosigkeiten entdeckt, die so greller Natur sind, daß jeder
Eintretende zunächst vor solchen Bildern stehen bleibt, ... um seiner Verwun¬
derung Ausdruck zu geben, und sich dann mit Unwillen abwendet." Es war
keine geschickte Parirung dieses Angriffs von Seiten des Regierungskommissars,
wenn er daraus erwiederte, "daß recht ernste und einsichtige Kunstfreunde mit
ebensoviel lebhafter Anerkennung von diesen Bildern geurtheilt haben, wie er
(Götting) lebhaft sie zu mißbilligen scheine."

Eine fo rücksichtslose Verachtung der Form, wie sie sich auf diesem
neuesten Bilde Böcklin's geradezu kokettirend breit macht, findet nur noch bei
diesem selben Böcklin ihres Gleichen. Kaum ein zweites Bild dieses Mei¬
sters hat eine so lebhafte Entrüstung hervorgerufen, wie eine "Kreuzabnahme
auf Golgatha", die er im Jahre 1876 in Florenz, zum Theil unter der Ein¬
wirkung der Quattrocentisten, gemalt hat. Sehen wir uns dieses Bild zum
Schlüsse dieser Charakteristik noch etwas näher an.

Der Abend hat sich auf den Kreuzeshügel herabgesenkt. Im Hintergrunde
blinken weiße Mauern aus dem Halbdunkel, tief unten liegt die Stadt, und


welches der Maler^selbst als „Meeresidylle" bezeichnet. Er erinnert sich dabei
der Fresken im Baseler Museum: er findet sie „schwerverdaulich" und gewalt¬
sam, gibt aber zu, daß sich Böcklin seitdem etwas „beruhigt" hat.

Doch war diese Beruhigung nur eine scheinbare. Die Nationalgalerie in
Berlin, deren Leitung sich in rühmlicher Objektivität befleißigt, Proben der her¬
vorragendsten Vertreter aller Zweige der dermaligen Malerei in Deutschland zu
sammeln, ist im vorigen Jahre in den Besitz eines aus Bestellung gearbeiteten
Bildes gelangt, welches der Maler „Die Insel der Seeligen" getauft hat. Es
ist nicht leicht, den Sprüngen der Böcklin'schen Phantasie zu folgen, und nur
selten gelingt es einem aufmerksamen Forscher, den Gedankengang des Malers
ganz zu ergründen. Den Vordergrund der Landschaft mit heroisch-mythologi¬
scher Staffage nimmt ein tiefblaues Gewässer ein, welches als mächtiger Akkord
den Grundton für die ganze Komposition abgibt. Ein alter Kentaur führt
eine blonde, nackte, unglaublich schlecht gezeichnete Frau durch den Fluß, auf
dem einige Schwäne ziemlich abgezirkelte Kreise ziehen. Die Thiere sind so
schauderhaft hölzern, daß man nur eine halbe Freude an dem prachtvoll ge¬
malten Felsen empfindet, gegen welchen sich der Fluß nach rechts hin verliert.
In einem Haine am jenseitigen User ruht ein kosendes Liebespaar, und im
Hintergrunde sieht man auf blumiger, mit lüderlich hingeklecksten Pinien be¬
setzter Wiese eine^ muntere Gesellschaft von Mädchen und Jünglingen um
den „Altar der Liebe" tanzen. Diese neue Erwerbung hat der Abgeordnete
Götting unzweifelhaft im Auge gehabt, als er in der Sitzung des preußischen
Abgeordnetenhauses vom 18. Januar 1879 von Bildern sprach, bei denen man
„Fehler und Geschmacklosigkeiten entdeckt, die so greller Natur sind, daß jeder
Eintretende zunächst vor solchen Bildern stehen bleibt, ... um seiner Verwun¬
derung Ausdruck zu geben, und sich dann mit Unwillen abwendet." Es war
keine geschickte Parirung dieses Angriffs von Seiten des Regierungskommissars,
wenn er daraus erwiederte, „daß recht ernste und einsichtige Kunstfreunde mit
ebensoviel lebhafter Anerkennung von diesen Bildern geurtheilt haben, wie er
(Götting) lebhaft sie zu mißbilligen scheine."

Eine fo rücksichtslose Verachtung der Form, wie sie sich auf diesem
neuesten Bilde Böcklin's geradezu kokettirend breit macht, findet nur noch bei
diesem selben Böcklin ihres Gleichen. Kaum ein zweites Bild dieses Mei¬
sters hat eine so lebhafte Entrüstung hervorgerufen, wie eine „Kreuzabnahme
auf Golgatha", die er im Jahre 1876 in Florenz, zum Theil unter der Ein¬
wirkung der Quattrocentisten, gemalt hat. Sehen wir uns dieses Bild zum
Schlüsse dieser Charakteristik noch etwas näher an.

Der Abend hat sich auf den Kreuzeshügel herabgesenkt. Im Hintergrunde
blinken weiße Mauern aus dem Halbdunkel, tief unten liegt die Stadt, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0404" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141815"/>
          <p xml:id="ID_1191" prev="#ID_1190"> welches der Maler^selbst als &#x201E;Meeresidylle" bezeichnet. Er erinnert sich dabei<lb/>
der Fresken im Baseler Museum: er findet sie &#x201E;schwerverdaulich" und gewalt¬<lb/>
sam, gibt aber zu, daß sich Böcklin seitdem etwas &#x201E;beruhigt" hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1192"> Doch war diese Beruhigung nur eine scheinbare. Die Nationalgalerie in<lb/>
Berlin, deren Leitung sich in rühmlicher Objektivität befleißigt, Proben der her¬<lb/>
vorragendsten Vertreter aller Zweige der dermaligen Malerei in Deutschland zu<lb/>
sammeln, ist im vorigen Jahre in den Besitz eines aus Bestellung gearbeiteten<lb/>
Bildes gelangt, welches der Maler &#x201E;Die Insel der Seeligen" getauft hat. Es<lb/>
ist nicht leicht, den Sprüngen der Böcklin'schen Phantasie zu folgen, und nur<lb/>
selten gelingt es einem aufmerksamen Forscher, den Gedankengang des Malers<lb/>
ganz zu ergründen. Den Vordergrund der Landschaft mit heroisch-mythologi¬<lb/>
scher Staffage nimmt ein tiefblaues Gewässer ein, welches als mächtiger Akkord<lb/>
den Grundton für die ganze Komposition abgibt. Ein alter Kentaur führt<lb/>
eine blonde, nackte, unglaublich schlecht gezeichnete Frau durch den Fluß, auf<lb/>
dem einige Schwäne ziemlich abgezirkelte Kreise ziehen. Die Thiere sind so<lb/>
schauderhaft hölzern, daß man nur eine halbe Freude an dem prachtvoll ge¬<lb/>
malten Felsen empfindet, gegen welchen sich der Fluß nach rechts hin verliert.<lb/>
In einem Haine am jenseitigen User ruht ein kosendes Liebespaar, und im<lb/>
Hintergrunde sieht man auf blumiger, mit lüderlich hingeklecksten Pinien be¬<lb/>
setzter Wiese eine^ muntere Gesellschaft von Mädchen und Jünglingen um<lb/>
den &#x201E;Altar der Liebe" tanzen. Diese neue Erwerbung hat der Abgeordnete<lb/>
Götting unzweifelhaft im Auge gehabt, als er in der Sitzung des preußischen<lb/>
Abgeordnetenhauses vom 18. Januar 1879 von Bildern sprach, bei denen man<lb/>
&#x201E;Fehler und Geschmacklosigkeiten entdeckt, die so greller Natur sind, daß jeder<lb/>
Eintretende zunächst vor solchen Bildern stehen bleibt, ... um seiner Verwun¬<lb/>
derung Ausdruck zu geben, und sich dann mit Unwillen abwendet." Es war<lb/>
keine geschickte Parirung dieses Angriffs von Seiten des Regierungskommissars,<lb/>
wenn er daraus erwiederte, &#x201E;daß recht ernste und einsichtige Kunstfreunde mit<lb/>
ebensoviel lebhafter Anerkennung von diesen Bildern geurtheilt haben, wie er<lb/>
(Götting) lebhaft sie zu mißbilligen scheine."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1193"> Eine fo rücksichtslose Verachtung der Form, wie sie sich auf diesem<lb/>
neuesten Bilde Böcklin's geradezu kokettirend breit macht, findet nur noch bei<lb/>
diesem selben Böcklin ihres Gleichen. Kaum ein zweites Bild dieses Mei¬<lb/>
sters hat eine so lebhafte Entrüstung hervorgerufen, wie eine &#x201E;Kreuzabnahme<lb/>
auf Golgatha", die er im Jahre 1876 in Florenz, zum Theil unter der Ein¬<lb/>
wirkung der Quattrocentisten, gemalt hat. Sehen wir uns dieses Bild zum<lb/>
Schlüsse dieser Charakteristik noch etwas näher an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1194" next="#ID_1195"> Der Abend hat sich auf den Kreuzeshügel herabgesenkt. Im Hintergrunde<lb/>
blinken weiße Mauern aus dem Halbdunkel, tief unten liegt die Stadt, und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0404] welches der Maler^selbst als „Meeresidylle" bezeichnet. Er erinnert sich dabei der Fresken im Baseler Museum: er findet sie „schwerverdaulich" und gewalt¬ sam, gibt aber zu, daß sich Böcklin seitdem etwas „beruhigt" hat. Doch war diese Beruhigung nur eine scheinbare. Die Nationalgalerie in Berlin, deren Leitung sich in rühmlicher Objektivität befleißigt, Proben der her¬ vorragendsten Vertreter aller Zweige der dermaligen Malerei in Deutschland zu sammeln, ist im vorigen Jahre in den Besitz eines aus Bestellung gearbeiteten Bildes gelangt, welches der Maler „Die Insel der Seeligen" getauft hat. Es ist nicht leicht, den Sprüngen der Böcklin'schen Phantasie zu folgen, und nur selten gelingt es einem aufmerksamen Forscher, den Gedankengang des Malers ganz zu ergründen. Den Vordergrund der Landschaft mit heroisch-mythologi¬ scher Staffage nimmt ein tiefblaues Gewässer ein, welches als mächtiger Akkord den Grundton für die ganze Komposition abgibt. Ein alter Kentaur führt eine blonde, nackte, unglaublich schlecht gezeichnete Frau durch den Fluß, auf dem einige Schwäne ziemlich abgezirkelte Kreise ziehen. Die Thiere sind so schauderhaft hölzern, daß man nur eine halbe Freude an dem prachtvoll ge¬ malten Felsen empfindet, gegen welchen sich der Fluß nach rechts hin verliert. In einem Haine am jenseitigen User ruht ein kosendes Liebespaar, und im Hintergrunde sieht man auf blumiger, mit lüderlich hingeklecksten Pinien be¬ setzter Wiese eine^ muntere Gesellschaft von Mädchen und Jünglingen um den „Altar der Liebe" tanzen. Diese neue Erwerbung hat der Abgeordnete Götting unzweifelhaft im Auge gehabt, als er in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 18. Januar 1879 von Bildern sprach, bei denen man „Fehler und Geschmacklosigkeiten entdeckt, die so greller Natur sind, daß jeder Eintretende zunächst vor solchen Bildern stehen bleibt, ... um seiner Verwun¬ derung Ausdruck zu geben, und sich dann mit Unwillen abwendet." Es war keine geschickte Parirung dieses Angriffs von Seiten des Regierungskommissars, wenn er daraus erwiederte, „daß recht ernste und einsichtige Kunstfreunde mit ebensoviel lebhafter Anerkennung von diesen Bildern geurtheilt haben, wie er (Götting) lebhaft sie zu mißbilligen scheine." Eine fo rücksichtslose Verachtung der Form, wie sie sich auf diesem neuesten Bilde Böcklin's geradezu kokettirend breit macht, findet nur noch bei diesem selben Böcklin ihres Gleichen. Kaum ein zweites Bild dieses Mei¬ sters hat eine so lebhafte Entrüstung hervorgerufen, wie eine „Kreuzabnahme auf Golgatha", die er im Jahre 1876 in Florenz, zum Theil unter der Ein¬ wirkung der Quattrocentisten, gemalt hat. Sehen wir uns dieses Bild zum Schlüsse dieser Charakteristik noch etwas näher an. Der Abend hat sich auf den Kreuzeshügel herabgesenkt. Im Hintergrunde blinken weiße Mauern aus dem Halbdunkel, tief unten liegt die Stadt, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/404
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/404>, abgerufen am 26.08.2024.