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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Kritiker, dem am Ende die Verantwortlichkeit zufällt, Material für die Kunst¬
geschichte zu liefern, darf sich jedoch bei diesem Urtheil Nicht beruhigen.

Der äußere Lebensgang Böcklin's ist fortan von keinem Interesse mehr für
uns, nachdem wir die einzelnen Stadien seines Bildungsganges kennen gelernt.
Es sei nur noch erwähnt, daß er sich in den letzten Jahren, augenscheinlich an¬
geregt durch seinen Aufenthalt in Florenz, durch einige Maler des Quattrocento,
namentlich durch Sandro Botticelli und Luca Signorelli, hat beeinflussen lassen,
natürlich nur in einer rein äußerlichen Weise, indem er die Archaismen dieser
Meister, ihre aus dem Zeitcharakter erklärlichen Wunderlichkeiten den seinigen
beigesellte.

Wir lernen den Kunstcharakter Böcklin's am besten kennen, wenn wir die
letzten seiner Werke näher in's Auge fassen. Seine Extravaganzen, seine oft
beleidigenden Nachlässigkeiten der Form hat er am meisten auf dem großen
1874 gemalten Bilde unterdrückt, welches eine Nymphe mit einem Meerunge¬
heuer auf einer einsamen Klippe mitten im Meere darstellt. Es ist ein See¬
kentaur, eines jener antiken Fabelwesen, in deren Struktur sich Böcklin mit so
wunderbarem Verständniß vertieft hat, daß es ihm meist gelingt, Organismen
zu Produziren, deren Lebensfähigkeit nicht so ohne Weiteres zu bezweifeln ist.
Der Kentaur hält nach wilder Fahrt auf der wüsten Klippe seine Rast. Sein
struppiges flachsfarbenes Haar hängt in wirren Strähnen um das Antlitz, aus
welchem ein Paar Glotzaugen, aus denen aber eine finstere, sinnliche Gluth
leuchtet, in die Weite starren. Es ist, als ob ein frevler, gewaltthätiger Ge¬
danke das Hirn des Halbmenschen durchzuckte. Sein nackter bronzefarbener
Oberkörper ragt ganz aus dem Wasser empor, während er mit dem Fischschwanze
das feuchte Element peitscht, daß der weiße Schaum emporspritzt. Vorn auf
der Klippe liegt die Last, die eben von dem Rücken des Ungethümes herabge¬
glitten ist, eine Nereide von großer Schönheit, die uns gerade bei Böcklin, dem
Fanatiker des Häßlichen und Bizarren, der bis dahin lieber häßliche Satyr¬
weiber, formlose Nymphen und Furien mit Vorliebe malte, in doppeltes Er¬
staunen setzt. Die schöne Nymphe liegt auf dem Rücken und läßt in wohligen
Gefühl die weißen Glieder von der kosenden Muth umspülen. Die linke
Hand hängt in das Meer hinab; aber der Alabaster der Haut leuchtet nicht,
wie es sein sollte, durch das Azurblau des Wassers hindurch, sondern Hand
und Unterarm sehen aus, als ob sie mit Ultramarin gefärbt wären. An diesem
Problem ist also auch ein so geschickter Kolorist wie Böcklin gescheitert. Der
Körper der Nereide ruht zum größeren Theile auf ihrem linken Beine, welches
in starker, aber leidlich gelungener Verkürzung ganz sichtbar ist, während sich
das rechte Bein nur bis zum Knie präsentirt, dafür aber von unVerhältniß-
mäßiger Länge ist. Ohne grobe Verzeichnung geht es bei Böcklin schlechter-


Kritiker, dem am Ende die Verantwortlichkeit zufällt, Material für die Kunst¬
geschichte zu liefern, darf sich jedoch bei diesem Urtheil Nicht beruhigen.

Der äußere Lebensgang Böcklin's ist fortan von keinem Interesse mehr für
uns, nachdem wir die einzelnen Stadien seines Bildungsganges kennen gelernt.
Es sei nur noch erwähnt, daß er sich in den letzten Jahren, augenscheinlich an¬
geregt durch seinen Aufenthalt in Florenz, durch einige Maler des Quattrocento,
namentlich durch Sandro Botticelli und Luca Signorelli, hat beeinflussen lassen,
natürlich nur in einer rein äußerlichen Weise, indem er die Archaismen dieser
Meister, ihre aus dem Zeitcharakter erklärlichen Wunderlichkeiten den seinigen
beigesellte.

Wir lernen den Kunstcharakter Böcklin's am besten kennen, wenn wir die
letzten seiner Werke näher in's Auge fassen. Seine Extravaganzen, seine oft
beleidigenden Nachlässigkeiten der Form hat er am meisten auf dem großen
1874 gemalten Bilde unterdrückt, welches eine Nymphe mit einem Meerunge¬
heuer auf einer einsamen Klippe mitten im Meere darstellt. Es ist ein See¬
kentaur, eines jener antiken Fabelwesen, in deren Struktur sich Böcklin mit so
wunderbarem Verständniß vertieft hat, daß es ihm meist gelingt, Organismen
zu Produziren, deren Lebensfähigkeit nicht so ohne Weiteres zu bezweifeln ist.
Der Kentaur hält nach wilder Fahrt auf der wüsten Klippe seine Rast. Sein
struppiges flachsfarbenes Haar hängt in wirren Strähnen um das Antlitz, aus
welchem ein Paar Glotzaugen, aus denen aber eine finstere, sinnliche Gluth
leuchtet, in die Weite starren. Es ist, als ob ein frevler, gewaltthätiger Ge¬
danke das Hirn des Halbmenschen durchzuckte. Sein nackter bronzefarbener
Oberkörper ragt ganz aus dem Wasser empor, während er mit dem Fischschwanze
das feuchte Element peitscht, daß der weiße Schaum emporspritzt. Vorn auf
der Klippe liegt die Last, die eben von dem Rücken des Ungethümes herabge¬
glitten ist, eine Nereide von großer Schönheit, die uns gerade bei Böcklin, dem
Fanatiker des Häßlichen und Bizarren, der bis dahin lieber häßliche Satyr¬
weiber, formlose Nymphen und Furien mit Vorliebe malte, in doppeltes Er¬
staunen setzt. Die schöne Nymphe liegt auf dem Rücken und läßt in wohligen
Gefühl die weißen Glieder von der kosenden Muth umspülen. Die linke
Hand hängt in das Meer hinab; aber der Alabaster der Haut leuchtet nicht,
wie es sein sollte, durch das Azurblau des Wassers hindurch, sondern Hand
und Unterarm sehen aus, als ob sie mit Ultramarin gefärbt wären. An diesem
Problem ist also auch ein so geschickter Kolorist wie Böcklin gescheitert. Der
Körper der Nereide ruht zum größeren Theile auf ihrem linken Beine, welches
in starker, aber leidlich gelungener Verkürzung ganz sichtbar ist, während sich
das rechte Bein nur bis zum Knie präsentirt, dafür aber von unVerhältniß-
mäßiger Länge ist. Ohne grobe Verzeichnung geht es bei Böcklin schlechter-


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[0402] Kritiker, dem am Ende die Verantwortlichkeit zufällt, Material für die Kunst¬ geschichte zu liefern, darf sich jedoch bei diesem Urtheil Nicht beruhigen. Der äußere Lebensgang Böcklin's ist fortan von keinem Interesse mehr für uns, nachdem wir die einzelnen Stadien seines Bildungsganges kennen gelernt. Es sei nur noch erwähnt, daß er sich in den letzten Jahren, augenscheinlich an¬ geregt durch seinen Aufenthalt in Florenz, durch einige Maler des Quattrocento, namentlich durch Sandro Botticelli und Luca Signorelli, hat beeinflussen lassen, natürlich nur in einer rein äußerlichen Weise, indem er die Archaismen dieser Meister, ihre aus dem Zeitcharakter erklärlichen Wunderlichkeiten den seinigen beigesellte. Wir lernen den Kunstcharakter Böcklin's am besten kennen, wenn wir die letzten seiner Werke näher in's Auge fassen. Seine Extravaganzen, seine oft beleidigenden Nachlässigkeiten der Form hat er am meisten auf dem großen 1874 gemalten Bilde unterdrückt, welches eine Nymphe mit einem Meerunge¬ heuer auf einer einsamen Klippe mitten im Meere darstellt. Es ist ein See¬ kentaur, eines jener antiken Fabelwesen, in deren Struktur sich Böcklin mit so wunderbarem Verständniß vertieft hat, daß es ihm meist gelingt, Organismen zu Produziren, deren Lebensfähigkeit nicht so ohne Weiteres zu bezweifeln ist. Der Kentaur hält nach wilder Fahrt auf der wüsten Klippe seine Rast. Sein struppiges flachsfarbenes Haar hängt in wirren Strähnen um das Antlitz, aus welchem ein Paar Glotzaugen, aus denen aber eine finstere, sinnliche Gluth leuchtet, in die Weite starren. Es ist, als ob ein frevler, gewaltthätiger Ge¬ danke das Hirn des Halbmenschen durchzuckte. Sein nackter bronzefarbener Oberkörper ragt ganz aus dem Wasser empor, während er mit dem Fischschwanze das feuchte Element peitscht, daß der weiße Schaum emporspritzt. Vorn auf der Klippe liegt die Last, die eben von dem Rücken des Ungethümes herabge¬ glitten ist, eine Nereide von großer Schönheit, die uns gerade bei Böcklin, dem Fanatiker des Häßlichen und Bizarren, der bis dahin lieber häßliche Satyr¬ weiber, formlose Nymphen und Furien mit Vorliebe malte, in doppeltes Er¬ staunen setzt. Die schöne Nymphe liegt auf dem Rücken und läßt in wohligen Gefühl die weißen Glieder von der kosenden Muth umspülen. Die linke Hand hängt in das Meer hinab; aber der Alabaster der Haut leuchtet nicht, wie es sein sollte, durch das Azurblau des Wassers hindurch, sondern Hand und Unterarm sehen aus, als ob sie mit Ultramarin gefärbt wären. An diesem Problem ist also auch ein so geschickter Kolorist wie Böcklin gescheitert. Der Körper der Nereide ruht zum größeren Theile auf ihrem linken Beine, welches in starker, aber leidlich gelungener Verkürzung ganz sichtbar ist, während sich das rechte Bein nur bis zum Knie präsentirt, dafür aber von unVerhältniß- mäßiger Länge ist. Ohne grobe Verzeichnung geht es bei Böcklin schlechter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/402>, abgerufen am 26.08.2024.