Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

die Apostel selbst waren darauf bedacht, über die wichtigsten kirchlichen Fragen
sich zu verständigen und unausgeglichene Differenzen nicht zu Gefahr drohenden
Spannungen anwachsen zu lassen. Am meisten traten die von Paulus ge¬
gründeten Heiden-christlichen und die unter dem bestimmenden Einflüsse des
Jakobus sich entwickelnden juten-christlichen Gemeinden auseinander.

Wir nennen Jakobus hier unter den Aposteln, obwohl er nicht zu der
von Jesus auserwählten Zwölfzahl gehörte. Denn derselbe ist weder mit dem
Sohne des Zebedäus identisch, der im Jahre 44 den Märtyrertod starb, noch
mit dem Sohne des Alphäus, dessen Wirksamkeit keine geschichtlich erkennbaren
Spuren zurückgelassen hat, sondern vielmehr eine Persönlichkeit, welche wohl
in erster Linie durch 'ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu Jesus, dann aber
auch durch ihre Würde und sittliche Strenge eine hohe Autorität gewonnen
hatte. Die alte Kirche nennt ihn den "Bruder des Herrn", so schon im Neuen
Testamente. Dieser Jakobus galt, obwohl nicht der Zwölfzahl angehörig, doch
als Apostel, denn es hatte sich früh der Begriff des Avostolats erweitert und
schloß alle Männer in sich, welche durch eine dem Sinne Jesu gemäße selb¬
ständige Verwaltung eines Missionsgebietes sich als von ihm berufen bewährt
hatten.

Gehen wir nun über zu der Frage, wie sich die Verfassung der einzelnen
Gemeinden gestaltete. Bleiben wir in den Grenzen des ersten Jahrhunderts,
des apostolischen Zeitalters, stehen, so unterscheiden wir zwei Stadien der Ent¬
wickelung. In dem ersten finden wir eine nur elementare Organisation der
Gemeinden, die über die Befriedigung der nothwendigsten Bedürfnisse nicht
hinausgeht. Es besteht ein Vorsteheramt, dem die Aufgabe, seelsorgerlich über
die Gemeinde zu wachen und ihre gottesdienstlichen Versammlungen zu leiten,
anvertraut ist; ein Amt, dessen Träger bald von den Aposteln bei der Grün¬
dung der Gemeinde, sei es aus eigener Initiative, sei es nach Vereinbarung
mit der Gemeinde, dazu berufen werden, bald, wo ohne unmittelbare aposto¬
lische Mitwirkung die Gemeinde sich gebildet hat, aus denen gewählt werden,
die auf die Gründung der Gemeinde den größten Einfluß ausgeübt haben oder
durch ihre Begabung dazu besonders befähigt erscheinen. Aber weder sind die
Kompetenzen dieses Amtes scharf begrenzt, noch ist die Uebertragung desselben
in bestimmten rechtlichen Formen vollzogen. Es ist eine schwankende, noch
der Festigkeit entbehrende Gestalt, in der es uns entgegentritt. Die Einwirkung,
welche dies Amt auf das Leben der Gemeinde übte, war eine geringe, denn
weder besaß es das Recht der Verwaltung, welches vielmehr der Gemeinde
als einem Ganzen zustand, noch lag in seiner Hand die wesentliche Hervor¬
bringung des Gottesdienstes, die vielmehr aus dem Zusammenwirken aller
Gemeindeglieder entstand, welche sich im Besitz der Geistesgaben befanden. Wem


die Apostel selbst waren darauf bedacht, über die wichtigsten kirchlichen Fragen
sich zu verständigen und unausgeglichene Differenzen nicht zu Gefahr drohenden
Spannungen anwachsen zu lassen. Am meisten traten die von Paulus ge¬
gründeten Heiden-christlichen und die unter dem bestimmenden Einflüsse des
Jakobus sich entwickelnden juten-christlichen Gemeinden auseinander.

Wir nennen Jakobus hier unter den Aposteln, obwohl er nicht zu der
von Jesus auserwählten Zwölfzahl gehörte. Denn derselbe ist weder mit dem
Sohne des Zebedäus identisch, der im Jahre 44 den Märtyrertod starb, noch
mit dem Sohne des Alphäus, dessen Wirksamkeit keine geschichtlich erkennbaren
Spuren zurückgelassen hat, sondern vielmehr eine Persönlichkeit, welche wohl
in erster Linie durch 'ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu Jesus, dann aber
auch durch ihre Würde und sittliche Strenge eine hohe Autorität gewonnen
hatte. Die alte Kirche nennt ihn den „Bruder des Herrn", so schon im Neuen
Testamente. Dieser Jakobus galt, obwohl nicht der Zwölfzahl angehörig, doch
als Apostel, denn es hatte sich früh der Begriff des Avostolats erweitert und
schloß alle Männer in sich, welche durch eine dem Sinne Jesu gemäße selb¬
ständige Verwaltung eines Missionsgebietes sich als von ihm berufen bewährt
hatten.

Gehen wir nun über zu der Frage, wie sich die Verfassung der einzelnen
Gemeinden gestaltete. Bleiben wir in den Grenzen des ersten Jahrhunderts,
des apostolischen Zeitalters, stehen, so unterscheiden wir zwei Stadien der Ent¬
wickelung. In dem ersten finden wir eine nur elementare Organisation der
Gemeinden, die über die Befriedigung der nothwendigsten Bedürfnisse nicht
hinausgeht. Es besteht ein Vorsteheramt, dem die Aufgabe, seelsorgerlich über
die Gemeinde zu wachen und ihre gottesdienstlichen Versammlungen zu leiten,
anvertraut ist; ein Amt, dessen Träger bald von den Aposteln bei der Grün¬
dung der Gemeinde, sei es aus eigener Initiative, sei es nach Vereinbarung
mit der Gemeinde, dazu berufen werden, bald, wo ohne unmittelbare aposto¬
lische Mitwirkung die Gemeinde sich gebildet hat, aus denen gewählt werden,
die auf die Gründung der Gemeinde den größten Einfluß ausgeübt haben oder
durch ihre Begabung dazu besonders befähigt erscheinen. Aber weder sind die
Kompetenzen dieses Amtes scharf begrenzt, noch ist die Uebertragung desselben
in bestimmten rechtlichen Formen vollzogen. Es ist eine schwankende, noch
der Festigkeit entbehrende Gestalt, in der es uns entgegentritt. Die Einwirkung,
welche dies Amt auf das Leben der Gemeinde übte, war eine geringe, denn
weder besaß es das Recht der Verwaltung, welches vielmehr der Gemeinde
als einem Ganzen zustand, noch lag in seiner Hand die wesentliche Hervor¬
bringung des Gottesdienstes, die vielmehr aus dem Zusammenwirken aller
Gemeindeglieder entstand, welche sich im Besitz der Geistesgaben befanden. Wem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0387" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141798"/>
          <p xml:id="ID_1130" prev="#ID_1129"> die Apostel selbst waren darauf bedacht, über die wichtigsten kirchlichen Fragen<lb/>
sich zu verständigen und unausgeglichene Differenzen nicht zu Gefahr drohenden<lb/>
Spannungen anwachsen zu lassen. Am meisten traten die von Paulus ge¬<lb/>
gründeten Heiden-christlichen und die unter dem bestimmenden Einflüsse des<lb/>
Jakobus sich entwickelnden juten-christlichen Gemeinden auseinander.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1131"> Wir nennen Jakobus hier unter den Aposteln, obwohl er nicht zu der<lb/>
von Jesus auserwählten Zwölfzahl gehörte. Denn derselbe ist weder mit dem<lb/>
Sohne des Zebedäus identisch, der im Jahre 44 den Märtyrertod starb, noch<lb/>
mit dem Sohne des Alphäus, dessen Wirksamkeit keine geschichtlich erkennbaren<lb/>
Spuren zurückgelassen hat, sondern vielmehr eine Persönlichkeit, welche wohl<lb/>
in erster Linie durch 'ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu Jesus, dann aber<lb/>
auch durch ihre Würde und sittliche Strenge eine hohe Autorität gewonnen<lb/>
hatte. Die alte Kirche nennt ihn den &#x201E;Bruder des Herrn", so schon im Neuen<lb/>
Testamente. Dieser Jakobus galt, obwohl nicht der Zwölfzahl angehörig, doch<lb/>
als Apostel, denn es hatte sich früh der Begriff des Avostolats erweitert und<lb/>
schloß alle Männer in sich, welche durch eine dem Sinne Jesu gemäße selb¬<lb/>
ständige Verwaltung eines Missionsgebietes sich als von ihm berufen bewährt<lb/>
hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1132" next="#ID_1133"> Gehen wir nun über zu der Frage, wie sich die Verfassung der einzelnen<lb/>
Gemeinden gestaltete. Bleiben wir in den Grenzen des ersten Jahrhunderts,<lb/>
des apostolischen Zeitalters, stehen, so unterscheiden wir zwei Stadien der Ent¬<lb/>
wickelung. In dem ersten finden wir eine nur elementare Organisation der<lb/>
Gemeinden, die über die Befriedigung der nothwendigsten Bedürfnisse nicht<lb/>
hinausgeht. Es besteht ein Vorsteheramt, dem die Aufgabe, seelsorgerlich über<lb/>
die Gemeinde zu wachen und ihre gottesdienstlichen Versammlungen zu leiten,<lb/>
anvertraut ist; ein Amt, dessen Träger bald von den Aposteln bei der Grün¬<lb/>
dung der Gemeinde, sei es aus eigener Initiative, sei es nach Vereinbarung<lb/>
mit der Gemeinde, dazu berufen werden, bald, wo ohne unmittelbare aposto¬<lb/>
lische Mitwirkung die Gemeinde sich gebildet hat, aus denen gewählt werden,<lb/>
die auf die Gründung der Gemeinde den größten Einfluß ausgeübt haben oder<lb/>
durch ihre Begabung dazu besonders befähigt erscheinen. Aber weder sind die<lb/>
Kompetenzen dieses Amtes scharf begrenzt, noch ist die Uebertragung desselben<lb/>
in bestimmten rechtlichen Formen vollzogen. Es ist eine schwankende, noch<lb/>
der Festigkeit entbehrende Gestalt, in der es uns entgegentritt. Die Einwirkung,<lb/>
welche dies Amt auf das Leben der Gemeinde übte, war eine geringe, denn<lb/>
weder besaß es das Recht der Verwaltung, welches vielmehr der Gemeinde<lb/>
als einem Ganzen zustand, noch lag in seiner Hand die wesentliche Hervor¬<lb/>
bringung des Gottesdienstes, die vielmehr aus dem Zusammenwirken aller<lb/>
Gemeindeglieder entstand, welche sich im Besitz der Geistesgaben befanden. Wem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0387] die Apostel selbst waren darauf bedacht, über die wichtigsten kirchlichen Fragen sich zu verständigen und unausgeglichene Differenzen nicht zu Gefahr drohenden Spannungen anwachsen zu lassen. Am meisten traten die von Paulus ge¬ gründeten Heiden-christlichen und die unter dem bestimmenden Einflüsse des Jakobus sich entwickelnden juten-christlichen Gemeinden auseinander. Wir nennen Jakobus hier unter den Aposteln, obwohl er nicht zu der von Jesus auserwählten Zwölfzahl gehörte. Denn derselbe ist weder mit dem Sohne des Zebedäus identisch, der im Jahre 44 den Märtyrertod starb, noch mit dem Sohne des Alphäus, dessen Wirksamkeit keine geschichtlich erkennbaren Spuren zurückgelassen hat, sondern vielmehr eine Persönlichkeit, welche wohl in erster Linie durch 'ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu Jesus, dann aber auch durch ihre Würde und sittliche Strenge eine hohe Autorität gewonnen hatte. Die alte Kirche nennt ihn den „Bruder des Herrn", so schon im Neuen Testamente. Dieser Jakobus galt, obwohl nicht der Zwölfzahl angehörig, doch als Apostel, denn es hatte sich früh der Begriff des Avostolats erweitert und schloß alle Männer in sich, welche durch eine dem Sinne Jesu gemäße selb¬ ständige Verwaltung eines Missionsgebietes sich als von ihm berufen bewährt hatten. Gehen wir nun über zu der Frage, wie sich die Verfassung der einzelnen Gemeinden gestaltete. Bleiben wir in den Grenzen des ersten Jahrhunderts, des apostolischen Zeitalters, stehen, so unterscheiden wir zwei Stadien der Ent¬ wickelung. In dem ersten finden wir eine nur elementare Organisation der Gemeinden, die über die Befriedigung der nothwendigsten Bedürfnisse nicht hinausgeht. Es besteht ein Vorsteheramt, dem die Aufgabe, seelsorgerlich über die Gemeinde zu wachen und ihre gottesdienstlichen Versammlungen zu leiten, anvertraut ist; ein Amt, dessen Träger bald von den Aposteln bei der Grün¬ dung der Gemeinde, sei es aus eigener Initiative, sei es nach Vereinbarung mit der Gemeinde, dazu berufen werden, bald, wo ohne unmittelbare aposto¬ lische Mitwirkung die Gemeinde sich gebildet hat, aus denen gewählt werden, die auf die Gründung der Gemeinde den größten Einfluß ausgeübt haben oder durch ihre Begabung dazu besonders befähigt erscheinen. Aber weder sind die Kompetenzen dieses Amtes scharf begrenzt, noch ist die Uebertragung desselben in bestimmten rechtlichen Formen vollzogen. Es ist eine schwankende, noch der Festigkeit entbehrende Gestalt, in der es uns entgegentritt. Die Einwirkung, welche dies Amt auf das Leben der Gemeinde übte, war eine geringe, denn weder besaß es das Recht der Verwaltung, welches vielmehr der Gemeinde als einem Ganzen zustand, noch lag in seiner Hand die wesentliche Hervor¬ bringung des Gottesdienstes, die vielmehr aus dem Zusammenwirken aller Gemeindeglieder entstand, welche sich im Besitz der Geistesgaben befanden. Wem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/387
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/387>, abgerufen am 23.07.2024.