Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.Jeder absolute Staat bedarf einer doppelten Polizei, einer solchen, welche Offiziell ist der Name des Chefs der Geheimpolizei der eines Chefs der Der zweite mächtige Schlag gegen den alten Schlendrian hat, wie schon In den letzten Jahren ist das traurige Arbeitsgebiet des "Gensdcirmerie- Jeder absolute Staat bedarf einer doppelten Polizei, einer solchen, welche Offiziell ist der Name des Chefs der Geheimpolizei der eines Chefs der Der zweite mächtige Schlag gegen den alten Schlendrian hat, wie schon In den letzten Jahren ist das traurige Arbeitsgebiet des „Gensdcirmerie- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141793"/> <p xml:id="ID_1110"> Jeder absolute Staat bedarf einer doppelten Polizei, einer solchen, welche<lb/> das Volk, einer anderen höher organisirten, welche die Beamten und oberen<lb/> Klassen der Gesellschaft überwacht. Ganz kann dieser letzteren wohl kein<lb/> Staat entbehren. In keinem Staate aber war dies System mit solcher Voll¬<lb/> kommenheit entwickelt, wie in dem Rußland des Kaisers Nikolaus. Unter<lb/> ihm war die Polizei die eigentliche Herrin des Staates, welcher der Kaiser<lb/> selbst oft sich fügen mußte. Auch heute noch, trotzdem daß beinahe 20 Jahre<lb/> der liberalen Herrschaft Alexander's II. verflossen sind, ist ihr Einfluß noch<lb/> groß genug. Das Attentat des verrückten Studenten Karakcisoff im Jahre<lb/> 1866 wurde dazu benutzt, um dem liberalen Herrscher Verfügungen zu ent¬<lb/> reißen, welche die „3. Sektion der kaiserlichen Kanzlei" fast in ihrer alten<lb/> Herrlichkeit aus dem Staube der Akten erstehen ließ. An die Spitze des<lb/> Polizeikabinets trat damals Graf Schuwaloff,, einer der Vertrautesten des<lb/> Kaisers, und seit der Zeit ist dieser Posten in den Händen von Männern ge¬<lb/> wesen, welche man mit Recht als des Kaisers ganz bevorzugte Günstlinge an¬<lb/> sah ; ihm folgte der General Potapof, dann der General Trepoff, der kürzlich,<lb/> wie es scheint, einer Privatrache zum Opfer fiel.</p><lb/> <p xml:id="ID_1111"> Offiziell ist der Name des Chefs der Geheimpolizei der eines Chefs der<lb/> kaiserlichen Gensdamerie, und in der That sind es die Träger dieser hell¬<lb/> blauen im ganzen Reiche wohlbekannten Uniform, welche die eigentlichen Or¬<lb/> gane des Polizeiministers bilden. Sie sind sämmtlich Offiziere, und da ihr<lb/> Amt ein sehr schwieriges und verantwortliches ist, so sind nur besonders quali-<lb/> fizirte Persönlichkeiten dafür bestimmt. Ihre gesellschaftliche Stellung öffnet<lb/> ihnen die angenehmsten und exklusivsten Kreise. Daß unter ihrer Leitung<lb/> außer ihren militärischen Untergebenen auch eine Anzahl Zivilbeamter ar¬<lb/> beiten, ist selbstverständlich. Mit ihrer Hilfe häuptsächlich ist es der Regierung<lb/> gelungen, so manchen festgeschlossenen Ring untreuer Beamten zu sprengen,<lb/> der, vor anderweiter Kontrole sicher, aus den verschiedenen Ressorts stammend,<lb/> mit vereinten Kräften den Staarsseckel und noch bei weitem intensiver den<lb/> Geldbeutel des Publikums brandschatzte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1112"> Der zweite mächtige Schlag gegen den alten Schlendrian hat, wie schon<lb/> erwähnt, die erst in neuester Zeit wirklich angestrebte Verbesserung in der<lb/> Justiz geführt. Schreitet die Regierung auf diesem Wege fort, rücksichtslos<lb/> jede Ausschreitung der Beamten vor die ordentlichen Geschworenengerichte zu<lb/> bringen, anstatt sie in falschem c-or^s Ä'ssxrit zu vertuschen oder in dem Ge¬<lb/> danken, man bedürfe der Beamten, milde zu bestrafen, dann ist kein Zweifel,<lb/> daß in wenigen Jahrzehnten der russische Beamte seinen westlichen Kollegen<lb/> ebenbürtig sein wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1113" next="#ID_1114"> In den letzten Jahren ist das traurige Arbeitsgebiet des „Gensdcirmerie-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0382]
Jeder absolute Staat bedarf einer doppelten Polizei, einer solchen, welche
das Volk, einer anderen höher organisirten, welche die Beamten und oberen
Klassen der Gesellschaft überwacht. Ganz kann dieser letzteren wohl kein
Staat entbehren. In keinem Staate aber war dies System mit solcher Voll¬
kommenheit entwickelt, wie in dem Rußland des Kaisers Nikolaus. Unter
ihm war die Polizei die eigentliche Herrin des Staates, welcher der Kaiser
selbst oft sich fügen mußte. Auch heute noch, trotzdem daß beinahe 20 Jahre
der liberalen Herrschaft Alexander's II. verflossen sind, ist ihr Einfluß noch
groß genug. Das Attentat des verrückten Studenten Karakcisoff im Jahre
1866 wurde dazu benutzt, um dem liberalen Herrscher Verfügungen zu ent¬
reißen, welche die „3. Sektion der kaiserlichen Kanzlei" fast in ihrer alten
Herrlichkeit aus dem Staube der Akten erstehen ließ. An die Spitze des
Polizeikabinets trat damals Graf Schuwaloff,, einer der Vertrautesten des
Kaisers, und seit der Zeit ist dieser Posten in den Händen von Männern ge¬
wesen, welche man mit Recht als des Kaisers ganz bevorzugte Günstlinge an¬
sah ; ihm folgte der General Potapof, dann der General Trepoff, der kürzlich,
wie es scheint, einer Privatrache zum Opfer fiel.
Offiziell ist der Name des Chefs der Geheimpolizei der eines Chefs der
kaiserlichen Gensdamerie, und in der That sind es die Träger dieser hell¬
blauen im ganzen Reiche wohlbekannten Uniform, welche die eigentlichen Or¬
gane des Polizeiministers bilden. Sie sind sämmtlich Offiziere, und da ihr
Amt ein sehr schwieriges und verantwortliches ist, so sind nur besonders quali-
fizirte Persönlichkeiten dafür bestimmt. Ihre gesellschaftliche Stellung öffnet
ihnen die angenehmsten und exklusivsten Kreise. Daß unter ihrer Leitung
außer ihren militärischen Untergebenen auch eine Anzahl Zivilbeamter ar¬
beiten, ist selbstverständlich. Mit ihrer Hilfe häuptsächlich ist es der Regierung
gelungen, so manchen festgeschlossenen Ring untreuer Beamten zu sprengen,
der, vor anderweiter Kontrole sicher, aus den verschiedenen Ressorts stammend,
mit vereinten Kräften den Staarsseckel und noch bei weitem intensiver den
Geldbeutel des Publikums brandschatzte.
Der zweite mächtige Schlag gegen den alten Schlendrian hat, wie schon
erwähnt, die erst in neuester Zeit wirklich angestrebte Verbesserung in der
Justiz geführt. Schreitet die Regierung auf diesem Wege fort, rücksichtslos
jede Ausschreitung der Beamten vor die ordentlichen Geschworenengerichte zu
bringen, anstatt sie in falschem c-or^s Ä'ssxrit zu vertuschen oder in dem Ge¬
danken, man bedürfe der Beamten, milde zu bestrafen, dann ist kein Zweifel,
daß in wenigen Jahrzehnten der russische Beamte seinen westlichen Kollegen
ebenbürtig sein wird.
In den letzten Jahren ist das traurige Arbeitsgebiet des „Gensdcirmerie-
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