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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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weiter vor uns haben, als das Material, welches Quandt Goethen zur Ver¬
fügung gestellt hatte -- wie denn etwas anderes auch eigentlich nicht gut
denkbar ist.

Man vergleiche mit einander folgende Stellen. Ueber Ur. 40, den "Ster¬
benden", heißt es bei Goethe: "Nicht zu beschreiben ist die Zartheit,
womit dieses Bild ausgeführt ist". Quandt schreibt: "Jedes Lob dieses
Bildes gleitet doch nnr an der Oberfläche hin, ohne dessen Verdienste
alle zu ergründen".

Von "Christus und der Samariterin", Ur. 41, heißt es im Goethischen
Aufsatze: "Christus, voll hoher männlicher Würde, Weisheit und Huld,
spricht wohlwollend und ernst zu dem jugendlich sorglosen Weibe, welche ohne
Beschauung das Leben genußreich auf sich einwirken ließ und es heiter
hinnahm. Von den gehaltvollen Worten ergriffen, kehrt ihr Blick zum
ersten Mal sich in ihr Inneres." Quandt schreibt über den Christus: "Die
hohe Stirn, die edle Nase, die sich einander nahenden Augenlider, der geöffnete
Mund sind sehr sprechend und zeigen Würde, Weisheit und Güte; drücken
deutlich die lebhafte Theilnahme, die an Schmerz grenzende Sorge für eine Seele
in Gefahr und das innige Bemühen, diese zu retten, aus" -- über die Sama¬
riterin: "Eine wohlgebildete Gestalt, welche äußerst anmuthig, im genu߬
reichen Lebensgefühl sich entfaltet hat .... Auch für das Höhere nicht
verschlossen blickt sie den Wundervollen zwar nicht ganz fassend, aber das
Bedeutsame seiner Rede wohl ahnend, forschend in's Auge."

Noch auffälliger ist die Uebereinstimmung bei den beiden folgenden Bildern.
Von der "Verklärung auf Tabor", Ur. 45, heißt es im "Morgenblatt":
"Christus ist eine wahre Vergötterung des Menschen. Die erhabenen
Gestalten des Himmels umgeben ihn; auf dem Hügel ruhen die Jünger
im wachen Traume. Eine herrliche Aussicht eröffnet sich dem Auge
weit über das Meer und ein reichbebautes Vorgebirge. Das Bild ist
ein Moment, ein Guß des Gedankens, vielleicht der höchste, gunstreichste
Augenblick in Cranach's Leben." In der "Zeitung für die elegante
Welt" lautet das Urtheil: "Im Vorgrund auf einem Hügel, von wo aus
ein heiterer Blick sich über dem Meer eröffnet, in welches ein hohes
Vorgebirge hineinläuft... ruhen in liegender Stellung drei Jünger Jesu.
Der eine ist in tiefen Schlaf gesunken, doch belebt ein bilderreicher Traum
seine Züge; der zweite scheint soeben erst die Augen geschlossen zu haben und
in seinem Innern die Traumwelt zu dämmern; der dritte liegt mit auf die
Hand gestütztem Haupte, noch halb wach, zwischen Sinnen und Träumen."
Auf der Höhe "steht Christus in strahlender Klarheit, ein sichtbar gewor¬
dener Gott vor uns...nur in der Entfesselung von allen irdischen Banden


weiter vor uns haben, als das Material, welches Quandt Goethen zur Ver¬
fügung gestellt hatte — wie denn etwas anderes auch eigentlich nicht gut
denkbar ist.

Man vergleiche mit einander folgende Stellen. Ueber Ur. 40, den „Ster¬
benden", heißt es bei Goethe: „Nicht zu beschreiben ist die Zartheit,
womit dieses Bild ausgeführt ist". Quandt schreibt: „Jedes Lob dieses
Bildes gleitet doch nnr an der Oberfläche hin, ohne dessen Verdienste
alle zu ergründen".

Von „Christus und der Samariterin", Ur. 41, heißt es im Goethischen
Aufsatze: „Christus, voll hoher männlicher Würde, Weisheit und Huld,
spricht wohlwollend und ernst zu dem jugendlich sorglosen Weibe, welche ohne
Beschauung das Leben genußreich auf sich einwirken ließ und es heiter
hinnahm. Von den gehaltvollen Worten ergriffen, kehrt ihr Blick zum
ersten Mal sich in ihr Inneres." Quandt schreibt über den Christus: „Die
hohe Stirn, die edle Nase, die sich einander nahenden Augenlider, der geöffnete
Mund sind sehr sprechend und zeigen Würde, Weisheit und Güte; drücken
deutlich die lebhafte Theilnahme, die an Schmerz grenzende Sorge für eine Seele
in Gefahr und das innige Bemühen, diese zu retten, aus" — über die Sama¬
riterin: „Eine wohlgebildete Gestalt, welche äußerst anmuthig, im genu߬
reichen Lebensgefühl sich entfaltet hat .... Auch für das Höhere nicht
verschlossen blickt sie den Wundervollen zwar nicht ganz fassend, aber das
Bedeutsame seiner Rede wohl ahnend, forschend in's Auge."

Noch auffälliger ist die Uebereinstimmung bei den beiden folgenden Bildern.
Von der „Verklärung auf Tabor", Ur. 45, heißt es im „Morgenblatt":
„Christus ist eine wahre Vergötterung des Menschen. Die erhabenen
Gestalten des Himmels umgeben ihn; auf dem Hügel ruhen die Jünger
im wachen Traume. Eine herrliche Aussicht eröffnet sich dem Auge
weit über das Meer und ein reichbebautes Vorgebirge. Das Bild ist
ein Moment, ein Guß des Gedankens, vielleicht der höchste, gunstreichste
Augenblick in Cranach's Leben." In der „Zeitung für die elegante
Welt" lautet das Urtheil: „Im Vorgrund auf einem Hügel, von wo aus
ein heiterer Blick sich über dem Meer eröffnet, in welches ein hohes
Vorgebirge hineinläuft... ruhen in liegender Stellung drei Jünger Jesu.
Der eine ist in tiefen Schlaf gesunken, doch belebt ein bilderreicher Traum
seine Züge; der zweite scheint soeben erst die Augen geschlossen zu haben und
in seinem Innern die Traumwelt zu dämmern; der dritte liegt mit auf die
Hand gestütztem Haupte, noch halb wach, zwischen Sinnen und Träumen."
Auf der Höhe „steht Christus in strahlender Klarheit, ein sichtbar gewor¬
dener Gott vor uns...nur in der Entfesselung von allen irdischen Banden


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[0036] weiter vor uns haben, als das Material, welches Quandt Goethen zur Ver¬ fügung gestellt hatte — wie denn etwas anderes auch eigentlich nicht gut denkbar ist. Man vergleiche mit einander folgende Stellen. Ueber Ur. 40, den „Ster¬ benden", heißt es bei Goethe: „Nicht zu beschreiben ist die Zartheit, womit dieses Bild ausgeführt ist". Quandt schreibt: „Jedes Lob dieses Bildes gleitet doch nnr an der Oberfläche hin, ohne dessen Verdienste alle zu ergründen". Von „Christus und der Samariterin", Ur. 41, heißt es im Goethischen Aufsatze: „Christus, voll hoher männlicher Würde, Weisheit und Huld, spricht wohlwollend und ernst zu dem jugendlich sorglosen Weibe, welche ohne Beschauung das Leben genußreich auf sich einwirken ließ und es heiter hinnahm. Von den gehaltvollen Worten ergriffen, kehrt ihr Blick zum ersten Mal sich in ihr Inneres." Quandt schreibt über den Christus: „Die hohe Stirn, die edle Nase, die sich einander nahenden Augenlider, der geöffnete Mund sind sehr sprechend und zeigen Würde, Weisheit und Güte; drücken deutlich die lebhafte Theilnahme, die an Schmerz grenzende Sorge für eine Seele in Gefahr und das innige Bemühen, diese zu retten, aus" — über die Sama¬ riterin: „Eine wohlgebildete Gestalt, welche äußerst anmuthig, im genu߬ reichen Lebensgefühl sich entfaltet hat .... Auch für das Höhere nicht verschlossen blickt sie den Wundervollen zwar nicht ganz fassend, aber das Bedeutsame seiner Rede wohl ahnend, forschend in's Auge." Noch auffälliger ist die Uebereinstimmung bei den beiden folgenden Bildern. Von der „Verklärung auf Tabor", Ur. 45, heißt es im „Morgenblatt": „Christus ist eine wahre Vergötterung des Menschen. Die erhabenen Gestalten des Himmels umgeben ihn; auf dem Hügel ruhen die Jünger im wachen Traume. Eine herrliche Aussicht eröffnet sich dem Auge weit über das Meer und ein reichbebautes Vorgebirge. Das Bild ist ein Moment, ein Guß des Gedankens, vielleicht der höchste, gunstreichste Augenblick in Cranach's Leben." In der „Zeitung für die elegante Welt" lautet das Urtheil: „Im Vorgrund auf einem Hügel, von wo aus ein heiterer Blick sich über dem Meer eröffnet, in welches ein hohes Vorgebirge hineinläuft... ruhen in liegender Stellung drei Jünger Jesu. Der eine ist in tiefen Schlaf gesunken, doch belebt ein bilderreicher Traum seine Züge; der zweite scheint soeben erst die Augen geschlossen zu haben und in seinem Innern die Traumwelt zu dämmern; der dritte liegt mit auf die Hand gestütztem Haupte, noch halb wach, zwischen Sinnen und Träumen." Auf der Höhe „steht Christus in strahlender Klarheit, ein sichtbar gewor¬ dener Gott vor uns...nur in der Entfesselung von allen irdischen Banden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/36>, abgerufen am 23.07.2024.