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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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lichen Gebrauch und Uebung zu kontinuiren". Einige Monate später gaben
die Habsburgischen Kaiser für Böhmen und Schlesien in dem böhmischen Maje¬
stätsbrief dasselbe Versprechen. So bestand zu Anfang des 17. Jahrhunderts
an zwei Stellen des deutschen Reiches ein Nebeneinander verschiedener Be¬
kenntnisse. Die Habsburger zerschnitten den böhmischen Majestätsbrief und
ließen den schlesischen unbestätigt. Auch der Pfalzgraf von Neuburg brach sein
Wort, seitdem er 1614 öffentlich zur katholischen Kirche übergetreten war. Die
Hohenzollern aber sind den in den clevischen Reversalien eingegangenen Ver¬
pflichtungen getreu nachgekommen und haben in einer Zeit der schwersten An¬
fechtungen nicht von ihnen abgelassen, selbst dann nicht, als der katholische
Pfalzgraf und die Jesuiten sich alle Mühe gaben, "die calvinistische Rotte"
in Jülich und Berg zu vernichten, die Evangelischen vom Bürgerrecht auszu¬
schließen und im Erwerb von Eigenthum zu beschränken.

Die Aufgabe, hier die Autorität des Staates und die Parität der Kon¬
fessionen zu wahren, ging nun an den großen Kurfürsten über. Mit ihm
beginnt die Zeit, welche sich über den Gegensatz der Konfessionen erhebt und
den staatlichen Gedanken vor dem einseitigen Interesse einer einzelnen Konfession
befreit. Er war von Herzen Protestant, aber er stellte das Wohl des Landes
höher, als konfessionelle Rücksichten. Er hat Schweden und Polen, Dänemark
und den Kaiser, Holland und Frankreich, England und Spanien zu seinen
Alliirten gewählt, mit dem Czaren Verträge geschlossen, mit dem Khan der Ta¬
taren Verhandlungen gepflogen. Er hat Mennoniten, Arianer und Socinianer
in seinen Landen gelitten und die Juden wieder aufgenommen. Er hat sich
M den Friedensverhandlungen von Oliva der livländischen Katholiken gegen
das lutherische Schweden angenommen. Das Testament des Kurfürsten von
1664 enthält die Bestimmung, "daß an denen Orten und Enden in Unseren
Landen, woselbst die römisch katholische Religion vermöge iQstrumsnwio. xaeis
und anderer aufgerichteten Accordaten, Erbverträgen und Packen üblich und
im Schwange, dawider nichts neuerliches oder Gewaltsames vorgenommen,
sondern derselben zugethane Geistliche und andere Personen bei ihren Kirchen,
Klöstern, Präbenden, Renten und Einkommen geschützet werden sollen." Aber
er verlangt ebenso, daß die Geistlichen den Staatsgesetzen gehorchen. Denn daß
sich die Geistlichen "in weltliche Händel und Landsachen mischen, geziemt sich
gar nicht".

Im Jahre 1647 schloß der Kurfürst mit dem Pfalzgrafen Wolfgang
Wilhelm von Neuburg einen Vertrag, nach welchem in den jülich-bergi¬
schen Landen für das kirchliche Eigenthum das Jahr 1609, für die Religions¬
übung das Jahr 1612 als normal erklärt wurde. Da indessen das zu
Osnabrück beschlossene instrunuMwui xmois von Reichswegen das den Katho-


Grenzboten I- 1379. 44

lichen Gebrauch und Uebung zu kontinuiren". Einige Monate später gaben
die Habsburgischen Kaiser für Böhmen und Schlesien in dem böhmischen Maje¬
stätsbrief dasselbe Versprechen. So bestand zu Anfang des 17. Jahrhunderts
an zwei Stellen des deutschen Reiches ein Nebeneinander verschiedener Be¬
kenntnisse. Die Habsburger zerschnitten den böhmischen Majestätsbrief und
ließen den schlesischen unbestätigt. Auch der Pfalzgraf von Neuburg brach sein
Wort, seitdem er 1614 öffentlich zur katholischen Kirche übergetreten war. Die
Hohenzollern aber sind den in den clevischen Reversalien eingegangenen Ver¬
pflichtungen getreu nachgekommen und haben in einer Zeit der schwersten An¬
fechtungen nicht von ihnen abgelassen, selbst dann nicht, als der katholische
Pfalzgraf und die Jesuiten sich alle Mühe gaben, „die calvinistische Rotte"
in Jülich und Berg zu vernichten, die Evangelischen vom Bürgerrecht auszu¬
schließen und im Erwerb von Eigenthum zu beschränken.

Die Aufgabe, hier die Autorität des Staates und die Parität der Kon¬
fessionen zu wahren, ging nun an den großen Kurfürsten über. Mit ihm
beginnt die Zeit, welche sich über den Gegensatz der Konfessionen erhebt und
den staatlichen Gedanken vor dem einseitigen Interesse einer einzelnen Konfession
befreit. Er war von Herzen Protestant, aber er stellte das Wohl des Landes
höher, als konfessionelle Rücksichten. Er hat Schweden und Polen, Dänemark
und den Kaiser, Holland und Frankreich, England und Spanien zu seinen
Alliirten gewählt, mit dem Czaren Verträge geschlossen, mit dem Khan der Ta¬
taren Verhandlungen gepflogen. Er hat Mennoniten, Arianer und Socinianer
in seinen Landen gelitten und die Juden wieder aufgenommen. Er hat sich
M den Friedensverhandlungen von Oliva der livländischen Katholiken gegen
das lutherische Schweden angenommen. Das Testament des Kurfürsten von
1664 enthält die Bestimmung, „daß an denen Orten und Enden in Unseren
Landen, woselbst die römisch katholische Religion vermöge iQstrumsnwio. xaeis
und anderer aufgerichteten Accordaten, Erbverträgen und Packen üblich und
im Schwange, dawider nichts neuerliches oder Gewaltsames vorgenommen,
sondern derselben zugethane Geistliche und andere Personen bei ihren Kirchen,
Klöstern, Präbenden, Renten und Einkommen geschützet werden sollen." Aber
er verlangt ebenso, daß die Geistlichen den Staatsgesetzen gehorchen. Denn daß
sich die Geistlichen „in weltliche Händel und Landsachen mischen, geziemt sich
gar nicht".

Im Jahre 1647 schloß der Kurfürst mit dem Pfalzgrafen Wolfgang
Wilhelm von Neuburg einen Vertrag, nach welchem in den jülich-bergi¬
schen Landen für das kirchliche Eigenthum das Jahr 1609, für die Religions¬
übung das Jahr 1612 als normal erklärt wurde. Da indessen das zu
Osnabrück beschlossene instrunuMwui xmois von Reichswegen das den Katho-


Grenzboten I- 1379. 44
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[0349] lichen Gebrauch und Uebung zu kontinuiren". Einige Monate später gaben die Habsburgischen Kaiser für Böhmen und Schlesien in dem böhmischen Maje¬ stätsbrief dasselbe Versprechen. So bestand zu Anfang des 17. Jahrhunderts an zwei Stellen des deutschen Reiches ein Nebeneinander verschiedener Be¬ kenntnisse. Die Habsburger zerschnitten den böhmischen Majestätsbrief und ließen den schlesischen unbestätigt. Auch der Pfalzgraf von Neuburg brach sein Wort, seitdem er 1614 öffentlich zur katholischen Kirche übergetreten war. Die Hohenzollern aber sind den in den clevischen Reversalien eingegangenen Ver¬ pflichtungen getreu nachgekommen und haben in einer Zeit der schwersten An¬ fechtungen nicht von ihnen abgelassen, selbst dann nicht, als der katholische Pfalzgraf und die Jesuiten sich alle Mühe gaben, „die calvinistische Rotte" in Jülich und Berg zu vernichten, die Evangelischen vom Bürgerrecht auszu¬ schließen und im Erwerb von Eigenthum zu beschränken. Die Aufgabe, hier die Autorität des Staates und die Parität der Kon¬ fessionen zu wahren, ging nun an den großen Kurfürsten über. Mit ihm beginnt die Zeit, welche sich über den Gegensatz der Konfessionen erhebt und den staatlichen Gedanken vor dem einseitigen Interesse einer einzelnen Konfession befreit. Er war von Herzen Protestant, aber er stellte das Wohl des Landes höher, als konfessionelle Rücksichten. Er hat Schweden und Polen, Dänemark und den Kaiser, Holland und Frankreich, England und Spanien zu seinen Alliirten gewählt, mit dem Czaren Verträge geschlossen, mit dem Khan der Ta¬ taren Verhandlungen gepflogen. Er hat Mennoniten, Arianer und Socinianer in seinen Landen gelitten und die Juden wieder aufgenommen. Er hat sich M den Friedensverhandlungen von Oliva der livländischen Katholiken gegen das lutherische Schweden angenommen. Das Testament des Kurfürsten von 1664 enthält die Bestimmung, „daß an denen Orten und Enden in Unseren Landen, woselbst die römisch katholische Religion vermöge iQstrumsnwio. xaeis und anderer aufgerichteten Accordaten, Erbverträgen und Packen üblich und im Schwange, dawider nichts neuerliches oder Gewaltsames vorgenommen, sondern derselben zugethane Geistliche und andere Personen bei ihren Kirchen, Klöstern, Präbenden, Renten und Einkommen geschützet werden sollen." Aber er verlangt ebenso, daß die Geistlichen den Staatsgesetzen gehorchen. Denn daß sich die Geistlichen „in weltliche Händel und Landsachen mischen, geziemt sich gar nicht". Im Jahre 1647 schloß der Kurfürst mit dem Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Neuburg einen Vertrag, nach welchem in den jülich-bergi¬ schen Landen für das kirchliche Eigenthum das Jahr 1609, für die Religions¬ übung das Jahr 1612 als normal erklärt wurde. Da indessen das zu Osnabrück beschlossene instrunuMwui xmois von Reichswegen das den Katho- Grenzboten I- 1379. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/349>, abgerufen am 23.07.2024.