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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Noch im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts wurde der Küstenstrich,
der jetzt Natal heißt, von einem gutherzigen, friedlichen, gastfreien und heiteren
Negervolke, das große Heerden besaß, bewohnt, bis im Jahre 1816 der furcht¬
bare Zuluköuig Chala -- der Dschengis-Khan und Attila Südafrika's -- von
Norden her in das glückliche und wie ein Garten angebaute Land einfiel, es
innerhalb von vier Jahren sich unterwarf und die Bewohner theils nieder¬
machen ließ, theils zur Flucht zwang, sodaß einzelne von ihnen, in unwirth¬
liche Gegenden versprengt und von Hunger gequält, zu Kannibalen wurden.
Zwei englische Offiziere, King und Farewell, die 1823 in dieses öde Land
kamen, erhielten zwar von dem Wütherich Chala die Erlaubniß zur Nieder¬
lassung, sahen sich aber schon neun Jahre später durch den Einfall eines
anderen Negerkönigs, der Chala an Grausamkeit nicht nachstand, zur Flucht
gezwungen. Einige Zeit darauf -- es war im Jahre 1838 -- kamen die
trefflichen Boers und gründeten die Republik Natal, die, schnell aufblühend
und zu den schönsten Hoffnungen berechtigend, ihnen 1842 von den Engländern
in der von ihnen mit großer Konsequenz ausgebildeten widerrechtlichen Weise,
mit der sie sich sperlingsartig in das von andern gebaute Nest setzen, abge¬
nommen wurde, sodaß jene sich über die Drachenberge in das heutige Trans¬
vaal zurückzogen, das dann 1877 bekanntlich dem gleichen Schicksal verfiel.

Während es den Boers durch feste Durchführung gewisser gesetzlicher Be¬
stimmungen -- z. B. daß, wer nicht arbeiten wolle, damit das Heimatsrecht
in ihren Kolonieen verwirke -- gelungen war, die arbeitsscheuen, diebischen
Zulu über den Tugela zu treiben, begann zugleich mit der englischen Herr-
!abäst die Rückwanderung nicht nur der einst von Chala versprengten Natal-
Ueger, sondern auch die Rückkehr der nördlich vom Tugela wohnenden Zulu
in so großen Mafien, daß die im Jahre 1842 nur l0 000 betragende Zahl
der Eingeborenen im Jahre 1875 auf 35 000 angeschwollen war. Diese sind
^n Weißen gegenüber durch die englische Regierung in eine außerordentlich
günstige Lage gesetzt: Sie dürfen öffentliche Staatsländereien als Squatters
und ohne Grundrente zu zahlen in Besitz nehmen und können, da die englische
Regierung keine Klassengesetze wünscht -- sie könnte sich in dieser Beziehung
^n Beispiel an der deutschen nehmen! -- durchaus leben wie sie wollen, d.h.
obwohl sie nun englische Unterthanen sind, behalten sie die Polygamie bei und
hören auch nicht auf, ihren Stammeshäuptlingen in unverbrüchlicher Ergeben¬
heit Unterthan zu sein und so einen Staat im Staate zu bilden. Die Gefahr,
^e gerade in letzterem Umstände liegt, liegt auf der Hand. Wenn wirklich
eine ernste Verwickelung und ein allgemeiner Krieg zwischen Weißen und Ein¬
geborenen entsteht -- eine Furcht, die gerade jetzt bei der notorischen Wildheit
und Blutgier der Zulu doppelt begründet ist -- so werden die Eingeborenen,


Grenzboten I, 1879. 43

Noch im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts wurde der Küstenstrich,
der jetzt Natal heißt, von einem gutherzigen, friedlichen, gastfreien und heiteren
Negervolke, das große Heerden besaß, bewohnt, bis im Jahre 1816 der furcht¬
bare Zuluköuig Chala — der Dschengis-Khan und Attila Südafrika's — von
Norden her in das glückliche und wie ein Garten angebaute Land einfiel, es
innerhalb von vier Jahren sich unterwarf und die Bewohner theils nieder¬
machen ließ, theils zur Flucht zwang, sodaß einzelne von ihnen, in unwirth¬
liche Gegenden versprengt und von Hunger gequält, zu Kannibalen wurden.
Zwei englische Offiziere, King und Farewell, die 1823 in dieses öde Land
kamen, erhielten zwar von dem Wütherich Chala die Erlaubniß zur Nieder¬
lassung, sahen sich aber schon neun Jahre später durch den Einfall eines
anderen Negerkönigs, der Chala an Grausamkeit nicht nachstand, zur Flucht
gezwungen. Einige Zeit darauf — es war im Jahre 1838 — kamen die
trefflichen Boers und gründeten die Republik Natal, die, schnell aufblühend
und zu den schönsten Hoffnungen berechtigend, ihnen 1842 von den Engländern
in der von ihnen mit großer Konsequenz ausgebildeten widerrechtlichen Weise,
mit der sie sich sperlingsartig in das von andern gebaute Nest setzen, abge¬
nommen wurde, sodaß jene sich über die Drachenberge in das heutige Trans¬
vaal zurückzogen, das dann 1877 bekanntlich dem gleichen Schicksal verfiel.

Während es den Boers durch feste Durchführung gewisser gesetzlicher Be¬
stimmungen — z. B. daß, wer nicht arbeiten wolle, damit das Heimatsrecht
in ihren Kolonieen verwirke — gelungen war, die arbeitsscheuen, diebischen
Zulu über den Tugela zu treiben, begann zugleich mit der englischen Herr-
!abäst die Rückwanderung nicht nur der einst von Chala versprengten Natal-
Ueger, sondern auch die Rückkehr der nördlich vom Tugela wohnenden Zulu
in so großen Mafien, daß die im Jahre 1842 nur l0 000 betragende Zahl
der Eingeborenen im Jahre 1875 auf 35 000 angeschwollen war. Diese sind
^n Weißen gegenüber durch die englische Regierung in eine außerordentlich
günstige Lage gesetzt: Sie dürfen öffentliche Staatsländereien als Squatters
und ohne Grundrente zu zahlen in Besitz nehmen und können, da die englische
Regierung keine Klassengesetze wünscht — sie könnte sich in dieser Beziehung
^n Beispiel an der deutschen nehmen! — durchaus leben wie sie wollen, d.h.
obwohl sie nun englische Unterthanen sind, behalten sie die Polygamie bei und
hören auch nicht auf, ihren Stammeshäuptlingen in unverbrüchlicher Ergeben¬
heit Unterthan zu sein und so einen Staat im Staate zu bilden. Die Gefahr,
^e gerade in letzterem Umstände liegt, liegt auf der Hand. Wenn wirklich
eine ernste Verwickelung und ein allgemeiner Krieg zwischen Weißen und Ein¬
geborenen entsteht — eine Furcht, die gerade jetzt bei der notorischen Wildheit
und Blutgier der Zulu doppelt begründet ist — so werden die Eingeborenen,


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[0341] Noch im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts wurde der Küstenstrich, der jetzt Natal heißt, von einem gutherzigen, friedlichen, gastfreien und heiteren Negervolke, das große Heerden besaß, bewohnt, bis im Jahre 1816 der furcht¬ bare Zuluköuig Chala — der Dschengis-Khan und Attila Südafrika's — von Norden her in das glückliche und wie ein Garten angebaute Land einfiel, es innerhalb von vier Jahren sich unterwarf und die Bewohner theils nieder¬ machen ließ, theils zur Flucht zwang, sodaß einzelne von ihnen, in unwirth¬ liche Gegenden versprengt und von Hunger gequält, zu Kannibalen wurden. Zwei englische Offiziere, King und Farewell, die 1823 in dieses öde Land kamen, erhielten zwar von dem Wütherich Chala die Erlaubniß zur Nieder¬ lassung, sahen sich aber schon neun Jahre später durch den Einfall eines anderen Negerkönigs, der Chala an Grausamkeit nicht nachstand, zur Flucht gezwungen. Einige Zeit darauf — es war im Jahre 1838 — kamen die trefflichen Boers und gründeten die Republik Natal, die, schnell aufblühend und zu den schönsten Hoffnungen berechtigend, ihnen 1842 von den Engländern in der von ihnen mit großer Konsequenz ausgebildeten widerrechtlichen Weise, mit der sie sich sperlingsartig in das von andern gebaute Nest setzen, abge¬ nommen wurde, sodaß jene sich über die Drachenberge in das heutige Trans¬ vaal zurückzogen, das dann 1877 bekanntlich dem gleichen Schicksal verfiel. Während es den Boers durch feste Durchführung gewisser gesetzlicher Be¬ stimmungen — z. B. daß, wer nicht arbeiten wolle, damit das Heimatsrecht in ihren Kolonieen verwirke — gelungen war, die arbeitsscheuen, diebischen Zulu über den Tugela zu treiben, begann zugleich mit der englischen Herr- !abäst die Rückwanderung nicht nur der einst von Chala versprengten Natal- Ueger, sondern auch die Rückkehr der nördlich vom Tugela wohnenden Zulu in so großen Mafien, daß die im Jahre 1842 nur l0 000 betragende Zahl der Eingeborenen im Jahre 1875 auf 35 000 angeschwollen war. Diese sind ^n Weißen gegenüber durch die englische Regierung in eine außerordentlich günstige Lage gesetzt: Sie dürfen öffentliche Staatsländereien als Squatters und ohne Grundrente zu zahlen in Besitz nehmen und können, da die englische Regierung keine Klassengesetze wünscht — sie könnte sich in dieser Beziehung ^n Beispiel an der deutschen nehmen! — durchaus leben wie sie wollen, d.h. obwohl sie nun englische Unterthanen sind, behalten sie die Polygamie bei und hören auch nicht auf, ihren Stammeshäuptlingen in unverbrüchlicher Ergeben¬ heit Unterthan zu sein und so einen Staat im Staate zu bilden. Die Gefahr, ^e gerade in letzterem Umstände liegt, liegt auf der Hand. Wenn wirklich eine ernste Verwickelung und ein allgemeiner Krieg zwischen Weißen und Ein¬ geborenen entsteht — eine Furcht, die gerade jetzt bei der notorischen Wildheit und Blutgier der Zulu doppelt begründet ist — so werden die Eingeborenen, Grenzboten I, 1879. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/341>, abgerufen am 26.08.2024.