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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Regierung an der Spitze der auswärtigen Angelegenheiten gestanden hatte.
Seine Wahl sollte das Ausland überzeugen, daß das neue Frankreich ebenso
friedfertig denke und handeln werde wie das alte; denn er hatte sich seit seinem
Amtsantritt durch eine loyale und maßvolle Politik in hohem Grade die An¬
erkennung aller Betheiligten erworben. Von seinen Kollegen gehören zwei der
republikanischen Linken an, und einer, Lepere, ist ein intimer Freund Gam-
betta's. Der Charakter des Kabinets Waddington erscheint somit um eine
Schattirung fortschrittlicher gefärbt als der des Kabinets Dufaure. Zu be¬
merken ist ferner, daß das neue französische Ministerium in seinem Schooße
nicht weniger als fünf Protestanten zählt, nämlich außer dem Premier die
Herren de Freycinet, Löon Say, Le Royer und Jauregiberry, der an Stelle
des Admirals Pothuan Marineminister geworden ist.

Die Botschaft, in welcher der Präsident Grevy fein politisches System ent¬
wickelte, gefiel den Radikalen nicht. So hätte sich auch ein Präsident Dufaure
vernehmen lassen können. Sie war aber gerade das, was die maßvollen Repu¬
blikaner wünschen konnten. Sie sprach einfach und bestimmt ans, daß es keine
persönliche Regierung mehr geben, und daß die parlamentarische fortan eine
Wahrheit werden solle. Der Präsident werde sich, so wurde erklärt, als Haupt
der vollziehenden Gewalt dem verfassungsmäßig zum Ausdruck gebrachten
Willen der Nation niemals entgegenstellen, was natürlich nicht ausschließt, daß
er, wenn zwischen Senat und Deputirtenkammer in einer großen Frage ein
unlösbarer Konflikt entstünde, an die Wähler des Landes appelliren würde.
Hinsichtlich der Amnestie versprach der Präsident, die Regierung werde stets
von den wahren Interessen des Landes, von dessen bestimmtem Willen und
vom Geiste des Fortschritts und der Versöhnung durchdrungen sein, dabei aber
für Aufrechthaltung von Ruhe und Sicherheit sorgen. Die Frage des Kom¬
mandowechsels und der Purifikation der Bureaukratie wurde mit den Worten
berührt, die Regierung werde alle Sorge für die Armee tragen, aber gleich¬
zeitig "erworbene Rechte und geleistete Dienste berücksichtigen", dabei jedoch
Feinde oder Verräther der Republik nicht im Amte dulden. Im Allgemeinen
werde die innere Politik der Regierung liberal und zugleich konservativ sein.

Seitdem haben sich die Dinge im Großen und Ganzen in erfreulicher
Weise entwickelt. Die Harmonie zwischen der Regierung und den Kammern
ist, Dank der Haltung der ersteren, welche in den beiden zunächst auf die
Tagesordnung gebrachten Fragen den Wünschen auch der vorgeschrittneren
Republikaner nachgab, ungestört geblieben. Die große Mehrzahl der verbannten
Kommunisten wird in die Heimat zurückkehren und in ihre vollen Bürger¬
rechte wieder eingesetzt werden. Die Neubesetzung einer Anzahl von höheren
Beamten- und Offiziersstellen hat stattgefunden. Größere Schwierigkeiten bereitet


Regierung an der Spitze der auswärtigen Angelegenheiten gestanden hatte.
Seine Wahl sollte das Ausland überzeugen, daß das neue Frankreich ebenso
friedfertig denke und handeln werde wie das alte; denn er hatte sich seit seinem
Amtsantritt durch eine loyale und maßvolle Politik in hohem Grade die An¬
erkennung aller Betheiligten erworben. Von seinen Kollegen gehören zwei der
republikanischen Linken an, und einer, Lepere, ist ein intimer Freund Gam-
betta's. Der Charakter des Kabinets Waddington erscheint somit um eine
Schattirung fortschrittlicher gefärbt als der des Kabinets Dufaure. Zu be¬
merken ist ferner, daß das neue französische Ministerium in seinem Schooße
nicht weniger als fünf Protestanten zählt, nämlich außer dem Premier die
Herren de Freycinet, Löon Say, Le Royer und Jauregiberry, der an Stelle
des Admirals Pothuan Marineminister geworden ist.

Die Botschaft, in welcher der Präsident Grevy fein politisches System ent¬
wickelte, gefiel den Radikalen nicht. So hätte sich auch ein Präsident Dufaure
vernehmen lassen können. Sie war aber gerade das, was die maßvollen Repu¬
blikaner wünschen konnten. Sie sprach einfach und bestimmt ans, daß es keine
persönliche Regierung mehr geben, und daß die parlamentarische fortan eine
Wahrheit werden solle. Der Präsident werde sich, so wurde erklärt, als Haupt
der vollziehenden Gewalt dem verfassungsmäßig zum Ausdruck gebrachten
Willen der Nation niemals entgegenstellen, was natürlich nicht ausschließt, daß
er, wenn zwischen Senat und Deputirtenkammer in einer großen Frage ein
unlösbarer Konflikt entstünde, an die Wähler des Landes appelliren würde.
Hinsichtlich der Amnestie versprach der Präsident, die Regierung werde stets
von den wahren Interessen des Landes, von dessen bestimmtem Willen und
vom Geiste des Fortschritts und der Versöhnung durchdrungen sein, dabei aber
für Aufrechthaltung von Ruhe und Sicherheit sorgen. Die Frage des Kom¬
mandowechsels und der Purifikation der Bureaukratie wurde mit den Worten
berührt, die Regierung werde alle Sorge für die Armee tragen, aber gleich¬
zeitig „erworbene Rechte und geleistete Dienste berücksichtigen", dabei jedoch
Feinde oder Verräther der Republik nicht im Amte dulden. Im Allgemeinen
werde die innere Politik der Regierung liberal und zugleich konservativ sein.

Seitdem haben sich die Dinge im Großen und Ganzen in erfreulicher
Weise entwickelt. Die Harmonie zwischen der Regierung und den Kammern
ist, Dank der Haltung der ersteren, welche in den beiden zunächst auf die
Tagesordnung gebrachten Fragen den Wünschen auch der vorgeschrittneren
Republikaner nachgab, ungestört geblieben. Die große Mehrzahl der verbannten
Kommunisten wird in die Heimat zurückkehren und in ihre vollen Bürger¬
rechte wieder eingesetzt werden. Die Neubesetzung einer Anzahl von höheren
Beamten- und Offiziersstellen hat stattgefunden. Größere Schwierigkeiten bereitet


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[0336] Regierung an der Spitze der auswärtigen Angelegenheiten gestanden hatte. Seine Wahl sollte das Ausland überzeugen, daß das neue Frankreich ebenso friedfertig denke und handeln werde wie das alte; denn er hatte sich seit seinem Amtsantritt durch eine loyale und maßvolle Politik in hohem Grade die An¬ erkennung aller Betheiligten erworben. Von seinen Kollegen gehören zwei der republikanischen Linken an, und einer, Lepere, ist ein intimer Freund Gam- betta's. Der Charakter des Kabinets Waddington erscheint somit um eine Schattirung fortschrittlicher gefärbt als der des Kabinets Dufaure. Zu be¬ merken ist ferner, daß das neue französische Ministerium in seinem Schooße nicht weniger als fünf Protestanten zählt, nämlich außer dem Premier die Herren de Freycinet, Löon Say, Le Royer und Jauregiberry, der an Stelle des Admirals Pothuan Marineminister geworden ist. Die Botschaft, in welcher der Präsident Grevy fein politisches System ent¬ wickelte, gefiel den Radikalen nicht. So hätte sich auch ein Präsident Dufaure vernehmen lassen können. Sie war aber gerade das, was die maßvollen Repu¬ blikaner wünschen konnten. Sie sprach einfach und bestimmt ans, daß es keine persönliche Regierung mehr geben, und daß die parlamentarische fortan eine Wahrheit werden solle. Der Präsident werde sich, so wurde erklärt, als Haupt der vollziehenden Gewalt dem verfassungsmäßig zum Ausdruck gebrachten Willen der Nation niemals entgegenstellen, was natürlich nicht ausschließt, daß er, wenn zwischen Senat und Deputirtenkammer in einer großen Frage ein unlösbarer Konflikt entstünde, an die Wähler des Landes appelliren würde. Hinsichtlich der Amnestie versprach der Präsident, die Regierung werde stets von den wahren Interessen des Landes, von dessen bestimmtem Willen und vom Geiste des Fortschritts und der Versöhnung durchdrungen sein, dabei aber für Aufrechthaltung von Ruhe und Sicherheit sorgen. Die Frage des Kom¬ mandowechsels und der Purifikation der Bureaukratie wurde mit den Worten berührt, die Regierung werde alle Sorge für die Armee tragen, aber gleich¬ zeitig „erworbene Rechte und geleistete Dienste berücksichtigen", dabei jedoch Feinde oder Verräther der Republik nicht im Amte dulden. Im Allgemeinen werde die innere Politik der Regierung liberal und zugleich konservativ sein. Seitdem haben sich die Dinge im Großen und Ganzen in erfreulicher Weise entwickelt. Die Harmonie zwischen der Regierung und den Kammern ist, Dank der Haltung der ersteren, welche in den beiden zunächst auf die Tagesordnung gebrachten Fragen den Wünschen auch der vorgeschrittneren Republikaner nachgab, ungestört geblieben. Die große Mehrzahl der verbannten Kommunisten wird in die Heimat zurückkehren und in ihre vollen Bürger¬ rechte wieder eingesetzt werden. Die Neubesetzung einer Anzahl von höheren Beamten- und Offiziersstellen hat stattgefunden. Größere Schwierigkeiten bereitet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/336>, abgerufen am 23.07.2024.