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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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zu wahren wissen wird. Das Land wird aller monarchistischen und jesuitischen
Umtriebe ungeachtet zu ihm Vertrauen fassen.

Einiger Besorgniß indeß konnte man sich trotz dem normalen Ver¬
laufe der Krisis nicht erwehren. Der beste Prüfstein für den neuen Regie¬
rungsmodus lag in dem System, welches man in der weiteren Purifika-
tion der Bureaukratie und der militärischen Befehlshaberstellen zu befolgen
sich anschickte. Was die Säuberung der letzteren betrifft, so haben die Repu¬
blikaner in den letzten Wochen ansehnliche Erfolge erzielt. Als erstes Opfer
fiel der Kriegsminister Borel, und ihm folgten eine Anzahl von Armeekorps-
Kommandanten, die gleich ihm der republikanischen Gesinnungstüchtigkeit er¬
mangelten. Aber es gibt noch sehr viele höhere Offiziere, die nicht nach dem
Herzen der Republikaner sind. Es soll gründlich aufgeräumt werden, und das
würde einerseits an eine Desorganisation der Armee streifen und andererseits
die letztere, die bisher ohnehin vorwiegend auf konservativer Seite stand und
vor Allem bonapartistische und klerikale Elemente in ihren Reihen zählte, be¬
denklich verstimmen, sodaß eine durchgreifende Entfernung der Gegner der
Republik aus dem französischen Offiziersstande zunächst als eine thatsächliche
Unmöglichkeit erscheint, während sie doch zur vollen Sicherung des Bestandes
der republikanischen Herrschaft unumgänglich sein wird. Leicht könnte sich hier
die Grenze der Macht Gambetta's zeigen und ihm die alte Erfahrung zu Ge¬
müthe geführt werden, daß es auch bei der kräftigsten Entwickelung des par¬
lamentarischen Systems, wie sie Frankreich gegenwärtig vertritt, im öffentlichen
Leben Potenzen gibt, die sich völlig außerhalb der parlamentarischen Kreise
bewegen und dennoch unter Umständen maßgebend sind.

Auf die Regierungskrisis in Frankreich folgte schnell eine Ministerkrisis.
Der alte Dufaure entschloß sich, obwohl er seiner politischen Ueberzeugung
nach nur wenig weiter rechts stand als der neue Präsident, und obwohl keine
Vorstellungen gespart wurden, ihn zum Verbleiben auf seinem Posten zu be¬
wegen, zum Rücktritt. Der Hauptgrund, der ihn dazu bestimmte, wird die
Ansicht gewesen sein, er eigne sich nicht für die neue Lage der Dinge und
werde deshalb bald in Konflikt mit den Kammern gerathen und dann doch
seinen Platz räumen müssen. Jetzt war er noch ein populärer Mann, welcher
dem Schiffe der Republik über die Klippen hinweggeholfen, die ihm in den.
reaktionären Neigungen des ExPräsidenten und der früheren Senatsmehrheit
drohten, und so war es klüger, jetzt freiwillig und von der zur Herrschaft ge¬
langten Partei verehrt zu gehen, als später gezwungen und als Hemmniß ihrer
Bestrebungen gehaßt.

An die Spitze des neuen Kabinets trat Waddington, der dem linken
Zentrum, also den gemäßigten Republikanern, angehörte und in der bisherigen,


zu wahren wissen wird. Das Land wird aller monarchistischen und jesuitischen
Umtriebe ungeachtet zu ihm Vertrauen fassen.

Einiger Besorgniß indeß konnte man sich trotz dem normalen Ver¬
laufe der Krisis nicht erwehren. Der beste Prüfstein für den neuen Regie¬
rungsmodus lag in dem System, welches man in der weiteren Purifika-
tion der Bureaukratie und der militärischen Befehlshaberstellen zu befolgen
sich anschickte. Was die Säuberung der letzteren betrifft, so haben die Repu¬
blikaner in den letzten Wochen ansehnliche Erfolge erzielt. Als erstes Opfer
fiel der Kriegsminister Borel, und ihm folgten eine Anzahl von Armeekorps-
Kommandanten, die gleich ihm der republikanischen Gesinnungstüchtigkeit er¬
mangelten. Aber es gibt noch sehr viele höhere Offiziere, die nicht nach dem
Herzen der Republikaner sind. Es soll gründlich aufgeräumt werden, und das
würde einerseits an eine Desorganisation der Armee streifen und andererseits
die letztere, die bisher ohnehin vorwiegend auf konservativer Seite stand und
vor Allem bonapartistische und klerikale Elemente in ihren Reihen zählte, be¬
denklich verstimmen, sodaß eine durchgreifende Entfernung der Gegner der
Republik aus dem französischen Offiziersstande zunächst als eine thatsächliche
Unmöglichkeit erscheint, während sie doch zur vollen Sicherung des Bestandes
der republikanischen Herrschaft unumgänglich sein wird. Leicht könnte sich hier
die Grenze der Macht Gambetta's zeigen und ihm die alte Erfahrung zu Ge¬
müthe geführt werden, daß es auch bei der kräftigsten Entwickelung des par¬
lamentarischen Systems, wie sie Frankreich gegenwärtig vertritt, im öffentlichen
Leben Potenzen gibt, die sich völlig außerhalb der parlamentarischen Kreise
bewegen und dennoch unter Umständen maßgebend sind.

Auf die Regierungskrisis in Frankreich folgte schnell eine Ministerkrisis.
Der alte Dufaure entschloß sich, obwohl er seiner politischen Ueberzeugung
nach nur wenig weiter rechts stand als der neue Präsident, und obwohl keine
Vorstellungen gespart wurden, ihn zum Verbleiben auf seinem Posten zu be¬
wegen, zum Rücktritt. Der Hauptgrund, der ihn dazu bestimmte, wird die
Ansicht gewesen sein, er eigne sich nicht für die neue Lage der Dinge und
werde deshalb bald in Konflikt mit den Kammern gerathen und dann doch
seinen Platz räumen müssen. Jetzt war er noch ein populärer Mann, welcher
dem Schiffe der Republik über die Klippen hinweggeholfen, die ihm in den.
reaktionären Neigungen des ExPräsidenten und der früheren Senatsmehrheit
drohten, und so war es klüger, jetzt freiwillig und von der zur Herrschaft ge¬
langten Partei verehrt zu gehen, als später gezwungen und als Hemmniß ihrer
Bestrebungen gehaßt.

An die Spitze des neuen Kabinets trat Waddington, der dem linken
Zentrum, also den gemäßigten Republikanern, angehörte und in der bisherigen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/335>, abgerufen am 23.07.2024.