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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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auf ausreichende sprachliche und historische Kenntnisse gestützt, unbefangen und
vorsichtig daran geht, ihn klarzustellen. Diese Eigenschaften treten bei dem
Versasser im ganzen Verlauf seiner Untersuchung zu Tage, und wenn er zu¬
weilen auf ein bestimmtes Ergebniß seiner Forschung verzichtet, so wird ihn
der Historiker deshalb nicht tadeln; die Richtung und Vergleichung des über¬
lieferten Materials führte eben nicht zu einem sicheren Resultate, und mit
Hypothesen war dem nicht abzuhelfen. Indeß behalten wir schließlich genug
in der Hand, um die Erörterungen der beiden Abhandlungen, in welche die
Schrift zerfällt, dankbar annehmen zu können. Die erste betrachtet den Begriff
der Heiligkeit im Alten Testament nach seinen verschiedenen Definitionen, nach
der Etymologie (wo er auf Abgesondertsein, Erhabenheit hinausläuft), nach
dem Sprachgebrauch der alttestamentlichen Schriftsteller bei der Bezeichnung
von Sachen, Menschen und himmlischen Wesen und nach seiner geschichtlichen
Entwickelung. Die zweite Abhandlung beschäftigt sich mit den heiligen Bäumen,
Gewässern und Höhen bei den Semiten, vorzüglich bei den Hebräern. Beide
Untersuchungen dienen einem gemeinsamen Grundgedanken, dem der Verfasser
in folgenden Sätzen Worte leiht: "In dein alttestamentlichen Begriffe der
Heiligkeit sehe ich eine Fortbildung und Vertiefung der allgemein semitischen
Vorstellung von der himmlischen, das Irdische vernichtenden Erhabenheit der
Gottheit. In der kultischen Bedeutsamkeit irdischer Gegenstünde (Gewässer und
Bäume) bei den Semiten kann ich nach den dabei angewandten Gottesnamen
und nach der Art einiger in dieser Verbindung vorkommenden Kultushand¬
lungen und Kultusbilder nur eine Bestätigung der himmlischen Natur der
semitischen Gottheiten erkennen, worauf der Bergdienst direkt verweist -- ein
Zeugniß dafür, daß das Irdische hier überall nnr als Gabe der im Himmel
wohnenden Gottheit, uicht an und für sich als ein Göttliches angesehen wurde."
Die semitischen Religionen sind mit anderen Worten nach den besonderen Formen,
in die sich die Verehrung gewisser irdischer Gegenstände bei ihnen kleidet, und
nach den dabei angewendeten Gottesnamen ausschließlich Himmels- oder Ge¬
stirndienst. "Das.irdische Leben gilt lediglich als von den Göttern gespendet,
nicht als in das göttliche Leben verflochten, wie im Bereich anderer Religionen.
Niemals scheinen semitische Völker wie die Arier das irdische Feuer als gleicher
Natur mit dem himmlischen (der Sonne, dem Blitz u. tgi.) verehrt zu haben.
Andererseits gibt es bei ihnen in der himmlischen Welt keinen Kampf zwischen
lichten und finsterm Dämonen, sondern höchstens ein Nebeneinander wohlthätiger
und schädlicher Mächte. Die Gottheit ist himmlisch und alles Himmlische gött¬
lich, bedingend alles Irdische, das Lichte wie das Finstere, das Böse wie das
Gute, andererseits das Irdische vernichtend, wo es sich der Gottheit unberufen
naht -- allgemein semitische Gedanken, an welche anknüpfend das Alte Testa¬
ment seine besondere Anschauung von der Erhabenheit oder Heiligkeit der
Gottheit ausgebildet hat."






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig-
Verlag von F. L. Hering in Leipzig. -- Druck von Hüthel 6 Herrmann in Leipzig.

auf ausreichende sprachliche und historische Kenntnisse gestützt, unbefangen und
vorsichtig daran geht, ihn klarzustellen. Diese Eigenschaften treten bei dem
Versasser im ganzen Verlauf seiner Untersuchung zu Tage, und wenn er zu¬
weilen auf ein bestimmtes Ergebniß seiner Forschung verzichtet, so wird ihn
der Historiker deshalb nicht tadeln; die Richtung und Vergleichung des über¬
lieferten Materials führte eben nicht zu einem sicheren Resultate, und mit
Hypothesen war dem nicht abzuhelfen. Indeß behalten wir schließlich genug
in der Hand, um die Erörterungen der beiden Abhandlungen, in welche die
Schrift zerfällt, dankbar annehmen zu können. Die erste betrachtet den Begriff
der Heiligkeit im Alten Testament nach seinen verschiedenen Definitionen, nach
der Etymologie (wo er auf Abgesondertsein, Erhabenheit hinausläuft), nach
dem Sprachgebrauch der alttestamentlichen Schriftsteller bei der Bezeichnung
von Sachen, Menschen und himmlischen Wesen und nach seiner geschichtlichen
Entwickelung. Die zweite Abhandlung beschäftigt sich mit den heiligen Bäumen,
Gewässern und Höhen bei den Semiten, vorzüglich bei den Hebräern. Beide
Untersuchungen dienen einem gemeinsamen Grundgedanken, dem der Verfasser
in folgenden Sätzen Worte leiht: „In dein alttestamentlichen Begriffe der
Heiligkeit sehe ich eine Fortbildung und Vertiefung der allgemein semitischen
Vorstellung von der himmlischen, das Irdische vernichtenden Erhabenheit der
Gottheit. In der kultischen Bedeutsamkeit irdischer Gegenstünde (Gewässer und
Bäume) bei den Semiten kann ich nach den dabei angewandten Gottesnamen
und nach der Art einiger in dieser Verbindung vorkommenden Kultushand¬
lungen und Kultusbilder nur eine Bestätigung der himmlischen Natur der
semitischen Gottheiten erkennen, worauf der Bergdienst direkt verweist — ein
Zeugniß dafür, daß das Irdische hier überall nnr als Gabe der im Himmel
wohnenden Gottheit, uicht an und für sich als ein Göttliches angesehen wurde."
Die semitischen Religionen sind mit anderen Worten nach den besonderen Formen,
in die sich die Verehrung gewisser irdischer Gegenstände bei ihnen kleidet, und
nach den dabei angewendeten Gottesnamen ausschließlich Himmels- oder Ge¬
stirndienst. „Das.irdische Leben gilt lediglich als von den Göttern gespendet,
nicht als in das göttliche Leben verflochten, wie im Bereich anderer Religionen.
Niemals scheinen semitische Völker wie die Arier das irdische Feuer als gleicher
Natur mit dem himmlischen (der Sonne, dem Blitz u. tgi.) verehrt zu haben.
Andererseits gibt es bei ihnen in der himmlischen Welt keinen Kampf zwischen
lichten und finsterm Dämonen, sondern höchstens ein Nebeneinander wohlthätiger
und schädlicher Mächte. Die Gottheit ist himmlisch und alles Himmlische gött¬
lich, bedingend alles Irdische, das Lichte wie das Finstere, das Böse wie das
Gute, andererseits das Irdische vernichtend, wo es sich der Gottheit unberufen
naht — allgemein semitische Gedanken, an welche anknüpfend das Alte Testa¬
ment seine besondere Anschauung von der Erhabenheit oder Heiligkeit der
Gottheit ausgebildet hat."






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig-
Verlag von F. L. Hering in Leipzig. — Druck von Hüthel 6 Herrmann in Leipzig.
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[0332] auf ausreichende sprachliche und historische Kenntnisse gestützt, unbefangen und vorsichtig daran geht, ihn klarzustellen. Diese Eigenschaften treten bei dem Versasser im ganzen Verlauf seiner Untersuchung zu Tage, und wenn er zu¬ weilen auf ein bestimmtes Ergebniß seiner Forschung verzichtet, so wird ihn der Historiker deshalb nicht tadeln; die Richtung und Vergleichung des über¬ lieferten Materials führte eben nicht zu einem sicheren Resultate, und mit Hypothesen war dem nicht abzuhelfen. Indeß behalten wir schließlich genug in der Hand, um die Erörterungen der beiden Abhandlungen, in welche die Schrift zerfällt, dankbar annehmen zu können. Die erste betrachtet den Begriff der Heiligkeit im Alten Testament nach seinen verschiedenen Definitionen, nach der Etymologie (wo er auf Abgesondertsein, Erhabenheit hinausläuft), nach dem Sprachgebrauch der alttestamentlichen Schriftsteller bei der Bezeichnung von Sachen, Menschen und himmlischen Wesen und nach seiner geschichtlichen Entwickelung. Die zweite Abhandlung beschäftigt sich mit den heiligen Bäumen, Gewässern und Höhen bei den Semiten, vorzüglich bei den Hebräern. Beide Untersuchungen dienen einem gemeinsamen Grundgedanken, dem der Verfasser in folgenden Sätzen Worte leiht: „In dein alttestamentlichen Begriffe der Heiligkeit sehe ich eine Fortbildung und Vertiefung der allgemein semitischen Vorstellung von der himmlischen, das Irdische vernichtenden Erhabenheit der Gottheit. In der kultischen Bedeutsamkeit irdischer Gegenstünde (Gewässer und Bäume) bei den Semiten kann ich nach den dabei angewandten Gottesnamen und nach der Art einiger in dieser Verbindung vorkommenden Kultushand¬ lungen und Kultusbilder nur eine Bestätigung der himmlischen Natur der semitischen Gottheiten erkennen, worauf der Bergdienst direkt verweist — ein Zeugniß dafür, daß das Irdische hier überall nnr als Gabe der im Himmel wohnenden Gottheit, uicht an und für sich als ein Göttliches angesehen wurde." Die semitischen Religionen sind mit anderen Worten nach den besonderen Formen, in die sich die Verehrung gewisser irdischer Gegenstände bei ihnen kleidet, und nach den dabei angewendeten Gottesnamen ausschließlich Himmels- oder Ge¬ stirndienst. „Das.irdische Leben gilt lediglich als von den Göttern gespendet, nicht als in das göttliche Leben verflochten, wie im Bereich anderer Religionen. Niemals scheinen semitische Völker wie die Arier das irdische Feuer als gleicher Natur mit dem himmlischen (der Sonne, dem Blitz u. tgi.) verehrt zu haben. Andererseits gibt es bei ihnen in der himmlischen Welt keinen Kampf zwischen lichten und finsterm Dämonen, sondern höchstens ein Nebeneinander wohlthätiger und schädlicher Mächte. Die Gottheit ist himmlisch und alles Himmlische gött¬ lich, bedingend alles Irdische, das Lichte wie das Finstere, das Böse wie das Gute, andererseits das Irdische vernichtend, wo es sich der Gottheit unberufen naht — allgemein semitische Gedanken, an welche anknüpfend das Alte Testa¬ ment seine besondere Anschauung von der Erhabenheit oder Heiligkeit der Gottheit ausgebildet hat." Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig- Verlag von F. L. Hering in Leipzig. — Druck von Hüthel 6 Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/332>, abgerufen am 23.07.2024.