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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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verdanke die Mittheilung desselben Friedrich Kapp, der meines Wissens die
Absicht hat, sämmtliche deutsche und englische Briefe Bollmann's zu veröffent¬
lichen, und seine Materialien mit geringen Ausnahmen von der in Hoya noch
lebenden Familie Bollmann's erhalten hat. Der Brief lautet:

Wien, den 8. Dezember 1814.

Ich mache mir Vorwürfe, lieber Herr Graf, Ihnen nicht schon längst ge¬
schrieben zu haben, um so mehr da Ihre Briefe an hiesige Freunde mir wirk¬
lich sehr nützlich waren, mir mehrere interessante Bekanntschaften veranlaßten,
so daß ich wirklich Ursache habe Ihnen für Ihre Güte recht dankbar zu sein.
Aber ich erwartete von Tag zu Tag, daß sich etwas ereignen sollte, irgend ein
bedeutendes Resultat oder wenigstens Hoffnung dazu, womit ich Sie regaliren
könnte. Diese Erwartung ist noch immer getäuscht worden und ich fange an
zu verzweifeln, daß Sie jemals befriedigt werde. Eine gemeinschaftliche Ge¬
fahr erweckte die Völker und die Fürsten und verband für einen Augenblick
beide. Die Gefahr ist verschwunden, und die kleinen erbärmlichen Leidenschaften
sind wieder die Tagesordnung. Wollen Sie, daß aus diesem Kongreß noch
etwas Gute komme? Es giebt nur ein Mittel. Lassen Sie Napoleon geschwind
von seiner Insel kommen, sich mit Murat vereinigen und gegen die Grenze
Marschiren. Es giebt gewiß kein anderes Mittel.

Meine letzten positiven Nachrichten vom Kongreß gehen bis zum 30. No¬
vember, Abends um 8 Uhr. Bis zu der Stunde war noch in Betreff von
Polen und Sachsen nichts entschieden, ebensowenig in Betreff von Mainz. Es
hatte sogar mit dem König von Sachsen noch gar keine Kommunikation über
seine Angelegenheiten statt gehabt. Alle die Dispositionen bis dahin hatten
vorzüglich Polen betroffen, diese waren vorzüglich zwischen den vier ehemaligen
Alliirten gepflogen worden. Talleyrand hatte außer im Anfang eine Note über
die Art der Formirung des Kongreßes, sonst durchaus nichts Schriftliches ein¬
gegeben und im Ganzen mit den Verhandlungen officiell nur wenig zu thun
gehabt. Was Polen betrifft, so war der Gegenstand erschöpft und es wird
horn Zufall abhängen, ob man, des Perorirens müde, beiderseitig nachgiebt
und schnell und kurz verständigt oder auseinander fliegt und die Sachen gehen
läßt, wie sie wollen. An ein großes gutes, vernünftiges, herzerhebendes Re¬
sultat, an irgend etwas Bedeutendes für die Menschheit oder wenigstens für
Deutschland ist gar nicht mehr zu denken. Der Kaiser von Rußland ist ge¬
waltig eitel. Er möchte den besseren Napoleon spielen. Er will den Polen
eine unabhängige Constitution geben, wenn sie dazu reif sind. Einstweilen
nimmt er den Titel als König von Polen und protegirt sie. Man setzt ihm


Gmizbolen I. 1879. 41

verdanke die Mittheilung desselben Friedrich Kapp, der meines Wissens die
Absicht hat, sämmtliche deutsche und englische Briefe Bollmann's zu veröffent¬
lichen, und seine Materialien mit geringen Ausnahmen von der in Hoya noch
lebenden Familie Bollmann's erhalten hat. Der Brief lautet:

Wien, den 8. Dezember 1814.

Ich mache mir Vorwürfe, lieber Herr Graf, Ihnen nicht schon längst ge¬
schrieben zu haben, um so mehr da Ihre Briefe an hiesige Freunde mir wirk¬
lich sehr nützlich waren, mir mehrere interessante Bekanntschaften veranlaßten,
so daß ich wirklich Ursache habe Ihnen für Ihre Güte recht dankbar zu sein.
Aber ich erwartete von Tag zu Tag, daß sich etwas ereignen sollte, irgend ein
bedeutendes Resultat oder wenigstens Hoffnung dazu, womit ich Sie regaliren
könnte. Diese Erwartung ist noch immer getäuscht worden und ich fange an
zu verzweifeln, daß Sie jemals befriedigt werde. Eine gemeinschaftliche Ge¬
fahr erweckte die Völker und die Fürsten und verband für einen Augenblick
beide. Die Gefahr ist verschwunden, und die kleinen erbärmlichen Leidenschaften
sind wieder die Tagesordnung. Wollen Sie, daß aus diesem Kongreß noch
etwas Gute komme? Es giebt nur ein Mittel. Lassen Sie Napoleon geschwind
von seiner Insel kommen, sich mit Murat vereinigen und gegen die Grenze
Marschiren. Es giebt gewiß kein anderes Mittel.

Meine letzten positiven Nachrichten vom Kongreß gehen bis zum 30. No¬
vember, Abends um 8 Uhr. Bis zu der Stunde war noch in Betreff von
Polen und Sachsen nichts entschieden, ebensowenig in Betreff von Mainz. Es
hatte sogar mit dem König von Sachsen noch gar keine Kommunikation über
seine Angelegenheiten statt gehabt. Alle die Dispositionen bis dahin hatten
vorzüglich Polen betroffen, diese waren vorzüglich zwischen den vier ehemaligen
Alliirten gepflogen worden. Talleyrand hatte außer im Anfang eine Note über
die Art der Formirung des Kongreßes, sonst durchaus nichts Schriftliches ein¬
gegeben und im Ganzen mit den Verhandlungen officiell nur wenig zu thun
gehabt. Was Polen betrifft, so war der Gegenstand erschöpft und es wird
horn Zufall abhängen, ob man, des Perorirens müde, beiderseitig nachgiebt
und schnell und kurz verständigt oder auseinander fliegt und die Sachen gehen
läßt, wie sie wollen. An ein großes gutes, vernünftiges, herzerhebendes Re¬
sultat, an irgend etwas Bedeutendes für die Menschheit oder wenigstens für
Deutschland ist gar nicht mehr zu denken. Der Kaiser von Rußland ist ge¬
waltig eitel. Er möchte den besseren Napoleon spielen. Er will den Polen
eine unabhängige Constitution geben, wenn sie dazu reif sind. Einstweilen
nimmt er den Titel als König von Polen und protegirt sie. Man setzt ihm


Gmizbolen I. 1879. 41
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[0325] verdanke die Mittheilung desselben Friedrich Kapp, der meines Wissens die Absicht hat, sämmtliche deutsche und englische Briefe Bollmann's zu veröffent¬ lichen, und seine Materialien mit geringen Ausnahmen von der in Hoya noch lebenden Familie Bollmann's erhalten hat. Der Brief lautet: Wien, den 8. Dezember 1814. Ich mache mir Vorwürfe, lieber Herr Graf, Ihnen nicht schon längst ge¬ schrieben zu haben, um so mehr da Ihre Briefe an hiesige Freunde mir wirk¬ lich sehr nützlich waren, mir mehrere interessante Bekanntschaften veranlaßten, so daß ich wirklich Ursache habe Ihnen für Ihre Güte recht dankbar zu sein. Aber ich erwartete von Tag zu Tag, daß sich etwas ereignen sollte, irgend ein bedeutendes Resultat oder wenigstens Hoffnung dazu, womit ich Sie regaliren könnte. Diese Erwartung ist noch immer getäuscht worden und ich fange an zu verzweifeln, daß Sie jemals befriedigt werde. Eine gemeinschaftliche Ge¬ fahr erweckte die Völker und die Fürsten und verband für einen Augenblick beide. Die Gefahr ist verschwunden, und die kleinen erbärmlichen Leidenschaften sind wieder die Tagesordnung. Wollen Sie, daß aus diesem Kongreß noch etwas Gute komme? Es giebt nur ein Mittel. Lassen Sie Napoleon geschwind von seiner Insel kommen, sich mit Murat vereinigen und gegen die Grenze Marschiren. Es giebt gewiß kein anderes Mittel. Meine letzten positiven Nachrichten vom Kongreß gehen bis zum 30. No¬ vember, Abends um 8 Uhr. Bis zu der Stunde war noch in Betreff von Polen und Sachsen nichts entschieden, ebensowenig in Betreff von Mainz. Es hatte sogar mit dem König von Sachsen noch gar keine Kommunikation über seine Angelegenheiten statt gehabt. Alle die Dispositionen bis dahin hatten vorzüglich Polen betroffen, diese waren vorzüglich zwischen den vier ehemaligen Alliirten gepflogen worden. Talleyrand hatte außer im Anfang eine Note über die Art der Formirung des Kongreßes, sonst durchaus nichts Schriftliches ein¬ gegeben und im Ganzen mit den Verhandlungen officiell nur wenig zu thun gehabt. Was Polen betrifft, so war der Gegenstand erschöpft und es wird horn Zufall abhängen, ob man, des Perorirens müde, beiderseitig nachgiebt und schnell und kurz verständigt oder auseinander fliegt und die Sachen gehen läßt, wie sie wollen. An ein großes gutes, vernünftiges, herzerhebendes Re¬ sultat, an irgend etwas Bedeutendes für die Menschheit oder wenigstens für Deutschland ist gar nicht mehr zu denken. Der Kaiser von Rußland ist ge¬ waltig eitel. Er möchte den besseren Napoleon spielen. Er will den Polen eine unabhängige Constitution geben, wenn sie dazu reif sind. Einstweilen nimmt er den Titel als König von Polen und protegirt sie. Man setzt ihm Gmizbolen I. 1879. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/325>, abgerufen am 23.07.2024.