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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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reich und dem König von Preußen umfaßt, die von Laharpe und dem Kaiser
von Rußland mit. Sie kennzeichnen seine scharfe Auffassung zur Genüge.
Ueber Laharpe schreibt er: "Laharpe, ein Schweitzer, ehemaliger Gouverneur
des russischen Kaisers, und noch sein vorzüglichster Rathgeber, ist ein milder,
einfacher, philosophischer Mann, was die Außenseite, und die ganze Form
seiner Existenz betrifft, der aber starke Leidenschaften im Busen trägt, und
der als Heiliger sengen und brennen könnte, zur Ausbreitung der Lehre. --
Er kennt die Welt mehr aus den Schriften von Rousseau und ähnlicher Schrift¬
steller, als von praktischem Anschaun, von Selbstbetrachten und Vergleichen.
Daher sind auch seine Ansichten oft ganz gewaltig falsch. Daher steckt er auch
voller Vorurtheile und Grillen. Daher setzt er auch, wie alle ähnliche Charaktere
das rein Vernünftige -- oder vielmehr was er dafür hält, viel zu hoch an,
und würdiget das Hergebrachte, das Gesetzliche, wenn es mit seinen Ideen
streitet, viel zu wenig. Er ist stolz -- in der Demuth; ambitiös -- mit an¬
spruchloser Miene. Er möchte die Welt gern von seinem Pult aus modeln;
seine Vorstellungen sind speciös -- aber hirngespinnstisch; er ist gescheut, aber
ein Jacobiner; von der besseren Gattung, wenn Du willst, aber Jacoviner doch!
An der Humboldtschen Vernunft fehlt's ihm durchaus." Kaiser Alexander
wird folgendermaßen charakterisirt: "Von den gekrönten Häuptern ist Alexander
der besonderste. Er ist ein schöner Mann; er spricht gesucht; er hat gewöhn¬
liche gute Fähigkeiten, keine vorzügliche; er befaßt sich mit allem selbst, ohne
regelmäßig zu arbeiten, ohne selbst viel zu können. Er ist gewaltig eitel --
folglich auch eher kleinlich als groß. In seinen Bewegungen schnell -- nicht
ruhig. In feinem Wesen mehr zur List geneigt, zum Verschlagenen, Heimlichen,
als wie zum Geraden, Einfachen, Offenen. Für's wirklich Edle hat er wohl
wenig Sinn -- schönthun möcht' er immer. Er ist ein Fürst der besseren
Art, vorzüglich auf einem russischen Thron; äußerst artig mit dem gewaltigen
Peter verglichen, aber äußerst klein, auch viel kleiner als seine Großmutter.
Seine Lage ist auch mit seiner Erziehung im Widerspruch. Laharpe hat etwas
Republikanisches in seine Composition gemischt, das zu seinen Verhältnissen
nicht paßt. Er ist daher schwer zu behandeln. Er möchte allerlei und sieht
doch nichts klar. So muß er denn eigensinnig seyn. Sehr artig, und doch
unbändig, auf den Gründe nicht viel vermögen, der Festigkeit sucht, selbst durchs
Beharren auf's voreilig Beschloßen", eben weil er mit dem Denken nicht recht
fertig werden kann, weil es an der Geistesfestigkeit fehlt. -- So macht er
denn seinen Rathgebern gewaltig viel zu schaffen, und lähmt eigentlich den
Fortgang der Verhandlungen." Der nachfolgende interessante, an den Grasen
Schlaberndorf in Paris gerichtete Brief Bollmann's war bisher ungedruckt.
Das Original befindet sich in dem Königlich Preußische" Staatsarchiv. Ich


reich und dem König von Preußen umfaßt, die von Laharpe und dem Kaiser
von Rußland mit. Sie kennzeichnen seine scharfe Auffassung zur Genüge.
Ueber Laharpe schreibt er: „Laharpe, ein Schweitzer, ehemaliger Gouverneur
des russischen Kaisers, und noch sein vorzüglichster Rathgeber, ist ein milder,
einfacher, philosophischer Mann, was die Außenseite, und die ganze Form
seiner Existenz betrifft, der aber starke Leidenschaften im Busen trägt, und
der als Heiliger sengen und brennen könnte, zur Ausbreitung der Lehre. —
Er kennt die Welt mehr aus den Schriften von Rousseau und ähnlicher Schrift¬
steller, als von praktischem Anschaun, von Selbstbetrachten und Vergleichen.
Daher sind auch seine Ansichten oft ganz gewaltig falsch. Daher steckt er auch
voller Vorurtheile und Grillen. Daher setzt er auch, wie alle ähnliche Charaktere
das rein Vernünftige — oder vielmehr was er dafür hält, viel zu hoch an,
und würdiget das Hergebrachte, das Gesetzliche, wenn es mit seinen Ideen
streitet, viel zu wenig. Er ist stolz — in der Demuth; ambitiös — mit an¬
spruchloser Miene. Er möchte die Welt gern von seinem Pult aus modeln;
seine Vorstellungen sind speciös — aber hirngespinnstisch; er ist gescheut, aber
ein Jacobiner; von der besseren Gattung, wenn Du willst, aber Jacoviner doch!
An der Humboldtschen Vernunft fehlt's ihm durchaus." Kaiser Alexander
wird folgendermaßen charakterisirt: „Von den gekrönten Häuptern ist Alexander
der besonderste. Er ist ein schöner Mann; er spricht gesucht; er hat gewöhn¬
liche gute Fähigkeiten, keine vorzügliche; er befaßt sich mit allem selbst, ohne
regelmäßig zu arbeiten, ohne selbst viel zu können. Er ist gewaltig eitel —
folglich auch eher kleinlich als groß. In seinen Bewegungen schnell — nicht
ruhig. In feinem Wesen mehr zur List geneigt, zum Verschlagenen, Heimlichen,
als wie zum Geraden, Einfachen, Offenen. Für's wirklich Edle hat er wohl
wenig Sinn — schönthun möcht' er immer. Er ist ein Fürst der besseren
Art, vorzüglich auf einem russischen Thron; äußerst artig mit dem gewaltigen
Peter verglichen, aber äußerst klein, auch viel kleiner als seine Großmutter.
Seine Lage ist auch mit seiner Erziehung im Widerspruch. Laharpe hat etwas
Republikanisches in seine Composition gemischt, das zu seinen Verhältnissen
nicht paßt. Er ist daher schwer zu behandeln. Er möchte allerlei und sieht
doch nichts klar. So muß er denn eigensinnig seyn. Sehr artig, und doch
unbändig, auf den Gründe nicht viel vermögen, der Festigkeit sucht, selbst durchs
Beharren auf's voreilig Beschloßen«, eben weil er mit dem Denken nicht recht
fertig werden kann, weil es an der Geistesfestigkeit fehlt. — So macht er
denn seinen Rathgebern gewaltig viel zu schaffen, und lähmt eigentlich den
Fortgang der Verhandlungen." Der nachfolgende interessante, an den Grasen
Schlaberndorf in Paris gerichtete Brief Bollmann's war bisher ungedruckt.
Das Original befindet sich in dem Königlich Preußische» Staatsarchiv. Ich


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[0324] reich und dem König von Preußen umfaßt, die von Laharpe und dem Kaiser von Rußland mit. Sie kennzeichnen seine scharfe Auffassung zur Genüge. Ueber Laharpe schreibt er: „Laharpe, ein Schweitzer, ehemaliger Gouverneur des russischen Kaisers, und noch sein vorzüglichster Rathgeber, ist ein milder, einfacher, philosophischer Mann, was die Außenseite, und die ganze Form seiner Existenz betrifft, der aber starke Leidenschaften im Busen trägt, und der als Heiliger sengen und brennen könnte, zur Ausbreitung der Lehre. — Er kennt die Welt mehr aus den Schriften von Rousseau und ähnlicher Schrift¬ steller, als von praktischem Anschaun, von Selbstbetrachten und Vergleichen. Daher sind auch seine Ansichten oft ganz gewaltig falsch. Daher steckt er auch voller Vorurtheile und Grillen. Daher setzt er auch, wie alle ähnliche Charaktere das rein Vernünftige — oder vielmehr was er dafür hält, viel zu hoch an, und würdiget das Hergebrachte, das Gesetzliche, wenn es mit seinen Ideen streitet, viel zu wenig. Er ist stolz — in der Demuth; ambitiös — mit an¬ spruchloser Miene. Er möchte die Welt gern von seinem Pult aus modeln; seine Vorstellungen sind speciös — aber hirngespinnstisch; er ist gescheut, aber ein Jacobiner; von der besseren Gattung, wenn Du willst, aber Jacoviner doch! An der Humboldtschen Vernunft fehlt's ihm durchaus." Kaiser Alexander wird folgendermaßen charakterisirt: „Von den gekrönten Häuptern ist Alexander der besonderste. Er ist ein schöner Mann; er spricht gesucht; er hat gewöhn¬ liche gute Fähigkeiten, keine vorzügliche; er befaßt sich mit allem selbst, ohne regelmäßig zu arbeiten, ohne selbst viel zu können. Er ist gewaltig eitel — folglich auch eher kleinlich als groß. In seinen Bewegungen schnell — nicht ruhig. In feinem Wesen mehr zur List geneigt, zum Verschlagenen, Heimlichen, als wie zum Geraden, Einfachen, Offenen. Für's wirklich Edle hat er wohl wenig Sinn — schönthun möcht' er immer. Er ist ein Fürst der besseren Art, vorzüglich auf einem russischen Thron; äußerst artig mit dem gewaltigen Peter verglichen, aber äußerst klein, auch viel kleiner als seine Großmutter. Seine Lage ist auch mit seiner Erziehung im Widerspruch. Laharpe hat etwas Republikanisches in seine Composition gemischt, das zu seinen Verhältnissen nicht paßt. Er ist daher schwer zu behandeln. Er möchte allerlei und sieht doch nichts klar. So muß er denn eigensinnig seyn. Sehr artig, und doch unbändig, auf den Gründe nicht viel vermögen, der Festigkeit sucht, selbst durchs Beharren auf's voreilig Beschloßen«, eben weil er mit dem Denken nicht recht fertig werden kann, weil es an der Geistesfestigkeit fehlt. — So macht er denn seinen Rathgebern gewaltig viel zu schaffen, und lähmt eigentlich den Fortgang der Verhandlungen." Der nachfolgende interessante, an den Grasen Schlaberndorf in Paris gerichtete Brief Bollmann's war bisher ungedruckt. Das Original befindet sich in dem Königlich Preußische» Staatsarchiv. Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/324>, abgerufen am 23.07.2024.