Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

vorsichtige Anfrage, ob ihm der Zutritt in Oesterreich erlaubt sei, die Antwort
erhielt, er möge ohne Scheu reisen, Niemand werde ihn wegen der alten Ge¬
schichte beunruhigen. Bollmann hat in Oesterreich keinerlei offizielle Thätigkeit
ausgeübt, aber gleichwohl tiefer als mancher, der in Amt und Stellung wirkte,
in die österreichische Finanzwirthschaft eingegriffen. Dem Finanzminister, Graf
Stadion, der mit ihm geschäftlich zu verhandeln hatte und der bei dieser Ge¬
legenheit über die Schwierigkeit seines Kampfes mit dem massenhaft vorhan¬
denen, unaufhörlich schwankenden Papiergeld klagte, legte er eine Denkschrift
mit Vorschlägen zur Bekämpfung diefes Uebelstandes vor, die großen Beifall
fand. Banquier Freiherr v. Erkeles, der als Finanzautorität ersten Ranges
galt, erklärte sich mit den Bollmann'schen Vorschlägen einverstanden, und wie
Varnhagen, der Bollmann um diese Zeit persönlich nahe getreten war, ver¬
sichert, sind in den späteren Finanzmaßregeln sowie bei der Gründung der
Nationalbank einzig seine Angaben und Entwürfe befolgt worden. Das An¬
sehen des geschäftskundigen und scharfblickender Deutsch-Amerikciner's hatte bald
in Wien ein solches Ansehen gewonnen, daß Gentz eifrig seinen Umgang suchte,
und Metternich den Wunsch kund gab, die amerikanische Regierung möchte
Bollmann eine dauernde diplomatische Anstellung in Wien verleihen. Auch zu
dem preußischen Finanzminister, v. Bülow, dem russischen Finanzminister, Graf
Gnrieff, und dem hannöverschen Staatsminister, Graf Münster, trat er in
nähere Beziehungen. Jedenfalls war, wenn irgend einer, Bollmann in einer
sehr günstigen Lage, um in nächster Nähe Beobachtungen und Vergleichungen
anstellen und einen Gesammtüberblick über die hervorragende Gesellschaft, die
der damalige Moment der Weltlage in der österreichischen Kaiserstadt vereinigt
hielt, gewinnen zu können. Und dieser Gunst der Lage entsprach die unge¬
wöhnliche Begabung des scharfblickender, durchdringenden Norddeutschen. Wahr¬
haft bewundernswerth sind einige flüchtig hingeworfene, in einem Briefe an
einen nahen Verwandten eilfertig niedergeschriebene Porträtzeichnungen, die
trotz der mangelnden Glätte und Abrundung als Charakteristiken ihres Gleichen
suchen; so vortrefflich ist die scharfsinnige Analyse und die Deutlichkeit, mit der
hier die anscheinenden Gegensätze zu einem psychologisch klar zusammenhängen¬
den Charakterbilde in wenigen Federstrichen -- und in dieser Kürze liegt ein
nicht geringer Theil der Meisterschaft -- verarbeitet worden sind. Oppermann
hat in dem vor etwa zehn Jahren veröffentlichten letzten Werke aus seiner Feder:
"Vor hundert Jahren" den betreffenden Brief seinem ganzen Umfang nach mit¬
getheilt, so daß eine Reproduktion desselben hier überflüssig erscheint. Nur als
Probe der Würze und Kürze seiner Charakteristik theilen wir hier ans dem
ganzen Zyklus seiner Radirungen, der die Porträts von Talleyrand, Metternich,
Hardenberg, Humboldt, Stein, Laharpe, den Kaisern von Rußland und Oester-


vorsichtige Anfrage, ob ihm der Zutritt in Oesterreich erlaubt sei, die Antwort
erhielt, er möge ohne Scheu reisen, Niemand werde ihn wegen der alten Ge¬
schichte beunruhigen. Bollmann hat in Oesterreich keinerlei offizielle Thätigkeit
ausgeübt, aber gleichwohl tiefer als mancher, der in Amt und Stellung wirkte,
in die österreichische Finanzwirthschaft eingegriffen. Dem Finanzminister, Graf
Stadion, der mit ihm geschäftlich zu verhandeln hatte und der bei dieser Ge¬
legenheit über die Schwierigkeit seines Kampfes mit dem massenhaft vorhan¬
denen, unaufhörlich schwankenden Papiergeld klagte, legte er eine Denkschrift
mit Vorschlägen zur Bekämpfung diefes Uebelstandes vor, die großen Beifall
fand. Banquier Freiherr v. Erkeles, der als Finanzautorität ersten Ranges
galt, erklärte sich mit den Bollmann'schen Vorschlägen einverstanden, und wie
Varnhagen, der Bollmann um diese Zeit persönlich nahe getreten war, ver¬
sichert, sind in den späteren Finanzmaßregeln sowie bei der Gründung der
Nationalbank einzig seine Angaben und Entwürfe befolgt worden. Das An¬
sehen des geschäftskundigen und scharfblickender Deutsch-Amerikciner's hatte bald
in Wien ein solches Ansehen gewonnen, daß Gentz eifrig seinen Umgang suchte,
und Metternich den Wunsch kund gab, die amerikanische Regierung möchte
Bollmann eine dauernde diplomatische Anstellung in Wien verleihen. Auch zu
dem preußischen Finanzminister, v. Bülow, dem russischen Finanzminister, Graf
Gnrieff, und dem hannöverschen Staatsminister, Graf Münster, trat er in
nähere Beziehungen. Jedenfalls war, wenn irgend einer, Bollmann in einer
sehr günstigen Lage, um in nächster Nähe Beobachtungen und Vergleichungen
anstellen und einen Gesammtüberblick über die hervorragende Gesellschaft, die
der damalige Moment der Weltlage in der österreichischen Kaiserstadt vereinigt
hielt, gewinnen zu können. Und dieser Gunst der Lage entsprach die unge¬
wöhnliche Begabung des scharfblickender, durchdringenden Norddeutschen. Wahr¬
haft bewundernswerth sind einige flüchtig hingeworfene, in einem Briefe an
einen nahen Verwandten eilfertig niedergeschriebene Porträtzeichnungen, die
trotz der mangelnden Glätte und Abrundung als Charakteristiken ihres Gleichen
suchen; so vortrefflich ist die scharfsinnige Analyse und die Deutlichkeit, mit der
hier die anscheinenden Gegensätze zu einem psychologisch klar zusammenhängen¬
den Charakterbilde in wenigen Federstrichen — und in dieser Kürze liegt ein
nicht geringer Theil der Meisterschaft — verarbeitet worden sind. Oppermann
hat in dem vor etwa zehn Jahren veröffentlichten letzten Werke aus seiner Feder:
„Vor hundert Jahren" den betreffenden Brief seinem ganzen Umfang nach mit¬
getheilt, so daß eine Reproduktion desselben hier überflüssig erscheint. Nur als
Probe der Würze und Kürze seiner Charakteristik theilen wir hier ans dem
ganzen Zyklus seiner Radirungen, der die Porträts von Talleyrand, Metternich,
Hardenberg, Humboldt, Stein, Laharpe, den Kaisern von Rußland und Oester-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141734"/>
          <p xml:id="ID_942" prev="#ID_941" next="#ID_943"> vorsichtige Anfrage, ob ihm der Zutritt in Oesterreich erlaubt sei, die Antwort<lb/>
erhielt, er möge ohne Scheu reisen, Niemand werde ihn wegen der alten Ge¬<lb/>
schichte beunruhigen. Bollmann hat in Oesterreich keinerlei offizielle Thätigkeit<lb/>
ausgeübt, aber gleichwohl tiefer als mancher, der in Amt und Stellung wirkte,<lb/>
in die österreichische Finanzwirthschaft eingegriffen. Dem Finanzminister, Graf<lb/>
Stadion, der mit ihm geschäftlich zu verhandeln hatte und der bei dieser Ge¬<lb/>
legenheit über die Schwierigkeit seines Kampfes mit dem massenhaft vorhan¬<lb/>
denen, unaufhörlich schwankenden Papiergeld klagte, legte er eine Denkschrift<lb/>
mit Vorschlägen zur Bekämpfung diefes Uebelstandes vor, die großen Beifall<lb/>
fand. Banquier Freiherr v. Erkeles, der als Finanzautorität ersten Ranges<lb/>
galt, erklärte sich mit den Bollmann'schen Vorschlägen einverstanden, und wie<lb/>
Varnhagen, der Bollmann um diese Zeit persönlich nahe getreten war, ver¬<lb/>
sichert, sind in den späteren Finanzmaßregeln sowie bei der Gründung der<lb/>
Nationalbank einzig seine Angaben und Entwürfe befolgt worden. Das An¬<lb/>
sehen des geschäftskundigen und scharfblickender Deutsch-Amerikciner's hatte bald<lb/>
in Wien ein solches Ansehen gewonnen, daß Gentz eifrig seinen Umgang suchte,<lb/>
und Metternich den Wunsch kund gab, die amerikanische Regierung möchte<lb/>
Bollmann eine dauernde diplomatische Anstellung in Wien verleihen. Auch zu<lb/>
dem preußischen Finanzminister, v. Bülow, dem russischen Finanzminister, Graf<lb/>
Gnrieff, und dem hannöverschen Staatsminister, Graf Münster, trat er in<lb/>
nähere Beziehungen. Jedenfalls war, wenn irgend einer, Bollmann in einer<lb/>
sehr günstigen Lage, um in nächster Nähe Beobachtungen und Vergleichungen<lb/>
anstellen und einen Gesammtüberblick über die hervorragende Gesellschaft, die<lb/>
der damalige Moment der Weltlage in der österreichischen Kaiserstadt vereinigt<lb/>
hielt, gewinnen zu können. Und dieser Gunst der Lage entsprach die unge¬<lb/>
wöhnliche Begabung des scharfblickender, durchdringenden Norddeutschen. Wahr¬<lb/>
haft bewundernswerth sind einige flüchtig hingeworfene, in einem Briefe an<lb/>
einen nahen Verwandten eilfertig niedergeschriebene Porträtzeichnungen, die<lb/>
trotz der mangelnden Glätte und Abrundung als Charakteristiken ihres Gleichen<lb/>
suchen; so vortrefflich ist die scharfsinnige Analyse und die Deutlichkeit, mit der<lb/>
hier die anscheinenden Gegensätze zu einem psychologisch klar zusammenhängen¬<lb/>
den Charakterbilde in wenigen Federstrichen &#x2014; und in dieser Kürze liegt ein<lb/>
nicht geringer Theil der Meisterschaft &#x2014; verarbeitet worden sind. Oppermann<lb/>
hat in dem vor etwa zehn Jahren veröffentlichten letzten Werke aus seiner Feder:<lb/>
&#x201E;Vor hundert Jahren" den betreffenden Brief seinem ganzen Umfang nach mit¬<lb/>
getheilt, so daß eine Reproduktion desselben hier überflüssig erscheint. Nur als<lb/>
Probe der Würze und Kürze seiner Charakteristik theilen wir hier ans dem<lb/>
ganzen Zyklus seiner Radirungen, der die Porträts von Talleyrand, Metternich,<lb/>
Hardenberg, Humboldt, Stein, Laharpe, den Kaisern von Rußland und Oester-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] vorsichtige Anfrage, ob ihm der Zutritt in Oesterreich erlaubt sei, die Antwort erhielt, er möge ohne Scheu reisen, Niemand werde ihn wegen der alten Ge¬ schichte beunruhigen. Bollmann hat in Oesterreich keinerlei offizielle Thätigkeit ausgeübt, aber gleichwohl tiefer als mancher, der in Amt und Stellung wirkte, in die österreichische Finanzwirthschaft eingegriffen. Dem Finanzminister, Graf Stadion, der mit ihm geschäftlich zu verhandeln hatte und der bei dieser Ge¬ legenheit über die Schwierigkeit seines Kampfes mit dem massenhaft vorhan¬ denen, unaufhörlich schwankenden Papiergeld klagte, legte er eine Denkschrift mit Vorschlägen zur Bekämpfung diefes Uebelstandes vor, die großen Beifall fand. Banquier Freiherr v. Erkeles, der als Finanzautorität ersten Ranges galt, erklärte sich mit den Bollmann'schen Vorschlägen einverstanden, und wie Varnhagen, der Bollmann um diese Zeit persönlich nahe getreten war, ver¬ sichert, sind in den späteren Finanzmaßregeln sowie bei der Gründung der Nationalbank einzig seine Angaben und Entwürfe befolgt worden. Das An¬ sehen des geschäftskundigen und scharfblickender Deutsch-Amerikciner's hatte bald in Wien ein solches Ansehen gewonnen, daß Gentz eifrig seinen Umgang suchte, und Metternich den Wunsch kund gab, die amerikanische Regierung möchte Bollmann eine dauernde diplomatische Anstellung in Wien verleihen. Auch zu dem preußischen Finanzminister, v. Bülow, dem russischen Finanzminister, Graf Gnrieff, und dem hannöverschen Staatsminister, Graf Münster, trat er in nähere Beziehungen. Jedenfalls war, wenn irgend einer, Bollmann in einer sehr günstigen Lage, um in nächster Nähe Beobachtungen und Vergleichungen anstellen und einen Gesammtüberblick über die hervorragende Gesellschaft, die der damalige Moment der Weltlage in der österreichischen Kaiserstadt vereinigt hielt, gewinnen zu können. Und dieser Gunst der Lage entsprach die unge¬ wöhnliche Begabung des scharfblickender, durchdringenden Norddeutschen. Wahr¬ haft bewundernswerth sind einige flüchtig hingeworfene, in einem Briefe an einen nahen Verwandten eilfertig niedergeschriebene Porträtzeichnungen, die trotz der mangelnden Glätte und Abrundung als Charakteristiken ihres Gleichen suchen; so vortrefflich ist die scharfsinnige Analyse und die Deutlichkeit, mit der hier die anscheinenden Gegensätze zu einem psychologisch klar zusammenhängen¬ den Charakterbilde in wenigen Federstrichen — und in dieser Kürze liegt ein nicht geringer Theil der Meisterschaft — verarbeitet worden sind. Oppermann hat in dem vor etwa zehn Jahren veröffentlichten letzten Werke aus seiner Feder: „Vor hundert Jahren" den betreffenden Brief seinem ganzen Umfang nach mit¬ getheilt, so daß eine Reproduktion desselben hier überflüssig erscheint. Nur als Probe der Würze und Kürze seiner Charakteristik theilen wir hier ans dem ganzen Zyklus seiner Radirungen, der die Porträts von Talleyrand, Metternich, Hardenberg, Humboldt, Stein, Laharpe, den Kaisern von Rußland und Oester-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/323>, abgerufen am 23.07.2024.