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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Wesen des Ich sei die geniale Anlage, und das wahre Wissen sei eine Art
Offenbarung. Die Frage, ob er mit dieser Offenbarung eine poetische oder
eine religiöse Inspiration meint, ist deshalb ziemlich müßig, weil ihm dies
alles ineinander verschwimmt. Denn nicht nur schaut er das Schöne in Ein¬
heit mit dem Wahren und Guten, nicht nur sind ihm Philosophie und Mora¬
lität Wechselbegriffe, nicht nur führt er alle Erkenntniß auf die Unmittelbarkeit
des Glaubens zurück, sondern auch das Gewissen") erscheint ihm wie der
Geist des Weltgedichts; er klagt sogar darüber, daß man die Wissenschaft von
der Poesie säubern wolle, und er erklärt ganz ausdrücklich: die Poesie**) als
Darstellung des Gemüths, mithin als Darstellung der inneren Welt in ihrer
Gesammtheit, sei eins mit der Philosophie und mit der Religion. Den Mittel¬
punkt jedoch in dieser Verknüpfung bildet ihm die Poesie. Die Grundidee,
auf der sein "Heinrich von Ofterdingen" beruht, ist die, daß die Welt am Ende
Gemüth werden solle.**") Nun ist ihm aber die Poesie kurzweg Gemüthserre-
gungskuust; daher schreitet er zu dem Satz fort: am Ende soll Alles, Poesie
werden. Die Poesie ist für ihn Eins und Alles. Alles ist ihm um so wahrer,
je poetischer es ist, die Poesie ist ihm des absolut Reelle; auch die Geschichte
Christi, sagt er, ist ebenso gewiß ein Gedicht, wie eine Geschichte, und über¬
haupt ist nur diejenige Geschichte eine Geschichte, die auch Fabel sein kann.
Andererseits ist ihm die Phantasie der Weg der Religion in's Herz, die Pre¬
digt genialische Jnspirationswirkung, die Poesie eine wesentliche Form der
Religion, das Christenthum die Religion des Idealismus, ein Pantheon, in
welchem auch die Mythologie, also das idealistisch gefaßte Heidenthum Platz
findet. Denn Novalis selbst sagts): "Ich glaube in der Geschichte und den
Lehren der christlichen Religion die symbolische Vorzeichnung einer allgemeinen,
jeder Gestalt fähigen Weltreligion zu sehen, das reinste Muster der Religion
als historische Erscheinung überhaupt.....Es gibt keine Religion, die uicht
Christenthum wäre. Das Christenthum ist nämlich dreifacher Gestalt: Es ist
einmal Freude an aller Religion; es ist sodann Glaube an die Fähigkeit alles
Irdischen, Wein und Brod des ewigen Lebens zu sein; endlich ist es Glaube
an Christus, seine Mutter und die Heiligen. Wühlt, welche ihr wollt, ihr
werdet damit Christen und Mitglieder einer einzigen, ewigen, unaussprechlich
glücklichen Gemeinde." Wenn hier Novalis als eine der drei Gestalten des
Christenthums den Glauben an Christus, seine Mutter und die Heiligen be¬
zeichnet, so liegt schon darin ein Anzeichen dafür, daß auch er, wie andere
Romantiker, in einer starken Vorliebe für die katholische Kirche befangen war,






**) S. Novalis' Schriften, III, 37 f.
*) Haym, a. a. O., S. 373.
f) Schriften III, 33 f.
Haym, a. a, O-, S. 333.

Wesen des Ich sei die geniale Anlage, und das wahre Wissen sei eine Art
Offenbarung. Die Frage, ob er mit dieser Offenbarung eine poetische oder
eine religiöse Inspiration meint, ist deshalb ziemlich müßig, weil ihm dies
alles ineinander verschwimmt. Denn nicht nur schaut er das Schöne in Ein¬
heit mit dem Wahren und Guten, nicht nur sind ihm Philosophie und Mora¬
lität Wechselbegriffe, nicht nur führt er alle Erkenntniß auf die Unmittelbarkeit
des Glaubens zurück, sondern auch das Gewissen") erscheint ihm wie der
Geist des Weltgedichts; er klagt sogar darüber, daß man die Wissenschaft von
der Poesie säubern wolle, und er erklärt ganz ausdrücklich: die Poesie**) als
Darstellung des Gemüths, mithin als Darstellung der inneren Welt in ihrer
Gesammtheit, sei eins mit der Philosophie und mit der Religion. Den Mittel¬
punkt jedoch in dieser Verknüpfung bildet ihm die Poesie. Die Grundidee,
auf der sein „Heinrich von Ofterdingen" beruht, ist die, daß die Welt am Ende
Gemüth werden solle.**") Nun ist ihm aber die Poesie kurzweg Gemüthserre-
gungskuust; daher schreitet er zu dem Satz fort: am Ende soll Alles, Poesie
werden. Die Poesie ist für ihn Eins und Alles. Alles ist ihm um so wahrer,
je poetischer es ist, die Poesie ist ihm des absolut Reelle; auch die Geschichte
Christi, sagt er, ist ebenso gewiß ein Gedicht, wie eine Geschichte, und über¬
haupt ist nur diejenige Geschichte eine Geschichte, die auch Fabel sein kann.
Andererseits ist ihm die Phantasie der Weg der Religion in's Herz, die Pre¬
digt genialische Jnspirationswirkung, die Poesie eine wesentliche Form der
Religion, das Christenthum die Religion des Idealismus, ein Pantheon, in
welchem auch die Mythologie, also das idealistisch gefaßte Heidenthum Platz
findet. Denn Novalis selbst sagts): „Ich glaube in der Geschichte und den
Lehren der christlichen Religion die symbolische Vorzeichnung einer allgemeinen,
jeder Gestalt fähigen Weltreligion zu sehen, das reinste Muster der Religion
als historische Erscheinung überhaupt.....Es gibt keine Religion, die uicht
Christenthum wäre. Das Christenthum ist nämlich dreifacher Gestalt: Es ist
einmal Freude an aller Religion; es ist sodann Glaube an die Fähigkeit alles
Irdischen, Wein und Brod des ewigen Lebens zu sein; endlich ist es Glaube
an Christus, seine Mutter und die Heiligen. Wühlt, welche ihr wollt, ihr
werdet damit Christen und Mitglieder einer einzigen, ewigen, unaussprechlich
glücklichen Gemeinde." Wenn hier Novalis als eine der drei Gestalten des
Christenthums den Glauben an Christus, seine Mutter und die Heiligen be¬
zeichnet, so liegt schon darin ein Anzeichen dafür, daß auch er, wie andere
Romantiker, in einer starken Vorliebe für die katholische Kirche befangen war,






**) S. Novalis' Schriften, III, 37 f.
*) Haym, a. a. O., S. 373.
f) Schriften III, 33 f.
Haym, a. a, O-, S. 333.
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[0315] Wesen des Ich sei die geniale Anlage, und das wahre Wissen sei eine Art Offenbarung. Die Frage, ob er mit dieser Offenbarung eine poetische oder eine religiöse Inspiration meint, ist deshalb ziemlich müßig, weil ihm dies alles ineinander verschwimmt. Denn nicht nur schaut er das Schöne in Ein¬ heit mit dem Wahren und Guten, nicht nur sind ihm Philosophie und Mora¬ lität Wechselbegriffe, nicht nur führt er alle Erkenntniß auf die Unmittelbarkeit des Glaubens zurück, sondern auch das Gewissen") erscheint ihm wie der Geist des Weltgedichts; er klagt sogar darüber, daß man die Wissenschaft von der Poesie säubern wolle, und er erklärt ganz ausdrücklich: die Poesie**) als Darstellung des Gemüths, mithin als Darstellung der inneren Welt in ihrer Gesammtheit, sei eins mit der Philosophie und mit der Religion. Den Mittel¬ punkt jedoch in dieser Verknüpfung bildet ihm die Poesie. Die Grundidee, auf der sein „Heinrich von Ofterdingen" beruht, ist die, daß die Welt am Ende Gemüth werden solle.**") Nun ist ihm aber die Poesie kurzweg Gemüthserre- gungskuust; daher schreitet er zu dem Satz fort: am Ende soll Alles, Poesie werden. Die Poesie ist für ihn Eins und Alles. Alles ist ihm um so wahrer, je poetischer es ist, die Poesie ist ihm des absolut Reelle; auch die Geschichte Christi, sagt er, ist ebenso gewiß ein Gedicht, wie eine Geschichte, und über¬ haupt ist nur diejenige Geschichte eine Geschichte, die auch Fabel sein kann. Andererseits ist ihm die Phantasie der Weg der Religion in's Herz, die Pre¬ digt genialische Jnspirationswirkung, die Poesie eine wesentliche Form der Religion, das Christenthum die Religion des Idealismus, ein Pantheon, in welchem auch die Mythologie, also das idealistisch gefaßte Heidenthum Platz findet. Denn Novalis selbst sagts): „Ich glaube in der Geschichte und den Lehren der christlichen Religion die symbolische Vorzeichnung einer allgemeinen, jeder Gestalt fähigen Weltreligion zu sehen, das reinste Muster der Religion als historische Erscheinung überhaupt.....Es gibt keine Religion, die uicht Christenthum wäre. Das Christenthum ist nämlich dreifacher Gestalt: Es ist einmal Freude an aller Religion; es ist sodann Glaube an die Fähigkeit alles Irdischen, Wein und Brod des ewigen Lebens zu sein; endlich ist es Glaube an Christus, seine Mutter und die Heiligen. Wühlt, welche ihr wollt, ihr werdet damit Christen und Mitglieder einer einzigen, ewigen, unaussprechlich glücklichen Gemeinde." Wenn hier Novalis als eine der drei Gestalten des Christenthums den Glauben an Christus, seine Mutter und die Heiligen be¬ zeichnet, so liegt schon darin ein Anzeichen dafür, daß auch er, wie andere Romantiker, in einer starken Vorliebe für die katholische Kirche befangen war, **) S. Novalis' Schriften, III, 37 f. *) Haym, a. a. O., S. 373. f) Schriften III, 33 f. Haym, a. a, O-, S. 333.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/315>, abgerufen am 06.02.2025.