Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.mäßige und die "Gegebenheit", wie um: damals sagte, ihre Heimat -- lauter *)'Vgl. O. Pfleiderer, Religionsphilosophie, Berlin 1873, S, 34 f.
mäßige und die „Gegebenheit", wie um: damals sagte, ihre Heimat — lauter *)'Vgl. O. Pfleiderer, Religionsphilosophie, Berlin 1873, S, 34 f.
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mäßige und die „Gegebenheit", wie um: damals sagte, ihre Heimat — lauter
Momente, auf welche die Propheten der Genialität in erster Linie Werth legten.
Zwar darf man dabei zunächst nur an diejenige Stimmung des Gemüths und
der Phantasie denken, welche, wie für die Poesie, so auch für die Religion die
vorzüglichste psychologische Grundlage bildet; nicht alle Vertreter jener Richtung
waren spezifisch religiöse Naturen. Ferner darf man dabei nicht nur an
das Christenthum denken; sondern auch die in der Mythologie der Völker
ausgeprägten Religionen erschienen in einem neuen Lichte. Auch die religiös
angeregten unter den Genialen waren nicht alle positive Christen. Aber auch
für die Wiedererkennung und Wiederanerkennung des wirklichen Christenthums,
sowie des spezifischen Verhältnisses der Bibel zum religiösen Geist der Mensch¬
heit war jener Umschwung der Stimmung und der Geschichtsbetrachtung
mittelbar von großer Bedeutung. Denn Reformatoren der Theologie, wie
Schleiermacher und de Wette, haben — wenn auch gewiß nicht alle ihre
Kraft — doch einen großen Theil derselben aus jenem Umschwung gesogen.
Ferner hat das neue Verständniß der mythologischen Religionen, welches die
Männer der Genialitätsepoche anbahnten, die Erkenntniß der religiösen Be¬
deutung des Christenthums nicht etwa gehemmt, sondern gefördert; ein Satz,
dessen Richtigkeit im Hinblicke ans Schelling Niemand leugnen wird. Endlich
haben — von anderen zu schweigen — Lavater, Hamann und Herder, lauter
Vertreter der Genialität, die Wiederanerkennung freilich nicht der orthodoxen, aber
doch der biblischen Religion in den Kreisen der Gebildeten ganz direkt vor¬
bereitet. Hamann*) preist gleichsam in einem Athemzuge die Genialität Homer's
oder Shakespeare's und das Schmecken und Sehen, welches dem frommen
Glauben zu Theil wird; er ahnt eine Verwandtschaft des naiven, rein empfäng¬
lichen Glaubens und des aesthetischen Taktes des künstlerischen Genius, weil
beides einen Gegensatz bildet gegen todte Abstraktionen. In seiner Aesthetik
nennt er die Poesie die Muttersprache des menschlichen Geschlechts; aber indem
er die erstorbene Sprache der Poesie und Natur wiedererwecken will, weist er
gleichzeitig hin auf den Namen Jesu. Natur und Schrift sind ihm die Materialien
des schönen, schaffenden, nachahmenden Geistes. Uebrigens hinderte ihn sein
Positiver Bibelglaube nicht, von einer nicht nur poetischen, sondern auch mythi¬
schen Ader aller Religionen, also auch der christlichen, zu reden. Die Aufklärer
hatten in der ganzen Mythologie nichts anderes finden können, als schlechter¬
dings sinnlosen Aberglauben. Dies genügte einem Hamann nicht; namentlich
aber wies Herder darauf hin, wie es gerade ein lebendiges religiöses Bewußt¬
sein der kindlichen Menschheit gewesen, das allenthalben in der Natur, wo
*)'Vgl. O. Pfleiderer, Religionsphilosophie, Berlin 1873, S, 34 f.
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